Petra Lammert - „Wie russisches Roulette“
Noch im vergangenen Jahr war die sportliche Zukunft von Kugelstoßerin Petra Lammert nach einem schweren Trainingsunfall mehr als ungewiss. Bei den Hallen-Europameisterschaften in Turin (Italien) feierte die 25 Jahre alte Neubrandenburgerin als Siegerin ein grandioses Comeback. Im Interview spricht sie unter anderem über ihre Verletzung und den Wettkampf in Turin.
Petra Lammert, herzlichen Glückwunsch zum Titel. Denise Hinrichs hätte Ihnen im letzten Durchgang noch als Einzige den Sieg entreißen können. Wie haben Sie ihren letzten Versuch erlebt? Petra Lammert:Der Versuch war schon sehr überraschend, für jeden wohl. Ich wusste nicht, wie weit er war, nur dass er weit war und in den Bereich meines weitesten Stoßes kommen könnte. So gezittert habe ich noch nie in meinem Leben. Aber dann waren es nur drei Zentimeter, die uns getrennt haben, und ich war die Bessere.
Ihr erster Versuch war bereits der Siegesstoß. Haben Sie da schon gedacht, dass er zum Sieg reichen würde?Petra Lammert:
Ja, wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht ernsthaft gedacht, dass ich mit dem Stoß noch verlieren kann. Wenn ich mir die Vorleistungen der anderen Stoßerinnen angeschaut habe und selbst wenn sie sich noch 20 Zentimeter gesteigert hätten, hätte das reichen müssen. Ich wollte dann noch einmal einen raus lassen, weil ich wusste, ich kann das auch. Ich hatte gemerkt, ich habe die physischen und psychischen Kräfte. Ich wollte noch einmal meine ganze Kraft mobilisieren und dann ging gar nichts mehr, weil ich es mit der Brechstange versucht habe. Im letzten Versuch habe ich mir noch 19,39 Meter raus gequält.Mit welcher Zielstellung sind Sie in den Wettkampf gegangen? Petra Lammert:
Ich bin natürlich schon nach Turin gefahren, um eine Medaille zu gewinnen. Es wäre gelogen gewesen, wenn ich nur gesagt hätte, ‚Mal sehen was geht‘, obwohl das mit meinen Ellbogenproblemen vielleicht berechtigt gewesen wäre. Aber da ich auch gute Trainingsergebnisse gehabt hatte, wollte ich schon ganz vorne mit dabei sein.Haben Sie sich eine solche Weite von 19,66 Metern, mit der Sie jetzt letztlich auch gewonnen haben, im Vorfeld zugetraut?Petra Lammert:
Wenn ich nach meinem Training der Tage davor gehe, hätte ich nicht damit gerechnet. Das ist ein tolles Comeback, ich hätte nicht geglaubt, dass ich in der Hallensaison schon zu einer solchen Leistung fähig bin. Das ist Wahnsinn, der Hammer. Ich wollte eigentlich langsam wieder anfangen. Jetzt bin ich einfach nur glücklich und muss das erstmal verarbeiten.Sie haben Ihre Verletzung im vergangenen Jahr angesprochen. Was genau war da passiert?Petra Lammert:
Ende Mai im Trainingslager in Kienbaum haben wir im Training auf Weite gestoßen. Bei einem Nach-Umsprung bin ich nicht gegen, sondern auf den Balken gekommen, der zwei Zentimeter zu niedrig war. Ich bin ausgerutscht und auf den ausgetreckten Arm geflogen. Dabei ist mir das Radiusköpfchen im Ellbogen herausgesprungen. Das waren höllische Schmerzen, weil auch der Sehnen- und Bänder-Apparat kaputt und die Kapsel inkomplett gerissen war.Ist die Verletzung operiert worden?Petra Lammert:
Nein, da es nur inkomplett kaputt war, wurde mein Arm mit einer Orthese für drei Wochen ruhig gestellt und ich wurde stationär in Berlin behandelt. Es hat aber lange gedauert, bis alles zusammengewachsen und Vernarbungen eingetreten waren. Dazu kam noch eine Entzündung von den Zähnen, von Gelenken und der Kapsel.Wie ging es Ihnen nach der Verletzung?Petra Lammert:Ich war verzweifelt und enttäuscht, nachdem ich die Olympischen Spiele abhaken musste. Man wusste ja gar nicht, ob mein verletzter Ellenbogen überhaupt noch einmal in Ordnung kommen würde. Am Anfang hat es nicht so ausgesehen, als würde ich überhaupt wieder in die Kugelstoßszene zurückkehren.
