Pérec, Hurtis & Co. protestieren gegen Rechts
Der Rechtsruck in Frankreich hat die "Grande Nation" überrascht und zugleich verstört. Jean-Marie Le Pen, der erste rechtsradikale Politiker in der Geschichte der fünften Republik, dem der Einzug in die Endrunde gelungen ist, sorgte nach seinem Wahlerfolg in der ersten Runde der Präsidentenwahl dafür, dass Millionen von Menschen in dieser Woche auf die Straße gegangen sind und Front gemacht haben gegen die "Front national", wie Le Pens Partei heißt. Auch zahlreiche Sportler drückten ihren Protest aus, ähnlich wie die Künstler am 1. Mai, und riefen zur Unterstützung des neogaullistischen Staatspräsidenten Jacques Chirac bei der Stichwahl am Sonntag auf.
Offener Brief von Marie-Jose Perec
Marie-José Pérec, die seit ihrer ominösen Abreise aus Sydney die Öffentlichkeit gemieden hat wie die Motten das Licht, meldete sich sogar zu Wort. "Wenn Le Pen an die Macht kommt, dann droht Frankreich die Isolation", klagte Pérec in einem offenen Brief, den sie aus Pointe-à-Pitre, dem wirtschaftlichen Zentrum der Antilleninsel Guadeloupe, nach Frankreich sandte, "deshalb kann es nur eine Lösung geben: Wählt Chirac...""Lasst uns alle ein noch schöneres Frankreich formen", erklärte Pérec, die Gold in Barcelona 1992 über 400 Meter und in Atlanta 1996 über 200 sowie 400 Meter gewonnen hat, "begegnen wir den Herausforderungen mit Kreativität, Leidenschaft und Willenskraft. Und verzichten wir nie auf die Freiheit."
Hallen-Europameisterin Muriel Hurtis schockiert
Muriel Hurtis und Odiah Sidibé, die beiden Sprinterinnen, die bei der WM in Edmonton Bronze mit der 4 x 100-Meter-Staffel geholt haben, zeigten sich ebenfalls verwundert über den Zulauf von Le Pen, der 17,02 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Chirac kam auf 19,67 Prozent. "Ich bin geradezu schockiert, dass die Rechtsextremen eine solche Anziehungskraft auf die Wähler haben", sagte Hurtis, die bei der Hallen-EM in Wien Erste war über 200 Meter. "Dieses Votum zeigt, dass viele Franzosen mit der aktuellen Politik nicht einverstanden sind. Doch ich glaube nicht, dass Frankreich ein rassistisches Land ist." Le Pen profitierte vor allem von der Angst der Bürger vor Arbeitslosigkeit und Kriminalität. "Die Menschen wollten ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen", fügte Sidibé hinzu, "es gibt zwar viele Pläne, aber es hat sich in der Vergangenheit nichts getan." Sie kann sich nicht vorstellen, dass Le Pen, der Front-Führer, in den Élysée einziehen wird. "Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte", betonte Sidibé, "die Franzosen haben es verstanden und reagiert." Landesweit, von Lille bis Marseille, haben sie gegen die rechte Gefahr demonstriert. "Am Sonntag", schaute sie voraus, "werden sich nicht mehr so viele der Stimme enthalten." Denn die Wahlbeteiligung bei der ersten Runde vor zwei Wochen lag nur bei 78 Prozent.
Auch klare Worte von Sprinter Ato Boldon
Ato Boldon aus Trinidad, Ex-Weltmeister über 200 Meter, sprach von einem "Horror-Ergebnis" und malte gar ein Schreckensbild an die Wand. "Das ist das Ende der Welt", meinte Bolden, "wenn ich sehe, dass ein Typ wie Le Pen auf der Titelseite der Los Angeles Times abgebildet wird, bin ich entsetzt. Diese Entwicklung ist fürchterlich für einen wie mich, der Frankreich liebt." Wie er denken mittlerweile viele.
So haben sich zahlreiche Sportler der "Équipe tricolore" in einem gemeinsamen Appell für Amtsinhaber Jacques Chirac, den volksnahen Landesvater und Verfechter traditioneller Werte, eingesetzt und vehement gegen Le Pen Stellung bezogen. Sie zeigten dem Rechtsextremismus "le carton rouge", die rote Karte, wie Zinédine Zidane, der Welt bester Fußballer, sich ausdrückte.