| Interview DLV-Lauf-Symposium

Prof. Dr. Roland Döhrn: „Portfolio an Laufveranstaltungen wird größer“

Mit Zahlen umgehen kann Prof. Dr. Roland Döhrn richtig gut. Sowohl beruflich als auch privat. Denn der Leiter des Kompetenzbereichs „Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen“ beim RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen hat sich auch den Statistiken im Laufbereich verschrieben. Im Interview erläutert er seine Erkenntnisse zur Laufmarkt-Analyse, über die er auch beim Lauf-Symposium des DLV am vergangenen Samstag in Siegen berichtete.
Michael Wiener

Professor Döhrn, Sie haben seit 2003 eine Datenbank mit mehr als 500 Laufveranstaltungen aufgebaut und analysieren anhand dieser den Laufmarkt in Deutschland. Was hat Sie dazu inspiriert?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Ich bin selbst in die Organisation von Laufveranstaltungen eingebunden, zwischenzeitlich habe ich vier Jahre den Marathon rund um den Baldeneysee in Essen federführend organisiert. Der Ursprung war, dass wir einen ungewöhnlich schwachen Melde-Eingang bei einer unserer eigenen Veranstaltungen hatten und ich mal gucken wollte, wie es insgesamt aussieht. Erstmal hatte ich nur Marathonläufe in meiner Datenbank. Dann habe ich sie langsam ausgebaut und die Verfahren und Methoden, die ich beruflich anwende, auch auf diese Fragestellungen adaptiert.

Ist die Laufmarkt-Analyse für Sie ein Hobby?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Natürlich gehe ich mit meinem beruflichen Wissen ran. Aber es ist eine Entspannung für mich; eine Abendbeschäftigung, wenn der Rest der Familie manchmal schon im Bett ist. Ich bin früher als Jugendtrainer in der Leichtathletik tätig gewesen. Das war irgendwann berufsbedingt nicht mehr möglich. Später war ich im Vorstand der Leichtathletik-Abteilung von TuSem Essen. So bin ich auch zum Organisationsteam unserer Veranstaltungen gekommen, dem ich heute noch angehöre. Das Laufen selbst kommt leider ein bisschen zu kurz. Vor zwei Jahren hatte ich einen Muskelabriss, seither bevorzuge ich das Fitnessstudio.

Sie haben beim DLV-Laufsymposium auch andere Vorträge angehört. Gab es Erkenntnisse, die Sie überrascht haben?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Überrascht vielleicht nicht, aber die ich sehr interessant finde. Das Feld Laufen differenziert sich immer weiter. Urban Trails, Erlebnisläufe fernab vom Leistungsgedanken, sind im Kommen. Dazu gibt es ein Klientel, dass sich für Extrem- und Ultraläufe begeistert. Das sind somit Segmente, die wachsen. Hier decken sich meine Beobachtungen mit den Erkenntnissen von Jörg Stutzke von der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung. Grundsätzlich habe ich eher die nackten Zahlen vor mir. Mir ist beim Symposium aber klar geworden, dass bei Laufveranstaltungen eine Industrialisierung eingesetzt hat.

Inwiefern?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

In Bereichen wie der Sicherheit und Ähnlichem ist mittlerweile ein großes Knowhow und Equipment notwendig, gerade zum Beispiel beim Berlin-Marathon [Anm. d. Redaktion: Beim Symposium referierte der Geschäftsführer des Veranstalters SCC Events, Jürgen Lock]. Dieses kann ich auch auf andere Veranstaltungen übertragen. Großflächig agierende Veranstalter wie Golazo Sports und B2Run gewinnen somit an Bedeutung. Durch die Anforderungen an Laufveranstaltungen wird diese Entwicklung natürlich gefördert.

Kommen wir nun zu Ihrem Kerngebiet, Ihrer Laufmarkt-Analyse. Was sind aktuell Ihre wichtigsten Erkenntnisse?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Man sieht in dem klassischen Bereich wie Marathon und Halbmarathon, dass die mittelgroßen Veranstaltungen sehr stark unter Druck stehen. Die Großen sind über die Jahre feste Größen mit Aufs und Abs, eine ganze Reihe von Nischenveranstaltungen sind sehr erfolgreich mit 200, 300 Teilnehmern. Die Läufe, die um die 1.000 Teilnehmer haben, haben jedoch deutliche Rückgänge zu verzeichnen – zum Beispiel Stadtmarathons wie Bonn, Freiburg oder auch wir in Essen. Wir sind erstmals unter 700 Finisher gefallen. Das sind die typischen, etwas anspruchsvollen, aber immer noch vereinsorganisierten Veranstaltungen.

Welche Rolle spielt die demografische Entwicklung?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Sie macht sich auf jeden Fall bemerkbar. Der durchschnittliche Laufteilnehmer ist heute bereits rund zehn Jahre älter als noch im Jahr 2003. Die Läufer werden älter, pro fünf Jahre um ein bis zwei Jahre im (Halb-)Marathonbereich. Zumindest im Männerbereich. Bei den Frauen haben wir noch einen Zuwachs im Bereich der jüngeren Teilnehmerinnen. Da sinkt teilweise das Durchschnittsalter. Insbesondere bei den Männern sind das Entwicklungen, die sich in den nächsten Jahren beschleunigen werden.

Wenn Sie also zehn, 15 Jahre nach vorne schauen und Ihre aktuellen Erkenntnisse weiterdenken – wie sieht die Volkslaufszene oder die Szene der Multisportler, die Laufveranstaltungen besucht, dann aus?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Ich vermute, dass das Portfolio an Veranstaltungsformen immer größer wird. Wenn ich heute sehe, dass bei Obstacle Runs schon die Idee geboren ist, im Jagdverfahren wie beim Biathlon den Sieger zu ermitteln, dann wird das bei anderen Laufveranstaltungsformen auch kommen. Wir werden sicherlich noch viel Neues erleben.

Wie sieht es im organisatorischen Bereich aus?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Hier werden wir eine Professionalisierung erleben. Wir sehen das bei den Firmenläufen, bei denen B2Run die Herrschaft übernommen hat [Anm. der Red.: B2Run richtet eine inoffizielle Deutsche Firmenlauf-Meisterschaft aus mit Veranstaltungen in 17 Großstädten]. Dazu kommt eine Internationalisierung, beispielsweise bei den Obstacle Runs. Solche Läufe werden nicht mehr regional verankert sein. Die Veranstalter werden versuchen, sozusagen den Markt abzugrasen. Das hat man an der Spartan-Serie gesehen. Erst zweimal Köln, dann Duisburg. Und demnächst sicherlich wieder woanders, um auch dort neues Klientel zu rekrutieren. Dort stehen natürlich Marketingstrategien dahinter. Auch der Stadtlauf um die Ecke muss dann nicht immer am gleichen Wochenende im Jahr sein. Kontinuitäten werden durchbrochen.

Welchen speziellen Einfluss wird die demografische Entwicklung haben?

Prof. Dr. Roland Döhrn:

Das kann ich nicht richtig abschätzen. Die Läufer werden älter, was sich auf die Anforderung an die medizinische Betreuung und die Gestaltung von Strecken auswirkt.

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