Raphael Holzdeppe - Zielstrebiger Höhenjäger
Die Welt bezeichnet ihn als „neuen deutschen Überflieger“, die taz titelt „Pfälzer Jahrhunderttalent“, der Weltverband IAAF befindet, er sei „in a class of his own“, und der Europaverband EAA kürte ihn jungst zu Europas Nachwuchs-Leichtathleten des Jahres. Raphael Holzdeppe (LAZ Zweibrücken) kann auf eine Saison zurückblicken, die vermutlich selbst in seinen kühnsten Träumen nicht besser hätte laufen können.
„Vor der Saison war mein Ziel, 5,70 Meter zu springen und bei der U20-WM eine Medaille zu holen“, erinnert sich der Stabhochspringer, der im September 19 Jahre alt wurde. Vergleichsweise bescheidene Ansprüche, wenn man bedenkt, was er in den vergangenen Monaten tatsächlich erreicht hat.Bereits die Hallensaison begann mit einem Ausrufezeichen: In seinem zweiten Wettkampf verbesserte er die Deutsche A-Jugend-Bestleistung von Danny Ecker (TSV Bayer 04 Leverkusen) auf 5,60 Meter. Der Glanzpunkt unter dem Hallendach gelang ihm dann bei einem Länderkampf Anfang März. Hier schraubte er sich so hoch hinaus wie noch kein Jugendlicher vor ihm und überbot mit 5,68 Metern den bisherigen U20-Weltrekord des Russen Leonid Kivalov um einen Zentimeter.
Längerer Anlauf, längere Stäbe
Sein Anlauf sei länger geworden, ebenso die Stäbe, einige Übungen habe er intensiviert - so seine Erklärungen für die Leistungssteigerung. Ansonsten hätten er und sein Coach Andrei Tivontchik, ehemals Deutscher Rekordhalter und Dritter bei Olympischen Spielen, in der Saisonvorbereitung gar nicht so viel verändert.
„Im Winter hat sich schon so ein bisschen angebahnt, dass im Freien 5,70 Meter oder 5,75 Meter drin sind“, blickt Raphael Holzdeppe zurück und glaubt, dass das selbst seinen Trainer ein wenig überrascht hat. „Über die Olympischen Spiele haben wir eigentlich nie so richtig geredet, nur einmal kurz, nach meinem fünften Platz bei der Hallen-DM. Aber ob das von ihm als Scherz gemeint war oder auch ein wenig ernst, kann ich nicht sagen.“
„Von außen nie Druck verspürt“
Auch in der Freiluft-Saison musste man schon sehr aufpassen, um beim Höhenflug des jungen Stabartisten nicht den Überblick zu verlieren. Der erste Rekord fiel Anfang Juni in Cottbus, als er mit 5,65 Metern die Deutsche Jugend-Bestleistung von Lars Börgeling (TSV Bayer 04 Leverkusen) um drei Zentimeter verbesserte. In Mannheim „knackte“ er kurz darauf erstmals die 5,70 Meter.
Damit begann aus seiner Sicht die ernsthafte Jagd nach der Olympianorm, für die diese Höhe zweimal gemeistert werden musste. „Als ich das erste Mal die Norm für Peking gesprungen bin, wollte ich sie unbedingt noch einmal springen. Da habe ich mir selbst ein bisschen Druck gemacht für die nächsten Wettkämpfe. Von außen habe ich eigentlich nie Druck verspürt. Es kam alles so Schlag auf Schlag, da war gar keine Zeit, um darüber nachzudenken.“
Auf den Spuren Maxim Tarasovs
Tatsächlich folgte direkt der nächste Höhepunkt: In Biberach übersprang Raphael Holzdeppe 5,80 Meter und stellte damit den U20-Weltrekord des Russen Maxim Tarasov ein. An dieser Höhe hatten sich die anderen deutschen Stabhochspringer in der Olympiasaison bis zu diesem Zeitpunkt vergeblich versucht. Mit „... du tickst ja nicht ganz sauber“ und Gratulationen verewigte sich auch der WM-Dritte Danny Ecker auf der Homepage des frischgebackenen Weltrekord-Halters.
Nur eine Woche später standen die beiden Athleten zusammen mit Tim Lobinger (LG Stadtwerke München) auf dem Podium der Deutschen Meisterschaften in Nürnberg und durften sich über drei Tickets zu den Olympischen Spielen in Peking (China) freuen.
„Die Olympischen Spiele waren das Highlight des Jahres. Nicht nur, weil sie für mich unerwartet kamen. Olympische Spiele sind einfach das Höchste“, betont der Zweibrücker. Fast unterzugehen scheint seine Goldmedaille bei den U20-Weltmeisterschaften in Bydgoszcz (Polen) Mitte Juli. Hier reichten ihm 5,50 Meter, um Pawel Wojciechowski (Polen; 5,40 m) und seinen Teamkameraden Karsten Dilla (LAV Bayer Uerdingen/Dormagen; 5,30 m) auf die Plätze zwei und drei zu verweisen.
Vom Olympiastadion ins Klassenzimmer
In Peking schaffte es der zu dem Zeitpunkt noch 18-Jährige auf Anhieb ins Finale und wurde dort mit übersprungenen 5,60 Metern Achter. Viel Zeit zum Feiern blieb anschließend nicht, denn für den Schüler des Helmholtz-Gymnasiums in Zweibrücken hatte bei seiner Rückkehr bereits das neue Schuljahr begonnen. Klar, dass hier zunächst so manche Unterrichtsstunde für Berichte des Olympioniken draufging.
