Maurice Greene haut auf die Pauke
Maurice Greene, der Vollblut-Sprinter, ist kein Freund der leisen Töne. Ihn reden zu hören erweckt bisweilen den Eindruck, als wolle ein Marktschreier seine Kundschaft bei Laune halten. „Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann ich Weltrekord laufen“, haute der Maestro verbal auf die Pauke, „nichts ist unmöglich. Wenn du nur daran glaubst, kannst du alles erreichen.“ An Selbstbewusstsein und dem nötigen Gottvertrauen fehlt es ihm bestimmt nicht: „Ich glaube an meine Fähigkeiten“, tönte er vollmundig, „und mit Gottes Hilfe ist alles machbar.“
Große Klappe, schnell dahinter: Maurice Greene (Foto: Crespel)
Typisch Maurice Greene! Er redet gern länger als er läuft. „Du brauchst einen besonderen Tag“, verkündete der 27-jährige US-Boy in einem Interview mit der englischen Agentur „Press Association“, „ich weiß, dass ich das Zeug dazu habe.“ Wie einst Cassius Clay, der unvergessene Box-Champ vergangener Tage, trommelte er mit flotten Sprüchen und machte kräftig Werbung für seinen Auftritt beim „Norwich Union Classic“ in Sheffield, einem Grand Prix II-Meeting, das am 30. Juni im „Don Valley Stadium“ ausgetragen wird. „Ich werde den Leuten was bieten, an das sie noch lange zurückdenken werden“, trieb er die Erwartungen in die Höhe, „ich möchte stets eine große Show abliefern, damit sich alle an mich erinnern werden, wenn sie mich laufen sehen.“Kansas Cannonball auf der Bahn
Der Mann könnte auch als hoch bezahlter Entertainer im Fernsehen Karriere machen. „Kansas Cannonball“ rufen sie ihn, die Kanonenkugel aus Kansas. Olympiasieger ist er. Und dreimaliger Weltmeister, noch dazu in Serie, was vor ihm nur „Carl, dem Großen“, Lewis mit Nachnamen, gelungen ist. „In Athen 2004“, prophezeite Greene, „werde ich meinen Titel verteidigen.“ Dann ist er gerade 30, kein Alter, in dem man die Spikes in die Ecke pfeffert. „Als ich in Sydney die 100 Meter gewonnen habe, war das ein Gefühl, wie ich es nie zuvor gespürt habe.“ Unglaublich und schwer in Worte zu fassen. „Mein ganzes Leben lang habe ich dafür geschuftet, und als ich die Ziellinie überquert habe, war das für mich das Größte.“
Ein „Street Fighting Man“ war er, einer, der auf der Straße das Kämpfen gelernt hat, um zu überleben. Maurice Greene ist Zeit seines Lebens nichts geschenkt worden. In einem Fast-Food-Restaurant hat er für eine Handvoll Dollar das Geschirr gespült, hat dann Lastwagen beladen und Greyhounds, jene dürren Windhunde, die pfeilschnell auf den Beinen sind, für ihre Rennen warm gelaufen. „Was hatte ich für beschissene Jobs“, schaute er mit Schaudern zurück, „aber jetzt habe ich einen Guten.“ Und einen Lukrativen obendrein.
Ein Top-Verdiener der Branche
Ja, ja, jetzt zählt er zu den Top-Verdienern der Branche. Maurice Greene diktiert den Preis. Und überspannt bisweilen den Bogen bei seinen Honorarforderungen. Egal, ihn kratzt das herzlich wenig. „Ich bin nun mal der Beste“, sagte er in seiner ihm eigenen Bescheidenheit und drohte den Mitkonkurrenten bereits einen heißen Sommer an, „ich habe mich nach der WM in Edmonton gut erholt und fühle mich schon wieder prima in Schuss.“ John Smith, früher ein hervorragender Viertelmeiler, heute ein erfolgreicher Coach, der zuvor bereits Marie-José Pérec, Kevin Young und Quincy Watts zu Olympiasiegern formte, hat ihn fit getrimmt in den vergangenen Wochen und Monaten. Im September 1996 begann ihre medaillenträchtige Zusammenarbeit, als Greene vom staubigen Kansas City ins glamouröse Los Angeles umzog. „Mein Training ist ausgezeichnet verlaufen. John Smith hat mich auf neue Gipfel geführt“, erklärte er in seiner blumigen Sprache, „wir verfolgen ein gemeinsames Ziel, und ich weiß, dass ich ein starkes Jahr haben werde.“
Unter 9,60 Sekunden?
Natürlich will der 100-Meter-Champion den Weltrekord aufs Korn nehmen. Den hält er höchstpersönlich mit 9,79 Sekunden, aufgestellt im Juni 1979 in Athen. John Smith, der Stein und Bein schwört, dass sein Camp in Kalifornien eine dopingfreie Zone sei, hält Zeiten sogar unter 9,60 für durchaus realistisch. Maurice Greene, sein bestes „Pferd“ im Rennstall, lächelte milde ob der forschen Aussage, doch wollte er seinem Mentor nicht widersprechen.
Welcher Meeting-Direktor auch immer den Muskel bepackten Modellathleten künftig verpflichtet, sollte seine Rekordprämie schon im Vorfeld gut versichern lassen. Damit er nicht hinterher über ein riesengroßes Loch im Etat bittere Klagelieder anstimmen muss. Denn bei einem wie Maurice Greene ist nichts unmöglich.