| Karriereende

Paula Radcliffes großer Abschied in London

Nach über 20 Jahren Leistungssport auf höchstem Niveau hat Paula Radcliffe am vergangenen Sonntag beim London-Marathon (Großbritannien) ihre Karriere offiziell beendet. Die 41 Jahre alte Britin startete bei jenem Rennen, bei dem sie als Kind einst an der Strecke stand, um ihren Vater anzufeuern. Ihre damalige Begeisterung war der Auslöser für eine einmalige Karriere, die sie in mancherlei Hinsicht zur besten Langstreckenläuferin aller Zeiten machte.
Jörg Wenig

Das Marathon-Weltrekordrennen von Paula Radcliffe von London 2003 dürfte die beste jemals erzielte Leistung im Frauen-Langstreckenlauf sein. Ihre Londoner Fabelzeit von 2:15:25 Stunden ist bis heute unerreicht – sie stieß in neue Dimensionen vor, die bis dahin Männern vorbehalten waren. Und es spricht viel dafür, dass dieser Rekord noch längere Zeit stehen wird.

Gefeiert von hunderttausenden Zuschauern am Streckenrand lief Paula Radcliffe am Sonntag beim London-Marathon auf Rang 20 nach 2:36:55 Stunden ins Ziel – ein Stück schneller als geplant und als die eingeschränkten Vorbereitungen eigentlich erlaubten, doch die Zuschauer trieben sie an.

„Ich werde diese Zeiten vermissen. Ich hatte das Glück, dass meine Karriere zugleich mein Hobby war – und das ist heute nicht das Ende. Ich werde immer eine Läuferin bleiben, nur eben nicht mehr im leistungssportlichen Bereich. Wann immer ich nicht laufen konnte, habe ich gemerkt, was für ein Geschenk der Laufsport ist – wenn ich laufe, fühle ich mich besser“, sagte Paula Radcliffe, die in den letzten Jahren auch als TV-Kommentatorin für die BBC gearbeitet hat.

Verpasste Medaillen auf den Stadionrunden

In der Grundschule hatte Paula Radcliffe einst mit der Leichtathletik begonnen. Als 11-Jährige schloss sie sich dem Leichtathletik-Verein Bedford & County an. Ihr damaliger Trainer Alexander Stanton machte sie zu einer Weltklasse-Läuferin und beriet sie bis zum Ende ihrer Karriere. Der Verein war für die jugendliche Paula Radcliffe ein Mittelpunkt ihres Lebens.

Mit 17 Jahren gewann die Engländerin im Cross ihren ersten nationalen Jugend-Einzeltitel. Als 18-Jährige wurde sie Cross-Weltmeisterin bei den Juniorinnen. Die WM in Stuttgart 1993 war für Paula Radcliffe – sie studierte damals Französisch und Deutsch in Loughborough – die erste große internationale Meisterschaft im Sommer. Damals wurde sie Siebte in jenem 3.000-Meter-Finale, in dem die Chinesinnen überraschend alle Medaillen gewannen.

Britischer "fighting spirit"

In den folgenden Jahren verbesserte sich Paula Radcliffe stetig, doch zugleich erlief sie sich das Image der ewigen Verliererin. Immer wieder war sie in großen Finals couragiert gelaufen wie keine andere – immer wieder war sie am Ende geschlagen. Fünfte bei der WM 1995 und bei Olympia 1996 über 5.000 Meter, Vierte über die gleiche Distanz bei der WM 1997, geschwächt von einem Virus wieder nur Fünfte bei der EM 1998 über 10.000 Meter.

Einmal mehr geschlagen im Schlussspurt, aber immerhin Zweite bei der WM 1999 sowie noch zweimal Vierte bei Olympia 2000 und der WM 2001, jeweils über 10.000 Meter. Unglücklicher konnte die Bilanz kaum sein. Doch eine von Paula Radcliffes Stärken ist der britische „fighting spirit“ – sie gab nie auf. Nach Olympia im australischen Sydney 2000 sagte sie sich: „Beim nächsten Mal wird es anders.“

Weltmeistertitel, Welt- und Europarekorde

Und tatsächlich – nach Sydney folgten große Siege: Die Engländerin wurde in den Jahren 2000, 2001 und 2003 Halbmarathon-Weltmeisterin und 2001 und 2002 Cross-Weltmeisterin. Auch auf der Bahn lief sie nun zu ihren ersten Goldmedaillen: Bei den Commonwealth Games 2002 in Manchester über 5.000 Meter und bei den Europameisterschaften in München im gleichen Jahr über 10.000 Meter, wobei sie im strömenden Regen mit 30:01,09 Minuten einen sensationellen Europarekord aufstellte.

