Patriz Ilg - „Qualität ins Zentrum rücken“
Mit einer Zeit von 8:15,06 Minuten ist Patriz Ilg auch heute noch die Nummer acht in der ewigen deutschen Bestenliste über die 3.000 Meter Hindernis. In Erinnerung geblieben sind aber vor allem der Gewinn des EM-Titels 1982 und die Goldmedaille bei der Weltmeisterschaft ein Jahr später. Über viele Jahre war der heute 53-Jährige das Aushängeschild der deutschen Laufszene und vor allem für seine starke Psyche bekannt.
Patriz Ilg, seit Sie Ihre aktive Laufbahn beendet haben, sind einige Jahre vergangen. Verfolgen Sie heute noch die Leichtathletik?Patriz Ilg:
Ja, natürlich. Sie ist zwar leider nicht mehr das, was sie einmal war, aber hin und wieder verfolge ich sie schon.
Dann wissen Sie sicher, dass die letzte Goldmedaille eines deutschen Läufers bei einer Weltmeisterschaft lange zurückliegt. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Gründe hierfür?
Patriz Ilg:
Insgesamt muss man festhalten, dass die Leichtathletik generell an Boden gegenüber anderen Sportarten verliert. Die Gründe für die Schwächen in der deutschen Laufszene anhand von einem Hauptgrund festzumachen, ist schwierig. Da gibt es vielerlei Aspekte. Zunächst muss man allerdings festhalten, wenngleich die letzten Goldmedaille eines deutschen Läufers bei einer WM in der Tat schon lange zurückliegt, dass es durchaus einige talentierte, junge deutsche Läufer gibt. Das Problem ist von der nationalen in die internationale Spitze zu kommen. Der Weg in die europäische Spitze gelingt ja dem einen oder anderen, aber um in der Weltspitze mitzulaufen, braucht es eine gehörige Portion Talent, Disziplin und den unbedingten Willen nach ganz vorne zu wollen. Ohne das geht es nicht.
Das heißt: Talent, Disziplin und Wille reichen aus, um Weltmeister zu werden?
Patriz Ilg:
Nein, natürlich nicht. Das sind drei wichtige Punkte, aber bei weitem nicht alle. Man muss sein Leben nach dem Leistungssport ausrichten, seinen Beruf oder das Studium auf den Sport auslegen. Das machen derzeit in Deutschland nur die wenigsten und so ist auch der große Rückstand zur Weltspitze zu erklären.
Sie selbst wurden Weltmeister, Europameister und gewannen zudem je einmal EM-Silber und EM-Bronze. Was hat Sie so stark gemacht?
Patriz Ilg:
Wenn man einen Vergleich zwischen den Siebziger und Achtziger Jahren anstellt, dann muss man auch einen Blick auf die Zeiten werfen, die damals gelaufen wurden und die heute gelaufen werden. Da bin ich auch nicht ganz der Meinung von Guenther Lohre, der einmal in einem Artikel gesagt hat, dass die Achtziger Jahre dopingverseucht gewesen seien. Das mag vielleicht auf den einen oder anderen zutreffen, aber für mich und meine Läuferkollegen kann ich sagen, dass wir zusammen mit den Trainern einfach hervorragend gearbeitet haben, nur so ist der Erfolg zu erklären.
Was heißt hervorragend gearbeitet im Detail?
Patriz Ilg:
Wir haben uns nur zwei Dingen verschrieben: Sport und Studium. Das hat in den Siebziger und Achtziger Jahren auf fast alle deutschen Spitzen-Läufer zugetroffen und auch zum Teil noch auf Dieter Baumann, wenngleich er sich dann später doch dem Sportprofitum zugewandt hat. Die Basis für den Erfolg war jedoch die Qualität des Trainings. Ich denke, dass heute zu oft noch die Quantität im Zentrum des Trainings steht, was meiner Meinung nach falsch ist. Die Qualität muss ins Zentrum der Trainingsplanung. Zu Qualität zähle ich auch Trainingswettkämpfe.
Demnach waren Sie kein Athlet, der über hohe Umfänge sein Training aufgebaut hat?
Patriz Ilg:
Genau. Bei mir stand die Qualität immer im Mittelpunkt des Trainings. Ich war immer ein Athlet, der relativ geringe Umfänge, aber dafür sehr intensive und hochdosierte Einheiten gemacht hat.