Seit wann können Sie wieder trainieren?
Petra Lammert:
Im Oktober habe ich wieder mit Frontalstößen mit der Drei-Kilo-Kugel angefangen. Das wurde von Mal zu Mal besser. Das war für meinen Trainer Dieter Kollark und mich ein Aha-Erlebnis. Denn am Anfang hatten wir gedacht, ich könne nie wieder stoßen, denn der Ellbogen ist das Wichtigste für eine Kugelstoßerin. Es war ein super Gefühl, wieder stoßen zu können.
Haben Sie jemals in dieser Zeit ans Aufgeben gedacht?Petra Lammert:
Nein. Ich dachte, das kann nicht mein Ende sein. Ich muss weiter kämpfen und versuchen, den Arm wieder voll durchzustrecken und maximal zu beugen. Daran habe ich ganz hart gearbeitet. Und jetzt wurde ich dafür belohnt.
In einem Interview hatten Sie gesagt, dass Sie noch immer Schmerzen haben und es für den Arm eventuell sogar besser gewesen wäre, nicht zu stoßen und eine Pause zu machen. Wieso sind Sie im Winter trotzdem bei Wettkämpfen angetreten?Petra Lammert:
Die Hallensaison war auch dafür gut, einmal auszutesten, wie der Arm auf Stresssituationen reagiert, auch wenn man mal auf Schmerzen drauf trainiert. Ich denke, es ist besser, das Ganze in der Halle auszuprobieren, anstatt im Sommer, wenn es dann wirklich darauf ankommt. Aber bis jetzt konnte ich nicht schmerzfrei trainieren. Außerdem habe ich auch die Stöße gebraucht. Zuletzt habe ich so viele Stöße in der Woche gemacht, wie vor der Verletzung am Tag. Woher soll da die Stabilität kommen? Aber irgendwie kam in Turin die Weite trotzdem - aber es war ein bisschen wie russisches Roulette.
Hatten Sie während des Wettkampfs in Turin noch Schmerzen im Ellbogen, die Sie behindert haben?Petra Lammert: Ich habe nichts mehr gespürt. Das Adrenalin und die Aufregung haben wahrscheinlich alles betäubt.
Gönnen Sie dem Arm jetzt erst einmal ein bisschen Ruhe?Petra Lammert: Ja. In einer Woche fahren wir für zwei bis drei Wochen ins Trainingslager nach Bulgarien auf den Belmeken (ein Gebirgszug, Anm. d. Red.). Dort geht es um allgemeines Konditionstraining. Das heißt Ausdauer und allgemeines Kraft-Training, eine Rundum-Erneuerung und breite Grundlage für das darauf folgende spezielle Training. Wir machen Skilanglauf, das ist mein größter Graus, obwohl ich ja aus einer Skiregion, dem Schwarzwald, komme. Aber ein bisschen Ausdauer brauchen wir Kugelstoßer eben auch. Am 1. Mai geht es dann für den Feinschliff nach Portugal.
Die Hallensaison ist jetzt beendet. Wie fällt Ihr Fazit aus?Petra Lammert:
Es hat sicherlich Höhen und Tiefen gegeben. Aber an dem Tag, an dem es darauf ankam, war ich topfit. Ich kann wirklich zufrieden sein.
Was haben Sie sich für den Sommer als Ziel gesetzt?Petra Lammert:
Bestleistung! Wenn mein Arm mitmacht, will ich auf jeden Fall über 20 Meter stoßen, am besten bei der WM in Berlin. Dann wäre nur noch die Frage, wie sieht die Medaille aus.