René Herms – "Mein Ziel ist der Endlauf"
René Herms hat sich in diesem Sommer mit schnellen Zeiten in den Vordergrund gelaufen. Bei der Weltmeisterschaft in Helsinki kämpft er um den Einzug in den Endlauf. Erfahren Sie mehr im ausführlichen Interview mit dem Pirnaer.

René Herms will bei der WM in Helsinki durchstarten (Foto: Kiefner)
René Herms, ist der deutsche Uralt-Rekord über 800 Meter von Willi Wülbeck (1:43,65 min), der 1983 in Helsinki mit dieser Zeit den Weltmeistertitel holte, ein Ziel? Immerhin laufen Sie nächste Woche im Olympiastadion an gleicher Stätte und aus dem selben Anlass?!René Herms:
Das Ziel, diesen Rekord irgendwann anzugreifen, besteht sicherlich. Willi Wülbeck war 27 Jahre, als er diesen Rekord aufgestellt hat. Ich habe also noch ein paar Jahre Zeit. Ich denke, im Alleingang diese Zeiten zu laufen, ist ein schwieriges Unterfangen. In Helsinki ist vieles möglich, man kann mit einer Topzeit gewinnen oder vielleicht auch mit einer in Anführungszeichen weniger guten Zeit. Das ist alles eine Frage der Rennentwicklung. Am Ende fragt keiner mehr nach der erzielten Zeit bei einer Weltmeisterschaft, da zählt nur die Platzierung.
Was ist das Besondere an Ihrem Training und Ihrem Umfeld in Pirna?
René Herms:
Wir trainieren sicherlich genauso viel wie andere Leute auch. Ich meine, wir trainieren qualitativ hochwertiger. Unser Motto lautet deshalb ja auch: "Qualität statt Quantität!" Das Positive an unserem Umfeld sind vor allem die kurzen Wege. Physiotherapie, ärztliche Betreuung, Entspannungsbecken und alles, was zum Hochleistungssport dazu gehört, liegen in unmittelbarer Nähe unserer Trainingsstätten. Die Laufstrecken im Wald und an der Elbe beginnen fast am Stadion. Ich denke, das Gesamtpaket ist einfach leistungsfördernd. Das Institut für angewandte Trainingswissenschaften aus Leipzig begleitet uns oft ins Trainingslager oder ist hier vor Ort. Die Leipziger Wissenschafter bieten uns beste Möglichkeiten, um unser Training aus medizinischer und trainingsmethodischer Sicht zu analysieren. Ohne diese Zusammenarbeit wären wir sicher nicht so weit gekommen.
Auf Ihrer Homepage steht "Ein guter Läufer muss nicht nur ehrgeizig sein, sondern auch ein wenig Egoismus besitzen." Was meinen Sie damit?
René Herms:
Na gut, als erfolgreicher Sportler besteht schnell die Gefahr, arrogant zu wirken. Man gerät in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, gibt Interviews und manchmal werden dann Äußerungen als Prahlerei abgetan. Aber ich laufe natürlich, um auch Titel zu gewinnen. Und wenn man erfolgreich ist, steht man auch schnell im Medieninteresse. Warum sollte man das Erreichte nicht auch in den Vordergrund stellen? Ein gewisses Ego und der nötige Ehrgeiz gehören einfach dazu.
Vor kurzem sind Sie 23 Jahre alt geworden. Im letzten Jahr gab es sowohl sportlich mit Ihrer ersten Olympiateilnahme als auch privat mit Ihrer Heirat nicht alltägliche Erlebnisse. Hat dies den Menschen René Herms verändert?
René Herms:
Eigentlich würde ich nicht sagen, dass ich ein anderer Mensch geworden bin. Mit meiner Frau habe ich ja schon vor unserer Hochzeit vier Jahre zusammengelebt. Ich glaube, ich bin jetzt etwas gefestigter und ruhiger. Die Einstellung zu meinem Sport ist professioneller geworden. Im Halbfinale bei den Olympischen Spielen ist eine Menge schief gelaufen, woraus dann auch das Ausscheiden resultierte. Darüber war ich schon verärgert. Aber ich habe die positiven Dinge daraus mitgenommen und meine Lehren gezogen. Ich denke, dieses Jahr konnte ich dies schon ganz gut umsetzen.
Seit Jahren stehen ja in der Öffentlichkeit Vorwürfe im Raum, manche Athleten würden als Touristen zu internationalen Meisterschaften fahren und sich dort nach den Vorkämpfen verabschieden. War die Normerfüllung im Hinterkopf für Sie eher belastend oder finden Sie es richtig vom Verband, die Athleten auf diesem Weg mehr zu fordern?