Angenommen Sie wären Trainer eines deutschen Läufers, was würden Sie anders machen?
Patriz Ilg:
Ich will ja nicht sagen, dass in der Trainingsplanung generell nur Fehler gemacht werden, aber man muss eben hin und wieder auch mal Mut haben und etwas andere Wege gehen. Einfach mal Dinge ausprobieren. Ich habe beispielsweise als einer der Ersten immer sehr viele, harte Bergintervalle gemacht, während andere Athleten nur auf der Bahn trainiert haben. Heute machen das natürlich fast alle Läufer, aber zum damaligen Zeitpunkt haben höchstens die Polen so trainiert. Da war das etwas Exotisches. Was ich damit sagen will: Man sollte vielleicht einfach mal wieder einige Trainingsformen in den Mittelpunkt stellen, die mittlerweile in den Hintergrund gerückt sind.
Kaum ein Athlet verzichtet heute mehr auf Höhentrainingslager. Wie war das bei Ihnen?
Patriz Ilg:
Höhentrainingslager habe ich zum Beispiel nie gemacht. Ich war nicht ein einziges Mal in der Höhe und habe es auch nie versucht. Daher kann ich auch nicht sagen, ob Training in der Höhe etwas bringt. Mein Trainingsgebiet lag allerdings auf einer Höhe von etwa 700 bis 1.000 Metern. Dort habe ich Bergintervalle, polnische Fahrtspiele gemacht und einfach das Gelände genutzt und mitgenommen, um entsprechende Intensitäten zu bekommen. Hinzu kam natürlich Crosstraining. Sehr erfreulich finde ich den Weg, den hier zum Beispiel Steffen Uliczka eingeschlagen hat, indem er im Winter viele Crossläufe absolviert. Das ist in der Vorbereitung für einen Läufer sicherlich der richtige Weg und unverzichtbar, um auf der Bahn die entsprechender Härte zu haben.
Welche Bedeutung hatten für Sie Unter- und Überdistanzrennen?
Patriz Ilg:
Ich habe das zusammen mit meinem Trainer immer ganz genau geplant. Wir haben uns einmal im Oktober/November hingesetzt, um die Hallensaison zu planen und dann wieder im April, um die Hallensaison zu analysieren und die Freiluftsaison zu planen. Ich war eher ein Läufer, der wenige Starts gemacht hat. Über das Jahr verteilt waren das vielleicht 15 bis 20. Das hatte den Vorteil, dass ich im Wettkampf immer frisch und top fit war.
Bei Ihrem WM-Titel 1983 in Helsinki sind Sie mit Vorlauf (8:22,97 min), Halbfinale (8:20,83 min) und dem Finale (8:15,06 min) drei 3.000-Meter-Hindernis-Rennen auf hohem Niveau binnen vier Tagen gelaufen. Wo haben Sie diese Wettkampfhärte hergenommen?
Patriz Ilg:
Ich konnte mich immer sehr genau auf einen Höhepunkt konzentrieren und war mental sehr stark. Das war das Entscheidende.
Wie sind Sie überhaupt zur Leichtathletik gekommen?
Patriz Ilg:
Ich komme eigentlich aus dem Handballsport. Erst mit 18 Jahren habe ich damit aufgehört, als ich gemerkt habe, dass ich in der Leichtathletik einfach die größeren Chancen habe und eher ein Individualsportler bin. Deswegen habe ich mich dann voll und ganz auf das Laufen konzentriert.
Was muss ein deutscher Läufer heute mitbringen, um in der Weltspitze mitzulaufen?
Patriz Ilg:
Ein erfolgreicher Läufer braucht zunächst ein sehr großes Talent, Biss, Ehrgeiz, Willen und das entsprechende Umfeld dazu. Wenn er das alles hat, kann er in die Weltspitze vorlaufen, davon bin ich absolut überzeugt.
Das Interview mit Patriz Ilg ist Teil einer leichtathletik.de-Serie zum Thema "Laufexperten", die vor allem die Brücke von vergangenen Erfolgen zur momentanen Lage im Laufbereich schlagen, Einschätzungen und Anregungen geben soll. Lesen Sie auch:
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