Paris – Marathon-Festival der Rekorde
Der dunkelhäutige Bursche aus dem fernen Kenia sagte nicht viel. Mike Rotich, 20 Jahre jung, ist ein stiller Genießer. "I'm very happy", meinte der strahlende Sieger beim 27. Paris-Marathon, "ich bin sehr glücklich." Nach seinem Triumph am Triumphbogen schleppte er den riesigen Silberpokal wie eine schwere Last durch den Zielraum.
Mike Rotich, der Sieger von Paris, mit Dr. Gabriele Rosa (Foto: Hörnemann)
Dr. Gabriele Rosa, der "Trainer-Guru" aus Italien, gratulierte seinem Schützling, der den Streckenrekord von Julius Ruto (2:08:10 h) geradewegs über den Haufen gerannt hatte. Mit 2:06:31 Stunden steigerte Rotich, ein "dark Horse", ein Außenseiter in dem 29.406 Teilnehmer starken Feld, seine eigene Bestzeit um knapp zweieinhalb Minuten und schob sich in der ewigen Weltbestenliste sensationell auf die achte Position.Der Sieger blieb bescheiden
Mike Rotich blieb bescheiden im Hintergrund. Benoît Zwierzchlewski übernahm die Hauptrolle, obwohl er "nur" Zweiter geworden war. Er, der schon zwölf Monate zuvor Frankreichs größte und bedeutendste Laufveranstaltung gewonnen hatte, er sorgte für das zweite Highlight an diesem kühlen Sonntag.
"Ich wusste, was die Stunde geschlagen hatte", erzählte der 26-jährige Liebling der Massen den Medienvertretern, die ihn im Dutzend umringten, "deshalb habe ich bis zuletzt alles gegeben." Auf dem Kopfsteinpflaster der "Avenue Foch", auf den letzten Metern vorm Ziel, drückte er noch mal kräftig aufs Tempo, rückte Mike Rotich, dem kecken Ausreißer, der bei Kilometer 40 auf und davon gestürmt war, immer dichter auf den Pelz. Doch erreichte er ihn nicht mehr. Vier Sekunden trennten die beiden Helden der Ausdauer. "Mike war heute der Stärkere", meinte Benoît Z., wie ihn seine französischen Landsleute der Einfachheit halber rufen, "dennoch bin ich super zufrieden." Recht hat er.
Europäische Bestzeit von Benoit Z.
Der Mann mit dem Kahlschädel verblüffte einmal mehr mit einer Gala-Vorstellung. Nachdem ihm bereits im Vorjahr bei seinem einsamen Solo eine neue Bestleistung (2:08:18 h) gelungen war, nahm er nun erfolgreich den Europarekord aufs Korn. Antonio Pinto, der "Oldie" aus Portugal, hatte anno 2000 in London eine 2:06:36 auf die Straße gezaubert. Benot Z. fixierte diese Marke ebenfalls. 2:06:36 – diese Zahlen fanden als offizielle Zeit Eingang in die Ergebisliste. Maßarbeit! Mit 30.000 Euro wurde ihm eine schöne Belohnung zuteil. 20.000 Euro mehr steckte sich der gute Rotich in die Tasche.
Dr. Gabriele Rosa, der in seinem "Centro Italiano" in Brescia rund hundert Kenianer betreut, darunter auch den Kenianer Paul Tergat, der den Afrika-Rekord (2:05:48 h in London 2002) hält, rieb sich vergnügt die Hände. Mike Rotich zählt zu seinem Rennstall. Benoît Zwierzchlewski steht er auch mit Rat und Tat zur Seite.
Mit Joseph Mahmoud, dem Ex-Europarekordler über 3000 Meter Hindernis, ist er in regem Austausch. "Den Sieg widme ich meinen beiden Trainern", tönte Benoît Z. ins Mikro und dankte dem Experten-Duo für die fortwährende Unterstützung, "sie haben diesen Erfolg erst möglich gemacht." Ihnen sei er zu ewigem Dank verpflichtet.
Fernziel Weltmeisterschaft
Die Weltmeisterschaft in Paris ist sein Fernziel. Da will Benoît Z. einen weiteren Coup landen. Driss El Himer, ein gebürtiger Marokkaner, der mittlerweile die französische Staatsbürgerschaft angenommen hat, wird ihn bei dem "Asphalt-Trip" am Schlusstag der WM begleiten. Denn hinter Wilson Onsare (2:06:43 h), noch ein Kenianer, belegte er den vierten Platz und löste mit 2:06:45 Stunden gleichfalls das Ticket für den Höhepunkt der Leichtathletik-Saison 2003.
Frauen in den Hintergrund gedrängt
Die Damen, die exakt 17 Minuten vor den Männern auf der Champs d'Élysées, der Prachtstraße mitten in der Seine-Metropole, gestartet waren, standen bei der 27. Auflage ein wenig im Abseits.
Beatrice Omwanza, die kaum einer auf der Rechnung hatte, behauptete sich in 2:27:41 Stunden vor der Italienerin Rosaria Console (2:27:45 h) und der eigentlichen Favoritin, Banuela Mrashan (2:29:13 h) aus Tansania. Mit einigem Abstand folgten die beiden Französinnen Hafida Gadi-Richard (2:30:36 h) und Rakiya Quetier Maraoui (2:31:33 h), die damit die für die WM geforderte Verbandsnorm (2:32:00 h) unterboten haben. Mary Ptikany (2:32:02 h), die von Volker Wagner, ihrem Betreuer aus dem ostwestfälischen Detmold, gecoacht wird, landete auf Rang fünf.
"Ein Meilenstein in der Geschichte"
Joel Lainé und Laurent Bouquillet, der eine Generaldirektor, der andere Sportlicher Leiter, zogen schon vergnügt eine rundum positive Zwischenbilanz, als die Drei-Stunden-Läufer noch dicht an dicht den Zielstrich überquerten. "Das war ein Meilenstein in der Geschichte dieser Veranstaltung", erklärte Lainé.
"So eine Leistungsdichte", ergänzte Boquillet, "hatten wir noch nie." Vier Mann unter 2:07 Stunden – das hat's bislang erst drei Mal gegeben: in Amsterdam, London und in Chicago.
"Chapeau", sagen die Franzosen, wenn sie ihre Bewunderung ausdrücken wollen, "Hut ab." In der Tat: Paris hat die Messlatte hoch aufgelegt. London und Rotterdam, zwei renommierte Namen in der Branche, müssen am nächsten Wochenende nachlegen.
Ja, ja, der Start in den Marathon-Frühling 2003 macht Lust auf mehr.
Ulrich Hörnemann
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