René Herms:
Das ist schwierig zu beurteilen. An der gesunkenen Mannschaftsstärke im Vergleich zum letzten Jahr sieht man die Auswirkungen der verschärften Normen ja deutlich. Auf der einen Seite sind die Normen so gesetzt, dass man auch international konkurrenzfähig ist. Auf der anderen Seite vergisst man die jungen Athleten, die man ja eigentlich fördern will. Diese sind oftmals noch nicht so weit in ihrer Entwicklung, um solche Leistungen konstant abzuliefern. Wenn der Verband da ein paar Abstriche machen würde, um den jungen Athleten die Teilnahme an einem solchen Großereignis zu ermöglichen, wäre das sicher in einigen Disziplinen besser für die Zukunft. Für mich persönlich bedeutete die Normverschärfung Geduld zu haben. Das Training ist ja auf den Saisonhöhepunkt ausgelegt und dieser ist nun mal erst im August. Hinzu kam der kurze Zeitraum, um die Norm zweimal zu laufen. Man hat ja gesehen, dass die Rennen umso schneller und konstanter wurden, je länger die Saison lief. Das muss man sich im Training alles erst einmal erarbeiten.
In diesem Sommer haben Sie oft bereits früh das Heft in die Hand genommen und sind von der Spitze weg gelaufen. Ist dies der Versuch, Fehler der Vergangenheit zu vermeiden und durch ein breiteres taktisches Vermögen ein Rennen auch selbst gestalten zu können?
René Herms:
Ja sicher, man lernt dazu. Es war ein Versuch, taktisch interessantere Rennen abzuliefern. Nicht immer ist es klug, ganz von vorn zu laufen, da sich die Konkurrenten dann an einem orientieren. Ich kann mit meinem Endspurt auch noch von hinten einen Lauf gewinnen. Aber wir wollten es dieses Jahr einfach versuchen. Früher im Jugendalter bin ich oft so gelaufen. Auch jetzt lief es mit dieser Taktik ganz gut und die Resultate geben mir Recht. Darüber bin ich eigentlich ganz froh. International reicht es einfach nicht, auf den eigenen Endspurt zu vertrauen. Ich weiß jetzt, dass die Großen der Szene zu schlagen sind. Die müssen auch erstmal das Stehvermögen zeigen, um an mir vorbei zu laufen. Bei der Weltmeisterschaft werden wir sehen, was passiert.
Wie werden Sie die Zeit bis zum ersten WM-Start am Donnerstag verbringen?
René Herms:
Es wird ganz normal weiter trainiert, allerdings mit etwas geringerer Intensität, um die nötige Regeneration zu gewährleisten. Ansonsten werden wir uns an den zeitlichen Tagesablauf gewöhnen, wie er an den Wettkampftagen sein wird. Das beginnt bei den Mahlzeiten und geht bis hin zum Training. Der Tag des eigentlichen Wettkampfs ist von der Anspannung her sicher der Schlimmste, aber wenn der Startschuss ertönt, ist diese Anspannung eigentlich wie weggeblasen. Ein Geheimrezept habe ich nicht, ich versuche mich einfach auf meine Läufe zu konzentrieren und bestmöglich vorzubereiten.
Helsinki ist bereits Ihre vierte große internationale Meisterschaft. Abgesehen vom siebten Platz bei der EM in München war jeweils im Halbfinale Schluss. Welche Lehren haben Sie daraus gezogen und mit welchen persönlichen Erwartungen reisen Sie nun zur Weltmeisterschaft?
René Herms:
Ich möchte auf jeden Fall hinterher von mir sagen können, das ich mein Bestes gegeben habe. Ich werde versuchen, mich nicht nur im Feld zu verstecken. In der Vergangenheit stand in der Presse teilweise der Vorwurf, ich hätte mich nicht gezeigt. Daher will ich lieber offensiv agieren. Wenn dann andere an diesem Tag besser sind, habe ich wenigstens alles probiert. Für meinen Verein, meinen Trainer und mich ist die Nominierung für die Großereignisse bereits ein wichtiger Erfolg und die Würdigung unserer Trainingsarbeit. Bei der Leistungsdichte in der Weltspitze wird es harte Rennen in Helsinki geben, aber mein Ziel ist schon der Endlauf. Favoriten sind für mich der Titelverteidiger Djabir Saïd-Guerni, der diese Saison wenige Rennen gemacht hat und sicher gut vorbereitet an den Start gehen wird, der Jahresweltbeste Mbulaeni Mulaudzi und der Olympiasieger Yuriy Borzakovskiy. Auch einen Wilfried Bungei muss man immer beachten. Ich hoffe mal, ich bin auf der Bahn im Olympiastadion, wenn der Endlauf in Helsinki gestartet wird und die Karten neu gemischt werden. Dann ist alles möglich.
Was sind Ihre Pläne für die Zeit nach der Weltmeisterschaft?
René Herms:
Nach der WM stehen noch einige Meetings an, unter anderem starte ich beim ISTAF in Berlin. Danach folgt ein Übungsleiterlehrgang bei der Bundeswehr. Im Oktober beginnt dann bereits die Vorbereitung auf die Saison 2006 mit einem Grundlagen-Trainingslager.