Doch beeindruckender war das, was Paula Radcliffe auf der Straße und speziell im Marathon erreichte. Sie stellte zwei Weltrekorde über 5 Kilometer auf (14:57 und 14:51 min), hält nach wie vor den 10-Kilometer-Weltrekord (30:21 min) und lief eine Halbmarathonzeit von 65:40 Minuten, die über viele Jahre nicht unterboten wurde, jedoch nicht als offizieller Weltrekord gelten konnte, da die Strecke in Newcastle nicht die für Weltrekorde nötigen Bedingungen erfüllte.

Die drei schnellsten Marathon-Zeiten

Ihre Marathonkarriere begann Paula Radcliffe, die sich wie kaum ein anderer Athlet im Anti-Doping-Kampf engagierte, mit einem Paukenschlag: Auf Anhieb lief sie 2002 in London 2:18:56 Stunden und verpasste den damaligen Weltrekord lediglich um zehn Sekunden. Im Herbst brach sie den Rekord dann in Chicago (USA; 2:17:18 h) und im Frühjahr 2003 stürmte sie zu jenen legendären 2:15:25 Stunden. Noch heute hält Paula Radcliffe die drei schnellsten je gelaufenen Zeiten im Marathon und vier der schnellsten zehn Zeiten.

Bei Olympia 2004 in Athen (Griechenland) erlebte sie im Marathon dann jedoch als große Favoritin die wohl größte Enttäuschung ihrer Karriere. In der brütenden Hitze stieg Paula Radcliffe aus. Im November meldete sie sich aber mit einem Sieg in New York (USA) zurück und gewann 2005 überlegen den Marathon-WM-Titel.

Siege in New York

Nach ihrer ersten Schwangerschaft stieg Radcliffe 2007 mit einem weiteren Sieg in New York ein, doch Verletzungen warfen sie immer wieder aus der Bahn. Längst nicht fit, startete sie trotzdem beim olympischen Marathon in Peking (China). Rang 23 war eine Enttäuschung. Wiederum meldete sie sich 2008 mit einem New-York-Sieg zurück. Doch die nächste Zeit war schwierig und von Verletzungen geprägt. 2009 startete sie erneut in New York, dieses Mal blieb ihr nur Rang vier.

Nach ihrer zweiten Schwangerschaft lief die Britin in Berlin 2011 ihren letzten Marathon mit spitzensportlichen Ambitionen: Als Dritte erreichte sie 2:23:46 Stunden. Der olympische Marathon in London sollte 2012 zu einem letzten Höhepunkt werden. Doch wiederum stoppten Paula Radcliffe Verletzungen. Sie ist nicht die einzige große Läuferin, der eine olympische Medaille verwehrt geblieben ist.

Alle Marathonläufe von Paula Radcliffe

Ort und JahrPlatzZeit in Stunden
London 2002  1.2:18:56
Chicago 2002 1.2:17:18 (WR)
London 2003 1.2:15:25 (WR)
Olympia Athen 2004aufg.
New York 2004  1.2:23:10
London 2005 1.2:17:42
WM Helsinki 20051.2:20:57
New York 2007 1.2:23:09
Olympia Peking 2008 23.2:32:38
New York 20081.2:23:56
New York 20094.2:29:27
Berlin 2011 3.2:23:46
London 2015 20.2:36:55

Die besten Marathon-Zeiten aller Zeiten

Zeit in stundenLäuferinOrtDatum
2:15:25  Paula Radcliffe (GBR)London 13.4.2003
2:17:18 Paula Radcliffe    Chicago13.10.2002
2:17:42 Paula Radcliffe    London 17.4.2005
2:18:20 Liliya Shobukhova (RUS)*  Chicago9.10.2011
2:18:37Mary Keitany (KEN) London22.4.2012
2:18:47 Catherine Ndereba (KEN)  Chicago7.10.2001
2:18:56Paula Radcliffe London14.4.2002
2:18:58Tiki Gelana (ETH) Rotterdam 15.4.2012
2:19:12Mizuki Noguchi (JPN)Berlin25.9.2005
2:19:19 Irina Mikitenko (GER) Berlin28.9.2008
2:19:19Mary Keitany  London17.4.2011


* gegen Liliya Shobukhova läuft zurzeit ein Dopingverfahren

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