
Patrick Magyar: "Jeden Abend eine Party"
In viereinhalb Monaten beginnt die EM in Zürich. Patrick Magyar ist sowohl Chef des EM-Organisationskomitees als auch „Macher“ des wohl bekanntesten und besten Leichtathletik-Meetings der Welt: „Weltklasse Zürich“. Im Interview spricht der 50-Jährige über den Stand der EM-Vorbereitungen sowie die Bedeutung der deutschen Athleten und übt Kritik am Stand der derzeitigen Leichtathletik.
Patrick Magyar, wie ist der Stand der Vorbereitungen für die Europameisterschaften Mitte August in Zürich?
Patrick Magyar:
Die organisatorischen Arbeiten laufen auf Hochtouren und nach Plan. Im Ticketverkauf liegen wir derzeit bei einer Auslastung von 43 Prozent. Das ist für diesen Zeitpunkt hervorragend. Wir gehen bei den Abendveranstaltungen von einer Auslastung von 90 Prozent aus, und auch bei den Vormittagssessions rechnen wir mit einem zu 75 Prozent vollen Stadion.
Welche Rolle spielen das deutsche Publikum und die deutschen Athleten?
Patrick Magyar:
Deutschland ist der größte europäische Markt. Es hilft natürlich, wenn Deutschland mitmacht. 30 Prozent der Tickets werden ins Ausland gehen, davon 15 Prozent nach Deutschland und davon acht Prozent nach Baden-Württemberg. Jeden Abend werden 2.000 bis 3.000 deutsche Zuschauer im Letzigrund sein. Damit ist Zürich ein Heimspiel für die deutschen Athleten. Wir werden jetzt mit einer Plakatwerbung in Baden-Württemberg und Bayern mit Silke Spiegelburg, Verena Sailer, Raphael Holzdeppe und David Storl die EM offensiv mit Plakaten bewerben.
Gute deutsche Athleten also als Zugpferde für die Züricher EM?
Patrick Magyar:
Gute deutsche Athleten helfen der Leichtathletik. Die Abhängigkeit ist in unserer Sportart aber nicht so groß wie beispielsweise im Biathlon oder im Skirennsport, wo es für kleine Länder ohne erfolgreiche deutsche Sportler schwieriger wird.
Gibt es auch noch Probleme im Vorfeld?
Patrick Magyar:
Die Schweiz ist ein kleines Land. Das Hauptproblem ist der Verkehr. Deshalb empfehlen wir den Zuschauern, die Autos nach der Grenze abzustellen und die öffentlichen Verkehrsbetriebe in Anspruch zu nehmen. Die Fahrten sind ja in den Ticketpreisen enthalten. Eine große logistische Herausforderung sind für uns die beiden Einlaufstadien in Sihlhölzi und Utogrund, die relativ weit weg sind vom Letzigrund. Da ist noch viel zu tun.
Was die Stimmung angeht, bietet der Letzigrund dafür mit seinem Fassungsvermögen von 25.000 Zuschauern doch relativ gute Bedingungen im Vergleich zur letzten WM in Moskau. Das riesige Luschniki-Stadion war an den ersten Tage nur spärlich gefüllt und die Atmosphäre nicht befriedigend …
Patrick Magyar:
… da haben wir große Hoffnungen. Der Letzigrund ist das Leichtathletik-Stadion mit dem besten Leichtathletik-Publikum der Welt. Deshalb wollen wir bei der EM die Leichtathletik feiern. Wir haben ein wenig Geld in die Hand genommen und wollen jeden Abend eine Party machen.
Wie sieht es denn mit der Nachhaltigkeit der EM für die Schweizer Leichtathletik aus?
