Robert Harting - Entfesselt auf Medaillenjagd
Vizeweltmeister ist Deutschlands bester Diskuswerfer schon. Bei der Leichtathletik-WM in Berlin (15. bis 23. August) will Sportsoldat Robert Harting den Thron gänzlich erobern. Der Topathlet vom Sportclub Charlottenburg bereitet sich derzeit in Hohenschönhausen am Olympiastützpunkt Berlin auf die WM-Saison vor.
Weit und im hohen Bogen fliegt das staffelstabähnliche Metallrohr über den Werferplatz. Dann trifft das graue Eisen mit dumpfem Klang und Sand verspritzender Fontaine im kargen Erdreich auf. Irgendwo zwischen 50 und 60 Metern bleibt das Übungsgerät liegen. Das war der 27. Wurf aus einer Serie von heute maximal 30 Abwürfen.Eher klein, fast ein wenig unscheinbar, wirkt das 2,5 Kilogramm schwere Wurfgeschoss in der Hand seines menschlichen Katapults. Kein Wunder, denn der Werfer ist überaus muskulös, bringt beachtlich 126 Kilogramm auf die Waage und misst stolze 2,01 Meter an Körpergröße. Der da in Berlin-Hohenschönhausen am Olympiastützpunkt (OSP) auf dem Werferplatz neben der Lilli-Henoch-Halle so unermüdlich trainiert, heißt Robert Harting – es ist seine erste Trainingseinheit am Vormittag.
Archaisch anmutende Trainingsatmosphäre
Das Training ohne Diskus macht Sinn: Stahlstäbe fliegen nicht so weit und liegen deutlich schlechter in der Luft. „Das dient als Kontrastprogramm zum reinen Diskuswurf sowie zur Verfeinerung und Optimierung des Abwurfverhaltens“, erklärt der 24 Jahre alte Sportsoldat von der Bundeswehr-Sportfördergruppe Berlin.
Es herrscht eine irgendwie archaisch anmutend Atmosphäre, die von dem Übungswurfplatz ausgeht: Neben einer Baumgruppe, die erstes zartes Blattgrün ziert, existiert dort nur Sand und die Betonplatte des Wurfkreises. Die halbkreisförmigen 50- und 60-Metermarkierungen haben sich Robert Harting und sein Trainer Werner Goldmann mittels Maßband selbst in den Boden gekratzt – vermutlich nicht anders, als es die antiken Athleten um 700 vor Christus im altertümlichen Griechenland ebenfalls taten.
Und „Balljungen“, wie in der Geldsportart Tennis üblich, die nach den Würfen des Vizeweltmeisters flugs die Stahlstäbe wieder am Abwurfrund abliefern, die sucht man hier vergeblich, denn seine Wurfgeschosse sammelt Diskuswerfer Robert Harting immer höchstpersönlich ein.
„Mut zur Technik“
Spätestens seit 2007 ist Robert Harting einer der ganz Großen seiner Disziplin. Bei der WM im japanischen Osaka wurde er Vizeweltmeister. Und auch 2008 machte der Diskushüne von der Spree international von sich Reden, als er in Peking mit Rang vier nur hauchdünn an olympischem Edelmetall vorbeischrammte.
Zuvor hatte er im Juni des Olympiajahres mit seiner bisherigen Bestmarke über 68,65 Meter in der litauischen Werferhochburg Kaunas die Leichtathletikwelt beeindruckt. Jetzt steckt der wurfgewaltige Elitesportler mitten im Vorbereitungstraining zum weltweit größten Jahresspitzensportereignis überhaupt: Die WM in Berlin.
Im August, bei der Leichtathletik-WM in Deutschlands Hauptstadt, hat der aus Cottbus stammende Wahlberliner natürlich nur ein Ziel vor Augen: Den ganz großen Wurf wagen und im Berliner Olympiastadion vor heimischen Publikum auf den Weltmeisterthron steigen. So wie sein Vorbild, der litauische Diskustriumphator und zweimalige Olympiasieger Virgilijus Alekna (Bestweite 73,88 m), will er im Sommer seine Kontrahenten mit „Mut zur Technik“ beherrschen.
Bloß keine Hektik
„Vor allem hektische Beinarbeit bringt nichts“, weiß der Berliner Ausnahmeathlet, „dann werden die Würfe zu kurz, weil du weniger Fliehkraft aufbaust.“ Dann holt Robert Harting – derzeit mit Abstand Deutschlands bester Diskuswerfer – erneut zum Wurf aus. Auch der 28. fliegt weit. Robert Harting lächelt zufrieden. Schließlich weiß er mittlerweile ganz genau, worauf es beim Techniktraining ankommt.
