Ricardo Giehl – im Urlaubsland in der Erfolgsspur
Schottenrock, eng anliegendes Oberteil, fünf Ringe an der Hand und ein breites Lachen im Gesicht – wer diesem jungen Mann begegnet, merkt schnell, dass in ihm eine Persönlichkeit steckt, eine Art Marke, die es liebt, im Mittelpunkt zu stehen. So wie Ricardo Giehl an diesem Morgen vor den Deutschen Jugend-Hallenmeisterschaften zum Wettkampf gekommen ist, gibt sich der Leverkusener Mittelstreckler gern: selbstbewusst, zielsicher, immer freundlich und meist gut gelaunt.

Bei der Cross-DM überraschte Ricardo Giehl als Sieger. (Foto: Kiefner)
Trotzdem läuft es an diesem Tag nicht nach Plan. Er belegt nur Rang acht im 1500-Meter-Rennen. "Eine große Enttäuschung", wie der 17-Jährige im Nachhinein eingesteht. Doch drei Wochen später folgte der Enttäuschung die Überraschung. Bei den Deutschen Cross-Meisterschaften gewinnt Giehl den Titel der Jugend A und steht plötzlich da, wo er gern ist: im Mittelpunkt.Als B-Jugendlicher in Spanien Erfolge gefeiert
"Ein schönes Gefühl", erinnert sich der in Angola geborene und von deutschen Eltern adoptierte Ricardo an den Moment des Sieges. "Das hat viel Selbstvertrauen gegeben." Im Cross liegt seine Stärke, was nicht zuletzt mit seinen ersten Laufschritten zu tun hat. Die machte er in Spanien und dort sei Cross nun mal wichtiger als die Halle, berichtet Giehl, dessen Eltern Lehrer an der deutschen Schule in Madrid sind. In der spanischen Hauptstadt hat der jetzt von Paul Heinz Wellmann betreute Athlet seine Kindheit verbracht und auch vor mehr als zwei Jahren mit dem wettkampfmäßigen Laufen begonnen. Schnell stellten sich die Erfolge ein. Er wurde Dritter der spanischen Cross-Titelkämpfe, Zweiter in der Halle und unter freiem Himmeln Spanischer 3000-Meter-Meister.
Doch 2002 hieß es plötzlich, er könne im nächsten Jahr als Deutscher nicht mehr bei Spanischen Meisterschaften starten. Oder er müsse Spanier werden. Also hörten sich seine Eltern bei Verwandten und Bekannten um. Freunde der Familie wussten von Ulrike Nasse-Meyfarth, die in Leverkusen für die Talentsichtung zuständig ist. So entstand der Kontakt zum TSV Bayer 04. Im Sommer 2002 kam Ricardo Giehl dann erstmals an den Rhein, schaute sich in Ruhe alles an, lief zwei Wettkämpfe in Schweinfurt und beim Bayer-Meeting und entschloss sich anschließend, den Schritt nach Deutschland zu gehen. Die Eltern blieben in Spanien.
Zwischenzeitlich Heimweh gehabt
"Anfangs dachte ich, es ist cool, ganz allein zu sein. Dann habe ich aber gemerkt, so supertoll ist das auch nicht und es gab einige Momente, wo ich wieder nach Hause wollte. Aber Papa, Mama und der Trainer haben mir Mut gemacht. Und jetzt ist alles in Butter." Mindestens einmal pro Woche telefoniert Ricardo Giehl mit seinen Eltern. Und natürlich nach jedem Wettkampf. "Als ich nach den Cross-Meisterschaften angerufen habe, war ich so froh, den Papa zu hören, dass ich vor lauter Aufregung wieder auf die Aufleg-Taste gedrückt habe." Beim zweiten Versuch habe es dann aber geklappt. "Mein Vater ist voll ausgeflippt. Er und die Mama waren total stolz."
"Spanien ist mein Zuhause", sagt Ricardo Giehl. Deutschland sei so etwas wie die zweite Heimat. Ein Land, in das er als Kind immer in den Ferien kam, um Urlaub zu machen und in dem er jetzt ist, um zu laufen und seinen deutschen Realschulabschluss zu bekommen. Den spanischen hat er schon in der Tasche.
Voran, so weit die Beine tragen
"Ich will weiter nach vorn, an meine Limits ran. So weit wie die Beine mich tragen", formuliert Giehl die Ziele für die anstehende Saison und wird beim nochmaligen Nachhaken konkreter: "Eigentlich habe ich drei Ziele: erstens die Junioren-EM in Tampere, zweitens gute Zeiten über 800 und 1500 Meter und drittens würde ich gern ein Mal René Bauschinger schlagen."
Erfolge auf sportlicher Ebene sind auch die Grundlage für sein berufliches Ziel: die Sportförderkompanie der Bundeswehr. Dort wäre es allerdings aus mit Schottenrock und Ringen. "Macht nichts", sagt Ricardo Giehl und lacht: "Ich kann Privatleben von Sport und Beruf trennen. Beim Wettkampf bin ich ja auch im Trainingsanzug." Der Junge weiß halt, was er will.