| Kugelstoßen

Patrick Müller: Aus Schwäche wird Stärke

26 Zentimeter in zwei Jahren. Und dann 90 Zentimeter innerhalb von vier Monaten: Seitdem Kugelstoßer Patrick Müller im Herbst auf die Drehstoß-Technik umgestiegen ist, macht er große Fortschritte. Es ist wie ein Neustart für den 21-Jährigen, der einst als U18-Weltmeister große Hoffnungen weckte und dann auf einem Leistungsniveau feststeckte. Ein kleines Detail, das ihn bisher ausbremste, verleiht ihm jetzt Flügel.
Silke Bernhart

Es war im vergangenen Sommer. Patrick Müller feixte mit seinem damaligen Trainingspartner Christian Jagusch – der eine Angleiter, der andere Drehstoßer. Wer wohl in der jeweils anderen Technik die Kugel weiter hinaus befördern würde? Im Werfer-Mekka Kienbaum war auch David Storl dabei, als Müller und Jagusch es schließlich genauer wissen wollten. Patrick Müller ließ die Kugel fliegen. Und die landete fast genau auf der Marke, die er sich zuvor viele Jahre lang mühsam mit der Angleit-Technik erarbeitet hatte.

„Patti, du musst Drehstoßer werden“ – so in etwa lautete das Fazit von David Storl. Wer sollte einem zweimaligen Weltmeister widersprechen? Patrick Müller jedenfalls nicht. Zumal er ohnehin feststeckte in seinem alten Bewegungsmuster, nicht wirklich vorwärts kam, seit er 2015 die ersten Stöße mit der 7,26 Kilo schweren Männerkugel absolviert hatte. Noch als U20-Athlet hatte er damals 18,99 Meter erzielt. Zwei Jahre später, im zweiten Männer-Jahr? War er bei 19,25 Metern angekommen. Rasanter Fortschritt sieht anders aus.

90 Zentimeter in vier Monaten

Umso rasanter geht es vorwärts, seit der 21 Jahre alte Kugelstoßer vom SC Neubrandenburg im vergangenen Herbst auf die Drehstoß-Technik umgestiegen ist. Am Samstag war gleich im zweiten Wettbewerb der Hallensaison die 20-Meter-Marke fällig. Bei den Hallenmeisterschaften von Mecklenburg-Vorpommern in Neubrandenburg kratzte er erst mit 19,94 Metern daran, dann flog die Kugel mit 20,14 Metern darüber hinaus.

Es ist eine Weite, die im Kugelstoßen der Männer die Spreu vom Weizen trennt. Sechs deutsche Athleten konnten sie in den vergangenen zehn Jahren in der Halle übertreffen. Darunter 2012 auch Candy Bauer (LV 90 Erzgebirge). Dieser hatte mit seinem Trainer Sven Lang ebenfalls den Umstieg vom Angleiten zur Drehstoß-Technik gewagt. Jetzt ist Sven Lang wieder gefragt, denn er steht seit 2016 auch an der Seite von Patrick Müller.

Frust wandelt sich in Motivation

Patrick Müller war damals als großes Talent zur Trainingsgruppe des Kugelstoß-Bundestrainers in Chemnitz dazugestoßen. Als einstiger U18-Weltmeister und als Nummer elf der Welt in der U20-Altersklasse. Aber schon zu diesem Zeitpunkt haderte der junge Athlet mit seiner Entwicklung. „Vielleicht habe ich mich auch ein bisschen von dem Erfolg irritieren lassen und von den Erwartungen, die auf einen einstürzen“, sagt er heute. „Man denkt dann auch selbst: Eigentlich müsstest du jetzt viel weiter sein…“

Der Kugelstoßer setzte sich unter Druck, war frustriert darüber, dass er eingefahrene Muster nicht abstellen konnte: „Man kennt seine Fehler, der Trainer sagt einem irgendwie immer dasselbe. Und man kann es nicht umsetzen“, blickt er auf die schwierige Zeit zurück. „Patrick hat schon immer ordentlich trainiert“, erklärt Sven Lang, „aber wie die Motivation aussieht, wenn man auf der Stelle tritt, brauche ich ja niemandem zu erklären.“

Irgendwann zeigte ihm Patrick Müller die Videos von seinen Drehstoß-Versuchen. „Das sah schon ganz gut aus“, schmunzelt Sven Lang. Trainer und Athlet waren sich direkt einig: Mit dieser Technik soll ihr gemeinsamer Weg weiter gehen. Die Entscheidung fiel noch im Sommer, vor der U23-EM in Bydgoszcz (Polen). Dort wurde Patrick Müller mit der alten Technik und 19,23 Metern Sechster. Seit Oktober feilt das Duo nun am Drehstoß.