Patrick Magyar:
Da sehe ich drei Bereiche. Die EM wird im Bereich der Kampfrichter, wo wir in einem basisdemokratischen Auswahlverfahren aus der ganzen Schweiz Kampfrichter rekrutiert haben, einen Impuls geben. Die Zahl von derzeit 40 EM-Normen durch Schweizer Athleten zeigt, dass wir auch im Sportlichen die Leichtathletik hierzulande fördern. Dann haben wir nach 28 Jahren rückgängiger Startpassanträge jetzt wieder Zuwächse von rund 20 Prozent in den vergangenen fünf Jahren zu verzeichnen. Die Einführung des UBS-Kids-Cup mit hoffentlich über 100.000 Teilnehmern in diesem Jahr ist ein schon fast historischer Erfolg im Nachwuchsbereich.
EM und „Weltklasse Zürich“ finden innerhalb von zwölf Tagen statt. Worin liegt der Unterschied beider Veranstaltungen?
Patrick Magyar:
Während „Weltklasse Zürich“ als weltweit bekanntes Produkt eine Marke darstellt, müssen wir die EM als Wettkampf erklären. Vereinfacht tun wir das, indem wir erklären, bei „Weltklasse Zürich“ ist Usain Bolt am Start und es geht um Top-Leistungen. Hingegen geht es bei der EM um Medaillen und den Kampf Mann gegen Mann, Frau gegen Frau. Natürlich hat die EM mit 1.400 Athleten aus 50 Nationen und sechs Wettkampftagen ein ganz anderes Volumen. Aber viele Arbeitsgebiete sind identisch.
Ist es für den „Macher Magyar“ kein Problem, in so kurzer Zeit für zwei so Großereignisse die Verantwortung zu übernehmen?
Patrick Magyar:
Das Gerippe für beide Veranstaltungen steht schon Wochen vorher. In den letzten Tagen vor dem Meeting „Weltklasse Zürich“ habe ich operativ fast nichts mehr zu tun.
Dafür werden Sie danach als Meetingdirektor von „Weltklasse Zürich“ zurücktreten …
Patrick Magyar:
Ja, nach über 30 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit in der Leichtathletik in verschiedenen Positionen möchte ich eine Pause machen. Ich habe 2007 „Weltklasse Zürich“ übernommen. Inzwischen ist es als weltbestes Meeting an die Spitze zurückgekehrt. Ich bin am Limit angekommen und werde das Amt als Meetingdirektor an Andreas Hediger und Christoph Joho übergeben.
Wo steht nach Ihrer Einschätzung die Leichtathletik derzeit? Ist es vor allem Usain Bolt, der zieht?
Patrick Magyar:
Bolt wäre ein Segen für jede Sportart. Aber man darf ihm auch nicht die ganze Verantwortung für die Sportart in die Schuhe schieben. Bolt schafft Zugänge, die wir ohne ihn nicht hätten. Daneben aber braucht man die Basisarbeit für diesen Sport. Die Kritik an Bolt ist typisch für die Leichtathletik. Wir tun uns schwer, richtige Marken aufzubauen. Wir haben in Zürich immer versucht, auch deutsche Athleten wie Thomas Wessinghage, Willi Wülbeck oder Dieter Baumann als Marke mit Wiedererkennungseffekt aufzubauen. Das wollen wir heute beispielsweise mit einer Verena Sailer versuchen. Genau das hilft der Leichtathletik.
Wo sehen Sie die Hauptkritikpunkte an der derzeitigen Leichtathletik?
Patrick Magyar:
Wir schmoren zu sehr im eigenen Saft. Wie wir die Leichtathletik präsentieren, ist nicht immer das Gelbe vom Ei. Ich denke, man muss in einzelnen Disziplinen einen Schnitt machen. Wir geben bei der EM sehr viel Geld allein für die Gehwettbewerbe aus. Hier muss man fragen: Stehen Aufwand und Ertrag noch in einem guten Verhältnis? Wir müssen zurück zur Basis laufen, werfen, springen. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass wir auch von anderen Sportarten etwas lernen können, beispielsweise was die Präsentation anbelangt.
Quelle: leichtathletik - Ihr Fachmagazin