Reisen mit Stäben - Eine Wissenschaft für sich
Was könnte im Reisegepäck von Leichtathleten alles zu finden sein? Laufschuhe mit Sicherheit, ein Trainingsanzug, Spikes oder Werferschuhe, Trikot nicht zu vergessen. Das sollte in einen Koffer gehen, denkt man sich. Was aber, wenn auch noch das Sportgerät mitgenommen werden muss?
Und was, wenn dieses Sportgerät fünf Meter lang ist, leicht beschädigt werden und im schlimmsten Fall über Leben und Tod entscheiden kann? Der Transport von Stabhochsprung-Stäben ist eine Wissenschaft für sich.Ohne Stäbe zu Wettkämpfen zu reisen, stellt sich dabei nur in den seltensten Fällen als die bevorzugte Alternative dar. „Ich habe es immer viel lieber, mit Stäben zu springen, die in meiner eigenen Obhut waren“, betont Tim Lobinger, der erfahrenste der aktuellen deutschen Top-Springer. Seit rund 20 Jahren ist er mit Stäben im Gepäck von Meeting zu Meeting unterwegs. Wie seine Verlobte solle man das Wettkampfgerät behandeln, hätten ihm schon seine ersten Trainer mit auf den Weg gegeben.
„Es gibt Springer, die schleudern bei Wutausbrüchen die Stäbe weg oder sind eher sorglos, was den Transport betrifft. Wenn dann meine eigenen Stäbe nicht rechtzeitig am Wettkampfort angekommen sind und ich mich auf die Geräte dieser Springer verlassen muss, habe ich da schon ein wenig Bauchschmerzen.“ Gerade aus diesem Grund sei es von Vorteil, dass es mittlerweile viele deutsche Weltklasse-Springer gibt, die sich bei Meetings gegenseitig aushelfen können.
Frauen eher auf eigenes Gerät angewiesen
Marc Osenberg ist der Mann, der für die Mehrzahl dieser deutschen Top-Athleten den Transport der Stäbe organisiert. Einst selbst aktiver Stabhochspringer mit einer Bestleistung von 5,51 Metern, managt er nun unter anderem den WM-Dritten Danny Ecker, die Hallen-EM-Zweite Silke Spiegelburg (beide TSV Bayer 04 Leverkusen) und den U20-Weltmeister Raphael Holzdeppe (LAZ Zweibrücken).
Dass die Athleten am liebsten mit ihren eigenen Stäben springen, kann er selbst am besten verstehen: „Ich konnte es auf den Tod nicht ausstehen, wenn meine Stäbe bei Wettkämpfen nicht dabei waren.“
Trotz aller Vorlieben seien jedoch bei den Männern Länge und Härte der Wettkampfgeräte vergleichsweise ähnlich. Schwieriger hätten es da die weiblichen Springerinnen, wenn sie sich auf neue Stäbe einstellen müssen: „Sie unterscheiden sich hinsichtlich des Körperbaus, der Größe, Kraft und Schnelligkeit mehr voneinander als die Männer, und somit sind auch die Eigenschaften ihrer Stäbe unterschiedlicher. Deswegen haben Frauen eine noch größere Affinität zu ihrem eigenen Gerät.“
800 Kilometer Anfahrt
Im Idealfall ist ein Wettkampfort mit dem Auto zu erreichen. „Dann weiß ich: Mein Auto, mein Dachgepäckträger, meine Stäbe“, erklärt Tim Lobinger. Für den Transport werden Drainageröhren verwendet, wie sie auch bei großen Bauprojekten zum Einsatz kommen. Diese dürfen keine scharfen Kanten haben, damit sie auf den Stäben keine Striemen hinterlassen – sowohl aus Sicherheits- als auch aus optischen Gründen: „Es macht natürlich mehr Spaß, mit Stäben zu springen, die wie neu aussehen.“
Dabei kommt es schon mal vor, dass für die Anfahrt ein ganzer Tag drauf geht. 800 bis 900 Kilometer legt Marc Osenberg zum Beispiel im Auto zurück, wenn einer seiner Athleten beim Super Grand-Prix-Meeting in Lausanne (Schweiz) an den Start geht. Denn der nächstgelegene Flughafen in Genf nimmt keine Stäbe im Frachtgut entgegen. Kein Wunder also, wenn er sagt: „Man muss es sich als Manager gut überlegen, ob man auch Stabhochspringer betreuen will. Denn das ist mit einem Vielfachen an Mehraufwand verbunden.“
Welche Fluggesellschaft, welcher Flugzeugtyp?
In vielen Fällen ist der Transport per Flugzeug die einzige Möglichkeit, die eigenen Stäbe mit zum Wettkampf zu nehmen. Und hier beginnt die wahre Wissenschaft: Abflug- und Ankunfts-Flughafen, Fluggesellschaft und Flugzeugtyp – alles muss im Vorfeld genau abgewogen werden.
Tim Lobinger hat dabei schon viele Pannen miterlebt: „Manchmal fehlt genau in dem Moment, in dem man abfliegt, der Wagen, der die Stäbe zum Flugzeug bringen sollte. Oder der Flugzeugtyp muss kurzfristig gewechselt werden, weil die Maschine nicht ausgebucht ist.“ Nicht jedes Flugzeug ist groß genug, um die bis zu 5,10 Meter längen Geräte verstauen zu können.
