Ralf Bartels - „Olympia ist das große Thema“
Einen Ralf Bartels darf man nicht abschreiben, auch wenn der Kugelstoß-Routinier des SC Neubrandenburg im vergangenen Jahr mehr Tiefen als Höhen durchlebte. Sein Ziel ist jetzt Olympia und diesem ordnet der Schützling von Heimtrainer Gerald Bergmann alles unter. So wird der Hallen-Europameister nach seinem Saisonstart am Freitagabend in Nordhausen nicht die komplette Hallensaison bestreiten. Sandra Arm sprach mit dem Marine-Sportsoldaten.

Ralf Bartels:
Ja und nein. Mittlerweile gibt es auch Tage, an denen ich einfach meine Ruhe haben möchte. Dabei habe ich durch die Reisen zu den zahlreichen Wettkampforten schon viel gesehen und erlebt. Deutschland kenne ich fast schon auswendig. Das Problem bei den Reisen ist, dass ich eigentlich nicht viel von der Umgebung sehe. Ich fahre zu den Wettkämpfen und dann schnell wieder zurück, um weiter zu trainieren.
Welches Land oder auch welche Stadt hat Sie bei Ihren Reisen am meisten beeindruckt?
Ralf Bartels:
Das war Sydney mit ihrer beeindruckenden Skyline. Sie ist für mich eine der schönsten Städte, in die ich bisher geflogen bin. Außerdem bin ich dort 1996 überraschend Junioren-Weltmeister geworden. Ich habe nur positive Erinnerungen an die Stadt. Wenn es die Zeit erlaubt, dann will ich für zwei, drei Wochen nach Australien fliegen, um das Land noch tiefer zu erkunden.
Wie oft müssen Sie eigentlich im Jahr Ihre Tasche packen?
Ralf Bartels:
(überlegt sehr lange) Das weiß ich nicht, denn gezählt habe ich es bisher noch nie, wie oft ich im Jahr meine Tasche packe. Wenn man jedes Wochenende einen Wettkampf bestreitet, dazu die Trainingslager, das summiert sich. Dafür bin ich nach der Saison von Mitte September bis Mitte Januar fast nur zu Hause. Dieter Kollark, er koordiniert die physiotherapeutischen Termine, meinte vor kurzem, dass ich bis zum Start der Olympischen Spielen nur zehn Wochen daheim bin.
Haben Sie dann immer schon eine fertig gepackte Tasche irgendwo in der Ecke stehen oder packen Sie diese kurzfristig?
Ralf Bartels:
Die Tasche packe ich eher kurzfristig. Es kommt immer darauf an, wo ich hinfahre. Schließlich muss ich für jede Gegebenheit und entsprechend der Wetterlage die passenden Sachen mitnehmen.
In diesem Jahr locken mit Istanbul (Hallen-WM), Helsinki (EM) und London (Olympische Sommerspiele) gleich drei europäische Metropolen. Welche der drei Städte reizt Sie aus sportlicher Sicht am meisten?
Ralf Bartels:
Diese Frage ist für mich falsch gestellt. Ich werde nur ein paar Hallenwettkämpfe unter anderem in Nordhausen, Chemnitz, Düsseldorf und Karlsruhe bestreiten. Ich werde sozusagen nicht so viel Energie für die Hallensaison aufbringen, wie ich es im vergangenen Jahr getan habe. Ich habe mich damals in der Halle sehr verausgabt und später bei der Weltmeisterschaft in Daegu nicht richtig Zug hinter mein Arbeitsgerät bekommen. Zumal mich dort noch Knieprobleme ausgebremst haben. Meine Vorbereitung ist nun ganz auf die Olympischen Sommerspiele in London ausgerichtet.
Dabei mögen Sie die englische Metropole nicht so besonders.
Ralf Bartels:
Ich habe schon meine speziellen Erfahrungen insbesondere am Flughafen machen dürfen. Nach einem Meeting wurde ich darauf hingewiesen, dass ich bereits vier Stunden vor meinem Abflug mit dem Bus zum Flughafen losfahren sollte, um rechtzeitig einzuchecken. Das war mir zu früh, so dass ich erst zwei Stunden vor dem Abflug angekommen bin. Ich war guter Hoffnung, das es reicht, doch der Schalter war bereits geschlossen. Ich musste meinen Flug umbuchen und habe am Ende drei Stunden länger am Flughafen verbracht. Ich kann die englische Sturheit einfach nicht verstehen.
An Helsinki haben Sie vor allem positive Erinnerungen.
Ralf Bartels:
Ja, in Helsinki habe ich meine erste Medaille bei einer Weltmeisterschaft geholt. Das war 2005, als ich Dritter wurde.
Inwieweit ist für Sie ein guter Saisonstart wichtig?
