| Leute

Patrick Zwicker - Mental gestärkt zu neuen Zielen

2013 legte Patrick Zwicker (LC Rehlingen) die 800 Meter in 1:46,04 Minuten zurück und wurde U20-Europameister. Die Qualifikation für die EM in Zürich schien in diesem Sommer nur Formsache zu sein. Doch die Form- wurde zur Kopfsache. Der 20-Jährige lief vergeblich der EM-Norm hinterher. Zwicker hatte zu viel gewollt. Das soll ihm nicht noch einmal passieren.
Martin Neumann

Nachtschwärmer in Ulm wären sicher überrascht gewesen: Gegen halb fünf Samstagfrüh – wenige Stunden vor den Deutschen Meisterschaften Ende Juli – war auch Patrick Zwicker unterwegs. Der 800-Meter-Läufer vom LC Rehlingen suchte allerdings nicht wie andere in den Morgenstunden den Weg nach Hause, sondern Schlaf. Es war der letzte Versuch des 20-Jährigen, doch noch für ein paar Stunden ins Reich der Träume zu entgleiten. Gelingen wollte es auch nach dem Spaziergang nicht.

So stand Patrick Zwicker am DM-Samstag im Donaustadion an der Startlinie, ohne eine Minute geschlafen zu haben. Dementsprechend war auch das Vorlauf-Ergebnis: Mit 1:50,65 Minuten qualifizierte er sich als Achtschnellster mit Ach und Krach fürs Finale am Sonntag. „Ich habe das Rennen als zweite Chance gesehen“, sagt der 20-Jährige rückblickend. Im Endlauf kam er – auch dank des nötigen Schlafs – besser klar und wurde mit 1:49,60 Minuten immerhin Vierter.

Zu viel erwartet

Nach Ende der Saison begab sich der U20-Europameister zusammen mit seinem Trainer Adi Zaar auf Ursachenforschung. Warum war er vor Ulm so nervös, dass er nicht schlafen konnte? Wieso kam er 2014 nicht an seine Bestzeit von 1:46,04 Minuten aus dem Vorjahr heran? Das waren die zentralen Fragen. Drei Antworten fanden die beiden: „Mein Trainer hat mich sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Meine eigene Erwartungshaltung war einfach zu groß. Die EM in Zürich spukte vor Ulm in meinem Kopf herum. Das war für einen 20-Jährigen vielleicht zu viel“, gesteht der Rehlinger ein.

Dazu kamen zwei weitere Faktoren: So musste der Mittelstreckler die Doppelbelastung von Abitur und Hochleistungssport meistern. Dazu kam im April eine schwere Blutvergiftung im Trainingslager in Zinnowitz, ausgelöst von einer entzündeten Blutblase am Sprunggelenk. Zwei Wochen musste Zwicker komplett pausieren. Keine optimalen Voraussetzungen auf der Jagd nach Bestzeiten, „obwohl die Trainingswerte gepasst haben“, wie der 20-Jährige betont.

Der unrunde Saisonaufbau spiegelte sich auch in den Zeiten des 20-Jährigen wider. Erst langsam kam Patrick Zwicker im Sommer in Fahrt. Mitte Juli lief er in Mannheim in 1:46,69 Minuten Saisonbestzeit und die bisher zweitschnellste Zeit seiner Karriere. 44 Hundertstel fehlten zur EM-Norm, die der spätere Deutsche Meister Dennis Krüger (1. VfL Fortuna Marzahn) als Sieger des Rennens (1:45,79 min) klar unterbot.

Rat von Experten

Nach der insgesamt verkorksten Saison suchte der U20-Europameister nicht nur Rat bei Familie, Freunden und seinem Trainer („sie kennen mich am besten“), sondern nahm auch psychologische Hilfe in Anspruch und suchte das Gespräch mit Edgar Itt. Der ehemalige Weltklasseläufer über 400 Meter Hürden und Olympia-Dritte von 1988 mit der 4x400-Meter-Staffel arbeitet seit Jahren als Mentalcoach. Auch dem DLV-Top-Team stand er schon mit Rat zur Seite. „Dieses Gespräch hat mich sehr weitergebracht“, verrät Zwicker.