Mittlerweile haben die Athleten und Manager ihre Erfahrungen gesammelt und wissen, mit welchen Gesellschaften der Transport meist reibungslos verläuft. Es gebe drei Fluggesellschaften, bei denen es "eigentlich immer zu hundert Prozent" klappt. „Die bringen die Stäbe sicher von A nach B“, berichtet der erste deutsche Sechs-Meter-Springer.
130 Dollar für sechs Stäbe
Doch die Probleme enden nicht mit dem Zeitpunkt, an dem die Geräte im Frachtraum des Flugzeugs untergebracht sind. Schließlich müssen die Stäbe am Ankunftsort auch wieder in Empfang genommen werden. Einzeln freikaufen musste Tim Lobinger sein wertvolles Gut einst in St. Petersburg (Russland), nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass es zu schwierig sei, die Geräte zum Gepäckband zu bringen.
„Dann habe ich also einen Zehn-Dollar-Schein abgegeben, und es kam ein Stab. Das Problem war aber, dass in der Hülle sechs Stäbe waren, und jeder Stab war noch einmal einzeln verpackt. Am Ende habe ich 130 Dollar gezahlt.“ Am selben Ort ist auch schon ein Fahrzeug über die Enden der Stäbe von Danny Ecker gefahren, die dann zwanzig Zentimeter kürzer gemacht werden mussten.
Hat man die Stäbe schließlich aus der Gepäckabfertigung wieder zurück, organisieren rund 90 Prozent der Meeting-Veranstalter den Transport vom Flughafen zur Wettkampfstätte. Marc Osenberg betont: „Wenn sie Stabhochsprung im Programm anbieten, müssen sie damit rechnen, dass die Springer ihre Stäbe mitbringen. Da wird dann ein Fahrdienst geschickt.“
Rückreise mit Hindernissen
Und wie sollte es anders sein: Auch die Rückreise verläuft nicht immer reibungslos. Schon aus dem Hotel verschwanden 2002 in Doha (Katar) die Stäbe der ehemaligen U20-Weltmeisterin Floé Kühnert (TSV Bayer 04 Leverkusen), die sich mittlerweile vom Leistungssport verabschiedet hat. Der derzeit weltbeste Stabhochspringer Steve Hooker (Australien) hatte jüngst eine Schrecksekunde zu verdauen, als seine Stäbe die Decke des Flughafens in Sydney (Australien) durchbohrten.
Ein Wiedersehen mit alten Sprunggeräten gab es im Februar für Tim Lobinger. Im Mai 2007 wollte er nach einem Meeting in Modesto (USA) mit Stäben von San Francisco zurück nach Frankfurt fliegen. Doch eine Mitarbeiterin der Fluggesellschaft weigerte sich, die Stäbe zunächst ein Stockwerk tiefer und dann zum Gepäckwagen bringen zu lassen. Da in den USA die Gepäcklagerung am Flughafen untersagt ist, blieb dem achtmaligen Deutschen Freiluft-Meister nichts anderes übrig, als die Geräte von einer Bekannten abholen und bei ihr lagern zu lassen.
Der Rücktransport mit einer Spedition wäre zu teuer geworden, und so verging ein Monat nach dem nächsten, ohne dass eine Lösung des Problems in Sicht war. „Am Ende war es so, dass ich ganz, ganz kompliziert die Stäbe zu der Stab-Produktionsfirma habe bringen lassen, die mich unterstützt. Und die hat die Stäbe dann jetzt erst mit einer Bestellung nach Deutschland geschickt. Das hat fast zwei Jahre gedauert.“
Sichere Anlage entscheidend
Am Wettkampfort selbst ist der Aufbau der Anlage entscheidend für die Sicherheit der Athleten und die ihrer Wettkampfgeräte. Marc Osenberg, der für die populären Marktplatz-Springen eine mobile Freiluftanlage zur Verfügung stellt, achtet als ehemaliger Springer besonders darauf, dass beim Aufbau alles richtig gemacht wird.
Trotzdem kann immer etwas passieren. So brach Danny Ecker beim Berliner ISTAF im vergangenen Jahr ein Stab, weil dieser zuvor auf einen Metallkasten geprallt war, in dem die Elektronik der Anlage versteckt wurde.
Risiken sind nicht zu umgehen
„Es gibt so gut wie keinen Springer, dem nicht schon einmal der Stab gebrochen ist. Der Zustand eines Stabes ist schwer zu testen, da geht man schon einmal Risiken ein“, erklärt sein Manager. Bei entsprechender Behandlung können die Geräte jedoch ohne Probleme zehn bis fünfzehn Jahre genutzt werden: „Ich habe meine Stäbe von damals noch vor kurzem in der Halle beim Training gesehen.“ Besonders für die Laufarbeit und Koordinationsübungen kommen ältere Modelle weiterhin zum Einsatz.
Auch Tim Lobinger bestätigt: „Die Materialermüdung ist eigentlich gleich Null. Weggeworfen habe ich noch keinen Stab. Aber es gibt Stäbe, die ich doppelt habe und dann zum Beispiel den Leverkusenern um Leszek Klima zur Verfügung stelle.“ Ein Gerät liegt ihm dann aber doch besonders am Herzen: Den Stab, mit dem er 1997 als erster Deutscher sechs Meter überquert hat, hat er aufgehoben. Nach seinem Karriereende will er ihn dem Deutschen Sportmuseum in Köln übergeben.