Richard Olbrich - Mit doppeltem Fleiß zur EM
In Deutschland macht Richard Olbrich (SV Grün-Weiß Bad Gandersheim) so schnell niemand etwas vor. Wann er das letzte Mal gegen nationale Konkurrenz verloren hat? Er muss nicht lange nachdenken. 2006 sei es gewesen, kurz vor den Deutschen Jugend-Meisterschaften. Im vergangenen Jahr feierte er bereits seinen dritten Deutschen Jugendtitel in Folge. Trotzdem ging jene Saison für den jungen Hammerwerfer mit einem schlechten Gefühl in der Magengegend zu Ende.
Schuld war das Abschneiden bei den U20-Weltmeisterschaften in Bydgoszcz (Polen). Mit einer neuen Bestleistung von 74,67 Metern im Gepäck war der junge Hammerwerfer zu den Titelkämpfen gereist, nicht einmal 70 Meter hätte er werfen müssen, um ins Finale der besten Zwölf einzuziehen. Doch Richard Olbrich brachte es in der Qualifikation nur auf 69,02 Meter und schied aus. „Da bin ich um einiges hinter meinen Möglichkeiten geblieben“, blickt er zurück. „Das war überhaupt nicht mein Tag.“Einen Monat lang Pause hatte der 19-Jährige im Anschluss an die Sommersaison und Zeit genug, um über die vergangenen Monate nachzudenken. „Ich kann nicht sagen, dass die Saison schlecht gelaufen ist. Aber ich habe relativ früh zu weit geworfen“, erklärt er. „Und am Ende ging dann gar nichts mehr, da war einfach die Luft raus.“ Doch die Enttäuschung hat ihm Kraft gegeben, sagt er. Und das Training in den Herbst- und Wintermonaten ging mit doppeltem Fleiß über die Bühne.
Saisoneinstand nach Maß
Die Ergebnisse der vergangenen Wochen verdeutlichen, dass sich der Einsatz gelohnt hat. Gleich im ersten großen Wettkampf der noch jungen Saison übertraf er seine alte Bestmarke um mehr als zweieinhalb Meter. Bei den Halleschen Werfertagen Ende Mai landete sein Wurfgerät bei 77,28 Metern. Eine Woche später in Fränkisch-Crumbach gingen für ihn 76,89 Meter in die Ergebnislisten ein.
„Im Training werfe ich nicht so weit, deswegen kann man nicht unbedingt sagen, dass sich diese Leistungen abgezeichnet haben. Nach dem Wettkampf in Halle habe ich mich schon gefreut, aber vom Gefühl her würde ich sagen, da ist noch mehr drin“, berichtet der Niedersachse. Wenn alles klappt, will er in den kommenden Monaten sogar noch zwei, drei Meter drauflegen.
Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass der deutsche Jugendrekord fast schon in greifbarer Nähe ist. Dieser liegt seit 18 Jahren bei 78,96 Metern, anderthalb Meter fehlen dem amtierenden Deutschen Jugendmeister also noch. „Wenn’s klappt, dann klappt’s, wenn nicht, dann nicht. Ich mache mir da keinen Druck“, gibt Richard Olbrich gelassen zur Auskunft.
Blick ist auf die U20-EM gerichtet
Die guten Ergebnisse bieten Grund zum Optimismus im Hinblick auf den Saisonhöhepunkt: Für die U20-Europameisterschaften in Novi Sad (Serbien; 23. bis 26. Juli) hat der 1,90 Meter große Athlet ein klares Ziel: Einen Platz auf dem Treppchen. Ganz unbekannt ist ihm dieser Platz nicht, denn schon von den U18-Weltmeisterschaften 2007 in Ostrava (Tschechische Republik) kam er mit einer Medaille nach Hause, der bronzenen.
„Das wird schon ein schweres Stück Arbeit werden. Aber ich denke, ich habe mir da jetzt mit den 77 Metern eine ganz gute Ausgangslage geschaffen.“ Im europäischen Vergleich befindet er sich zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison auf Rang drei, weltweit kommt ein weiterer Werfer hinzu, der bereits besser war als der Deutsche.