„Am Anfang wurde ziemlich viel darüber gesprochen. In manchen Fächern habe ich schon eine halbe, dreiviertel Stunde erzählt. Wenn ich nicht zu den Olympischen Spielen gekommen wäre, sondern nur, in Anführungsstrichen, U20-Weltmeister geworden wäre, wäre das sicher nicht so krass gewesen“, sagt Raphael Holzdeppe bescheiden - als könnten ein Junioren-Weltrekord und WM-Gold seine Mitschüler nicht aus der Reserve locken.
Bundeswehr und Studium
Es galt also zunächst, die verpassten Unterrichtsstunden aufzuholen, schließlich naht für den 13.-Klässler im Januar das schriftliche Abitur in den Fächern Sport, Englisch und Physik. Was dieses betrifft, ist er zuversichtlich: Die Zusatzbelastungen im Olympiajahr haben den Plan, den er sich Anfang des Jahres zurecht gelegt hatte, nicht umgeschmissen. Auch die Pläne für die Zeit nach dem Abitur stehen bereits.
„Ich will erst zur Sportförderkompanie der Bundeswehr. Die Chancen, dass ich da reinkomme, stehen gut. Und dann fange ich Ende 2010 an, Sportmanagement zu studieren. Ich habe lange überlegt, denn ich habe immer so ein bisschen das Problem, dass ich erstmal rausfinden muss, was mir wirklich Spaß macht.“
Spaß im Umgang mit Medien
Hilfe bei der Entscheidungsfindung bot nicht zuletzt das Medientraining der ReiseBank Akademie. Raphael Holzdeppe ist einer von acht Nachwuchsathleten, die ein Stipendium erhalten haben und umfangreich bei der Planung ihrer Karriere im Leistungssport unterstützt werden.
Die ersten TV-Proben machten ihm nicht nur sehr viel Spaß, sondern bereiteten ihn auch auf das vor, was in den kommenden Wochen und Monaten folgen sollte. „Wir haben vor laufender Kamera gesprochen und dann wurde analysiert, was wir gut gemacht haben und was wir schlecht gemacht haben. Das hat ganz gut gewirkt. Vorher habe ich Sachen gesagt, von denen ich mir gar nicht bewusst war, dass sie bestimmte Reaktionen auslösen können.“ In die Tat umsetzen konnte er das Gelernte dann gleich bei zwei Fernsehaufnahmen für das ZDF im Vorfeld der Olympischen Spiele.
Eltern als Telefonzentrale
Von dem schlagartig aufkommenden Medieninteresse blieben auch die Eltern des U20-Weltmeisters nicht verschont. „Für sie war es schon ungewohnt, denn ich war viel unterwegs, und wenn Presseleute angerufen haben, mussten sie sich damit auseinandersetzen.“ In Sachen Meetingplanung wird Raphael Holzdeppe von Marc Osenberg betreut, zurzeit laufen Gespräche darüber, wer sich um die PR-Arbeit kümmern wird. „Es ist noch nicht raus, ob Marc Osenberg das übernimmt, ob ich zu einer Agentur gehe oder ob ich es selbst mache.“
Nach der Wahl zu Europas Nachwuchs-Leichtathlet des Jahres und dem zweiten Platz bei der Juniorsportler-Wahl der Stiftung Deutsche Sporthilfe ist nun zunächst wieder ein wenig Ruhe eingekehrt in den Alltag des Schülers. Die Zweibrücker Stabhochspringer um Andrei Tivontchik, der jüngst zum Frauen-Disziplintrainer befördert wurde, stecken schon wieder mitten in den Saisonvorbereitungen.
Bis auf Wurfdisziplinen alles ausprobiert
Im Zweibrücker Leistungszentrum hat Raphael Holzdeppe einst mit der Leichtathletik begonnen und alles bis auf die Wurfdisziplinen ausprobiert. Unter Prof. Dr. Dieter Kruber, der auch Andrei Tivontchik betreute, entschied er sich vor mittlerweile rund sechs Jahren ganz für den Stabhochsprung.
Der Junioren-Weltrekordhalter trainiert unter anderem mit den beiden U20-WM-Teilnehmerinnen Natasha Benner und Ann-Kathrin Schwartz sowie der DM-Vierten Kristina Gadschiew. „Die Trainingsgruppe ist klasse. Für mich ist das ziemlich wichtig. Zu zweit trainieren wäre noch okay, aber in der Gruppe finde ich es besser, und alleine zu trainieren ginge gar nicht. Das würde mir mit der Zeit einfach zu langweilig.“
Beim Aufwärmen ist jetzt auch wieder Zeit für ein weiteres seiner Hobbys - das Basketballspielen. „Im Sommer habe ich mich da immer zurückgehalten, denn wenn man mal umknickt, ist gleich die ganze Saison gelaufen.“
Ziel: WM in Berlin
Auch für das kommende Jahr ist die Marschroute des zielstrebigen 19-Jährigen klar vorgezeichnet: „Es gibt zwar eine U23-EM, aber mein Hauptziel sind die Weltmeisterschaften in Berlin. Das wird natürlich verdammt schwierig werden mit der Konkurrenz hier in Deutschland.“ Mit Aussagen über angepeilte Höhen hält er sich zunächst zurück. „Ich gucke erstmal, wie die Hallensaison läuft, und dann setze ich mir eine Marke, die ich erreichen will.“
Was aus den Vorgaben für die vergangene Saison geworden ist, ist bekannt. Erneut solche Höhenflüge zu erwarten, wäre sicherlich vermessen. Trotzdem: Für Überraschungen ist Raphael Holzdeppe immer gut. Und wenn es ihm tatsächlich gelingt, den Etablierten erneut einen Strich durch die Rechnung zu machen, sollte anschließend auch endlich ein wohlverdienter Urlaub drin sein. Für den war 2008 nämlich keine Zeit.