Ralf Bartels:
Ein guter Saisonstart ist natürlich für das Selbstvertrauen und den Kopf wichtig. Außerdem gibt er einem eine gewisse Selbstsicherheit, wenn ich weiß, dass es wie im Training funktioniert hat, genau so, wie ich es mir vorstelle. Wenn es allerdings im Training gut läuft und im Wettkampf weniger, dann fange ich schon an zu grübeln, an was es liegen könnte.
Bezogen auf die vergangene Saison hätten Sie sich sicherlich mehr erhofft. Haben Sie inzwischen eine Erklärung für die eher durchwachsene Saison gefunden?
Ralf Bartels:
Wir standen im vergangenen Jahr vor einem Rätsel. Die Kraftwerte waren gut, die Zubringer-Leistung ebenfalls, aber die Kugel ist nicht geflogen. Wir haben alles versucht, um die Ursachen zu ergründen. Bei einem Medizincheck wurde bei mir neben den Knieproblemen auch eine Verletzung der seitliche Bauchmuskulatur festgestellt. Wir vermuten, dass mich diese beiden Probleme wohl zurückgeworfen haben, so dass es für mich nur eine „kurze Saison“ geworden ist. Ich bin nie richtig angekommen und habe am Ende noch Wettkämpfe, wie unter anderem den Heimauftritt beim DKB-Meeting in Neubrandenburg, absagen müssen.
Wie ist es aktuell um ihr rechtes Knie bestellt?
Ralf Bartels:
Während ich im vergangenen Jahr kaum noch Kraft im Knie hatte und der Oberschenkel bei jedem Versuch zu zittern begann, hat mir der Arzt daraufhin zur Kräftigung und Stabilisierung des gereizten Knies geraten. Die Situation hat sich in den vergangenen zwei Wochen durch die gezielte physiotherapeutische Behandlung deutlich verbessert.
Mit welchen guten Vorsätzen sind Sie ins neue Jahr gestartet?
Ralf Bartels:
Keine guten Vorsätze zu haben (lacht). Das Wichtigste ist aber, dass ich gesund bleibe und gute Leistungen abliefere. Olympia ist natürlich das große Thema. Es ist das Ziel eines jeden, der die Chance hat, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, dass er eine Medaille gewinnen möchte. Dennoch muss ich die Situation realistisch einschätzen, denn wenn drei Athleten über 22 Meter stoßen, dann wird es für mich wohl mit einer Medaille eng werden. Aber bei den Weltmeisterschaften in Helsinki (2005) und Berlin (2009) hat es mir auch keiner zugetraut und ich habe jeweils Bronze geholt. Es kommt auch immer darauf an, wie man als Athlet in den Wettkampf reinkommt und sich dieser entwickelt.
Das erste Kräftemessen der weltbesten Kugelstoßer steht bereits am Freitag in Nordhausen bevor. Was haben Sie gedacht, als Sie zum ersten Mal die Teilnehmerliste gesehen haben?
Ralf Bartels:
Naja, ein starkes Teilnehmerfeld hat die HSG Nordhausen als Veranstalter bereits in den vergangenen Jahren an den Start gebracht. Es war also keine Überraschung für mich. Nordhausen, und das ist nicht negativ gemeint, kommt sehr früh in der Saison. Der Leistungshöhepunkt folgt erst gut drei Monate später, dann beginnt die Hallen-Weltmeisterschaft in Istanbul. Dennoch ist es eine super Standortbestimmung, um zu sehen, was können die anderen bereits.
Was können wir von Ihnen erwarten?
Ralf Bartels:
Ich habe Indoor-Direktor Werner Hütcher bereits mitgeteilt, dass er von mir keinen 21,50 Meter-Stoß erwarten kann. Auch aufgrund des Knies nicht, aber vielleicht gelingt es mir mit dem Zuschauerbonus, dass am Ende die 20 Meter stehen. Ich wäre auch mit einer Weite von 19,50 Meter nicht unzufrieden. Zumal ich auch nicht 100-prozentig beim Wettkampf sein werde, weil meine Frau und ich in freudiger Erwartung sind.
In freudiger Erwartung, das heißt Sie werden Vater. Wann ist es denn soweit?
Ralf Bartels:
Es kann jeden Tag losgehen. Der errechnete Geburtstermin ist der 28. Januar. Es wird ein Mädchen, den Namen verrate ich aber nicht. Obwohl es unser erstes Kind ist, bin ich nicht großartig aufgeregt. Es ist zwar schon eine gewisse Aufregung da, aber aufgrund der Fokussierung auf die Wettkämpfe strahle ich derzeit viel Ruhe aus.
Sie gehen bereits zum elften Mal in Nordhausen an den Start. Was schätzen Sie besonders an dem Meeting?