Als 13-Jähriger zum Hammerwurf
Richard Olbrich wirft den Hammer schon, seit er 13 Jahre alt ist. „Ein Kumpel wollte mich damals immer zum Training mitnehmen, und irgendwann habe ich gedacht: ‚Naja, vielleicht ist es ja wirklich etwas für mich’. Also bin ich mitgegangen und kleben geblieben.“ Während sein Freund schon im selben Jahr die Segel strich und alle anderen Schulkameraden ihre Freizeit auf dem Fußballplatz verbrachten, blieb das Talent dem Hammerwurf treu: „Ich habe nie eine andere Disziplin gemacht.“
Im kleinen Städtchen Bad Gandersheim im südlichen Niedersachsen, rund 20 Kilometer entfernt vom Harz, ist er Mitglied der Trainingsgruppe um Peter Grajek, der auch den 74-Meter-Werfer Marcus Kahlmeyer (Hannover 96) und die beste niedersächsische Hammerwerferin Nathalie Rheder betreut. „Mein Trainer sagt natürlich, dass er schon gleich erkannt hat, dass ich für den Hammerwurf geeignet bin, aber ich hätte das jetzt von mir selbst damals nicht behauptet.“
Auf das Lob von DLV-Disziplintrainer Michael Deyhle, der Richard Olbrich als größte deutsche Nachwuchshoffnung bezeichnet, reagiert der 19-Jährige ebenfalls zurückhaltend. „Klar ist es schön, wenn man so etwas hört. Aber ich denke, man sollte da auf dem Boden bleiben. Denn wenn man sich denkt, man ist sowieso der Beste, dann wird die Leistung in den Jahren darauf abnehmen.“
Hauptaugenmerk auf der Technik
Auch wenn es für den Schüler nicht ausgeschlossen ist, in Zukunft einmal für einen anderen Verein zu starten („Hier bekommt man überhaupt kein Geld, das würde sich also schon lohnen“), will er weiterhin mit Peter Grajek zusammenarbeiten: „Den Trainer würde ich auf keinen Fall wechseln, mit Peter läuft es super. Er hat eine Auffassung vom Werfen, die ich teile - obwohl ich nicht weiß, ob ich das jetzt einfach so von ihm übernommen habe. Bei ihm spielt die saubere Technik eine sehr große Rolle.“
Übermäßig stark sei er nämlich nicht, sagt er, vor allem nicht im Vergleich zu Kugelstoßern oder Diskuswerfern: „Die sind noch einmal in einer ganz anderen Liga.“ Dafür habe er sich in den vergangenen Jahren im technischen Bereich deutlich verbessert. „Wenn ich mir so die alten Videos angucke, die wir ja von den großen Wettkämpfen bekommen, und das mit denen von heute vergleiche, dann ist das immer schon ganz witzig.”
Bevor Überlegungen über einen Vereinswechsel aktuell werden, steht als nächstes die Weichensetzung für die berufliche Karriere im Vordergrund. Im nächsten Jahr will Richard Olbrich das Abitur machen, und noch weiß er nicht genau, was danach folgen soll. „Nächste Woche habe ich ein Gespräch mit dem Laufbahnberater vom Olympiastützpunkt in Hannover, darauf bin ich sehr gespannt.“ Gut vorstellen kann er sich eine Ausbildung bei der Polizei, die sich auch mit dem Spitzensport verbinden ließe.
Fotomodell für NLV-Kalender
Besonders in den Sommermonaten bleibt dem Hammerwerfer neben Schule, Training und Wettkämpfen kaum noch Zeit für andere Hobbies. Im vergangenen Winter konnte er jedoch für eine Aktion der besonderen Art Raum in seinem Terminkalender schaffen: Gemeinsam mit seinem Trainingskameraden Marcus Kahlmeyer posierte Richard Olbrich für den Jahreskalender des Niedersächsischen Leichtathletik-Verbands (NLV).
„Wir hatten eine Menge Spaß! Es war ein Piratenkalender, also eigentlich keiner mit winterlichen Motiven. Aber da die Fotos im Dezember gemacht wurden, ist jetzt auch ein bisschen Schnee mit drauf.“ Wenn für den Bad Gandersheimer der Hammer in dieser Saison weiterhin so gut fliegt, ist er sicherlich auch für die Kalenderausgabe 2010 wieder ein begehrtes Motiv.