Tipps von US-Erfolgstrainer Don Babbitt

Bei der <link news:60867>DLV-Wurfkonferenz in Kienbaum konnten sich beide im November sogar Tipps von einem ausgewiesenen Drehstoß-Experten holen: Der US-Amerikaner Don Babbitt, einst Trainer des Olympiasiegers von 2004 Adam Nelson und des Olympia-Dritten von 2012 Reese Hoffa, war als Referent geladen. „Wir setzen viel von dem um, was er uns gezeigt hat“, sagt Patrick Müller. „Aber er hat auch gesagt, dass man sich besonders im Drehstoßen keine Technik einfach abgucken kann – man muss eine finden, die zu einem passt. Da haben wir viel rumprobiert.“

Eine bisherige Schwäche des jungen Athleten stellt sich dabei nun als gewinnbringend heraus: „Patrick hatte beim Angleiten zwei festgefahrene Fehler, die schwer zu beheben waren“, erklärt Sven Lang. „Dazu zählte auch das Setzen des Stemmbeins, bei dem er nicht in die volle Streckung gekommen ist.“ Beim Drehstoßen ist das auch gar nicht nötig – im Gegenteil. Der Athlet dreht beim Ausstoßen über das Bein hinweg, ähnlich wie auch beim Diskuswurf.

„Dass ich früher viel Diskus geworfen habe, kommt mir jetzt zugute“, bestätigt auch Patrick Müller, dem der Trainer eine sehr gute Schnellkraft und gute reaktive Fähigkeiten bescheinigt. „Er bringt gute Voraussetzungen und ein gutes Gefühlt mit.“ 2013 hatte der talentierte Leichtathlet als 17-Jähriger die 1,5 Kilogramm-Scheibe auf über 60 Meter geschleudert, er zählte damit in der U18-Altersklasse zu den Top 15 der Welt.

Technik stabilisieren, Leistung festigen

Bis zur Weltspitze im Kugelstoßen der Männer ist es noch ein weiter Weg. Auch aufgrund der Verbreitung der Drehstoß-Technik hat die Leistungsentwicklung in vielen Ländern hier zuletzt noch einmal rasant an Fahrt aufgenommen: Fünf Athleten haben 2017 die 22-Meter-Marke überboten, weitere 16 ließen die Kugel jenseits der 21 Meter einschlagen. Aber die ersten großen Schritte sind gemacht. In der weiteren Hallensaison gilt es nun, die Technik zu festigen und die ersten Weiten des Jahres zu bestätigen.

„Wenn Patrick sich auf diesem Niveau stabilisieren kann, wäre das absolut ok“, sagt Sven Lang. „Ich werde einen Teufel tun und hier Druck aufbauen.“ Zumal die Planung wie bei so vielen anderen Athleten langfristig auf den Sommer mit der Heim-EM in Berlin ausgerichtet ist. Bei 20,00 Metern glatt liegt die Norm. Eine Marke, die lange so weit entfernt schien und nun zum realistischen Ziel wurde.

Über Rochlitz und Sassnitz nach Dortmund

An seinem 22. Geburtstag steigt Patrick Müller in Rochlitz (4. Februar), wieder in den Ring, dann am 11. Februar in Sassnitz auf Rügen und am 17. Februar bei der Hallen-DM in Dortmund. Gemeinsam mit David Storl, der irgendwie ja auch daran beteiligt war, dass nun ein starker nationaler Konkurrent mehr heranwächst – und der sich darüber vermutlich ebenso freut wie der Rest der Kugelstoß-Szene.

Und wenn’s in den kommenden Wettkämpfen mal nicht so rund läuft für Patrick Müller, dann kann er sich einfach wieder diesen einen Moment ins Gedächtnis rufen, der vielleicht so etwas wie der endgültige Neustart war. „Ich habe gesehen, wie die Kugel hinten aufgekommen ist, und mich schon gefreut“, erinnert er sich an den dritten Versuch von Neubrandenburg. „Dann stand ich beim Abmessen am Ring direkt daneben. Und habe die Zwei vorne gesehen. Das war ein geiles Gefühl!“

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