Ralf Bartels:
Die räumliche Nähe zum Publikum und natürlich die Atmosphäre. Die gute Stimmung der Zuschauer kann direkt auf uns Aktive überschwappen, so dass wir mit ihrer Unterstützung noch den einen oder anderen Zentimeter rauskitzeln können. Das meine ich mit Zuschauerbonus, aber auch wir Athleten können das Publikum mit unseren Leistungen mitnehmen. Zudem empfinde ich es als sehr schön, dass der Veranstalter nicht nur uns aktive Athleten, sondern auch ehemalige Spitzenathleten einlädt, so dass wir hinterher in familiärer Runde noch ein paar Gespräche führen können.
Wie gut kennen Sie eigentlich Nordhausen?
Ralf Bartels:
Ich weiß, dass die Firma Nordbrand in der Stadt beheimatet ist. Nordhausen habe ich vom Namen schon sehr oft gehört, aber von der Stadt habe ich bisher noch nicht viel gesehen. Ich weiß, wo die Halle ist, das ist eigentlich schon alles.
Bleibt neben dem Wettkampf auch noch Zeit sich die Stadt ein bisschen genauer anzuschauen?
Ralf Bartels:
Dafür bleibt nicht wirklich viel Zeit. Ich bin am Donnerstagabend direkt aus dem Trainingslager in Kienbaum angereist. Ob ich nach dem Wettkampf am Freitagabend wieder nach Hause fahre oder noch bleibe, das werde ich vor Ort entscheiden. Das hängt auch davon ab, ob sich meine Frau wohlfühlt. Ich bin immer auf Abruf.
Bei den Männern wird der spannendste Wettkampf in der Energie-Indoor-eschichte erwartet. Wer sind Ihre Favoriten?
Ralf Bartels:
Ich kenne den Leistungsstand der Amerikaner nicht, denke aber, dass es auf einen Superdreikampf zwischen Tomasz Majewski, Christian Cantwell und David Storl hinauslaufen wird. Ich gehe stark davon aus, dass einer der drei den Wettkampf für sich entscheiden wird.
Sie gelten als Spezialist für den letzten Versuch. Im vergangenen Jahr haben Sie sogar David Storl den entscheidenden Gold-Tipp gegeben. Was ist das Geheimnis?
Ralf Bartels:
Es gibt natürlich ein Geheimnis, welches ich aber nicht verraten werde (lacht). Ich habe es David versprochen, dass ich es nicht preisgeben werde, was ich ihm vor seinem letzten Versuch gesagt habe. Nur soviel, ich habe noch einmal Sachen angesprochen, die man im Stress und der Hektik des Wettkampfes vergisst. Diese Worte waren für ihn hilfreich als Motivation zur Aktivierung der eigenen Leistungsfähigkeit und es hat am Ende sehr gut funktioniert (lacht).
Was schätzen Sie an David Storl?
Ralf Bartels:
Ich schätze an ihm besonders seinen unheimlich starken Ehrgeiz. Zudem bringt er sehr gute Voraussetzungen mit. Er ist schnellkräftig und hat einen enormen Willen.
Inwieweit können Sie sich als erfahrener Athlet vom Youngster noch etwas abschauen?
Ralf Bartels:
Lernen kann ich von ihm weniger. Es ist viel mehr der Umgang mit ihm sowie seine Unbeschwertheit, die er mir zurückgibt. Die „jungen Wilden“ machen sich keine Gedanken, was kommt danach, während ich mir als gestandener Athlet mehr Gedanken über bestimmte Sachen mache.
Nadine Kleinert hat ihre Abschiedstour vom Leistungssport bereits angekündigt. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Ralf Bartels:
Natürlich muss ich irgendwann dem Alter Tribut zollen und Platz für die Jüngeren machen. Sollte die Saison für mich gut laufen, dann wird es nächstes Jahr eine große Abschiedstour geben, ansonsten in abgeschwächter Form. Befasst habe ich mich mit dem Thema noch nicht so richtig, das werde ich nach den Olympischen Spielen in aller Ruhe tun. Im Hinterkopf schwebt natürlich auch immer wieder die Gefahr einer erneuten Verletzung, die schnell das Ende bedeuten kann. Eins möchte ich aber nicht, bei den Deutschen Meisterschaften Achter oder Neunter werden, so dass sich hinterher viele fragen: Wann hört er endlich auf? Trotzdem ist es für uns Athleten schwierig, den Punkt zu finden, wann Schluss ist.
Sie werden Ende Februar 34 Jahre alt. Was wünschen Sie sich?
Ralf Bartels:
In erster Linie natürlich gesund zu bleiben. Das ist etwas, was ich mir nicht kaufen kann und auch nicht geschenkt bekomme.