Mittlerweile ist der Mittelstreckler wieder voll ins Training eingestiegen. Bis zu 13 Trainingseinheiten pro Woche stehen momentan auf dem Trainingsplan. Auch die regenerativen Programme spult er lieber laufend ab, als eine Rad- oder Aquajoggingeinheit zu absolvieren. „Ich sehe meine Passion auf zwei Beinen“, sagt Zwicker mit einem Lachen.

Auf Crossläufe folgt Hallensaison

Diese Begeisterung fürs Laufen schließt auch Wettkämpfe mit ein. So wird der Saarländer im November bei zwei Cross-Wettkämpfen starten: am 16. beim deutschen Klassiker in Darmstadt und eine Woche zuvor in Metz (Frankreich). Kein gewöhnliches Programm für einen 800-Meter-Spezialisten. Schließlich misst in Darmstadt die Strecke für die U23-Klasse stolze 8.500 Meter. In der offenen Klasse sind  bei den Männern immerhin noch 6.700 Meter zu bewältigen.

Von Dezember an werden dann auch im Training wieder die Spikes angezogen, um sich den Feinschliff für die anstehende Hallensaison zu holen. Starts bei zwei, drei hochkarätigen Meetings sind neben der Hallen-DM geplant. „Düsseldorf und Karlsruhe sind neben der Hallen-DM angedacht, dazu vielleicht noch Gent“, so Zwicker.

„Wenn es klappt, würde ich auch gern bei der Hallen-EM in Prag dabei sein“, ergänzt er. Dafür wird wohl eine Zeit um 1:47,70 Minuten nötig sein. Zwickers Bestzeit unterm Hallendach steht bei 1:47,64 Minuten. Allerdings können einige deutsche Mittelstreckler diese Zeit in Winter laufen.

Marc Osenberg als Manager engagiert

Um auch im Sommer bei gut besetzten Meetings einen Startplatz zu ergattern, hat sich der BWL-Student Manager Marc Osenberg angeschlossen. Der ehemalige Stabhochspringer und sportliche Chef des PSD-Bank-Meetings in Düsseldorf ist seit Jahren in der Szene vernetzt und soll seinem neuen Schützling entsprechende Startgelegenheiten vermitteln.

Schließlich ist es speziell bei Mittelstreckenrennen wichtig, so lange wie möglich im Feld „mitzuschwimmen“ und so zu neuen Bestzeiten gezogen zu werden. estes Beispiel ist Sören Ludolph. Der Braunschweiger lief 2012 in Hengelo (Niederlande) als Sechster 1:44,80 Minuten und qualifizierte sich für die Olympischen Spiele in London.

Fokus auf U23-EM

Eine Zeit von unter 1:45,50 Minuten müsste Patrick Zwicker wohl anbieten, um 2015 bei der WM in Peking (China) dabei zu sein. Die offiziellen WM-Normen werden vom IAAF-Council erst im November bekannt gegeben, können aber von den nationalen Verbänden noch verschärft werden.

Der Start im Olympiastadion von 2008 – dem „Vogelnest“ – hat für den 20-Jährigen aber keineswegs oberste Priorität. „Mein Fokus liegt auf der U23-EM in Tallinn. Der Aufbau ist ohnehin langfristig Richtung Olympia 2016 ausgelegt“, stellt Zwicker die Zielrichtung klar. In der Hauptstadt Estlands will er ins Finale laufen. Dort sei in einem Meisterschaftsfinale dann vieles möglich, betont er.

Die Chancen dafür stehen gut: Nur sechs Läufer, die 2015 in Tallinn startberechtigt sind, waren in diesem Jahr in Europa schneller als Patrick Zwicker. Die Qualifikation vorausgesetzt, wird ihm der Vorlauf in Tallinn keine schlaflose Nacht bereiten.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024