„Mehr als 30 bis 40 Würfe pro Training sind nicht drin“, erklärt er. Wegen der hohen Intensitäten, die bei jedem Abwurf auf die impulsgebenden Muskeln einwirken. „Mehr Würfe bedeuten Qualitätsverlust.“ Wie viel Druck bei jedem Abwurf auf die Finger wirkt, zeigt auch die Tatsache, dass Robert Harting Finger wie Mittelhandknochen mit blauem Tapeverband präpariert hat.
Vor jeden Wurf wird der Eisenstab, der an einer Seite über eine leicht geriffelte Oberfläche verfügt, zunächst mit Haftspay eingesprüht. „Der Anpressdruck ist dann so hoch, dass dir bei Würfen ohne Schutzpflaster ein ganzer Hornhautballen abreißen kann“, erklärt der Vizeweltmeister. Doch trotz der Schutzpolster, kleine Hautblessuren gibt es immer, wie Robert Hartings leichte Hautabschürfungen der Handinnenflächen bestätigen.
Seit November 2008 im WM-Vorbereitungstraining
Gut anderthalb Monate Pause vom Hochleistungssport hat sich Robert Harting nach seinem Wettkampfabschluss Ende September letzten Jahres gegönnt. Dann hieß es wieder sieben bis zwölf Trainingseinheiten pro Woche absolvieren.
Über den ersten Muskelkater nach einer halben Stunde Radfahren und etwas Kraftarbeit beim damaligen Auftakttraining, verliert Robert Harting jetzt nur noch ein müdes Lächeln. Längst steckt Deutschlands Diskusmedaillenhoffnung wieder voll im Saft.
„Die zwei Wochen Kienbaum haben gut angeschlagen“, verrät er. Denn erst seit gut einer Woche trainiert Robert Harting wieder im Berliner Olympiastützpunkt in Hohenschönhausen, immer mit dabei sein Trainer Werner Goldmann, Bruder Christoph und die deutsche Nnachwuchshoffnung Julia Fischer. „Die zwei Wochen Trainingslager am Bundesstützpunkt waren hart und idyllisch zugleich.“ So habe er im abgeschiedenen Kienbaum an die 80 Tonnen pro Woche an Gewichten gestemmt – oft in Form von Maximalkrafttraining.
Saisonstart mit guten Kraftwerten im Mai geplant
Den beim ostbrandenburgischen Tapetenwechsel erzielen Kraftzuwachs plant Robert Harting langfristig in Weite umzusetzen: „Ich fühle mich besser als 2007 und etwas schlechter als 2008. Das ist eine gute Grundlage“, schätzt er seine derzeitige Form mit verschmitztem Lächeln auf den Lippen ein.
Im Setzen immer neuer Reize liege die Kunst zum Erfolg im Diskuswurf, dessen Geheimnis in der Kombination einer hochkomplexen Ganzkörperrotation – der anderthalbfachen Drehung mit dem daraus resultierenden Kreiseleffekt – und einer optimalen Wurfparabel liegt. So hat er kürzlich ganz speziell seinen „Musculus pectoralis major“ – den großen Brustmuskel – trainiert, der vor allem für die wurfspezifischen Armzugbewegung nach innen und vorne verantwortlich ist.
Ein absoluter Brecher
„Mehr Druck von unten“, „bleib in der Achse“ oder „dynamischer das Andrehen, Julia“, immer wieder korrigiert Werner Goldmann minutiös jeden einzelnen Trainingswurf der kleinen Trainingsgruppe um Robert Harting, über den Werner Goldmann sagt: „Robert ist ein absoluter Brecher. Er kann sich ernorm mobilisieren und im entscheidenden Moment extreme Kraft aufbauen. Dies gepaart mit der richtigen Gefühlsdosis, ist die gesunde Erfolgsmischung.“
Und auch von den derzeit geworfen Weiten seiner Konkurrenz zeigt sich Robert Harting weitgehend unbeeindruckt. „Klar habe ich den ersten Fast-70-Meter-Wurf und einige der gerade erzielten vierundsechziger Weiten registriert.“ Doch vom frühen „Feuerspucken“ lasse er sich in seiner WM-Vorbereitung nicht irritieren.
Mit Ruhe und Konzentration
Damit spielt Robert Harting auf die Mitte März von dem Esten Gerd Kanter erzielt Weite über 69,70 Meter an. „Ich konzentriere mich ganz auf meinen Auftritt in Berlin“, erklärt der Deutsche. So will er „ganz bewusst“ nicht auf schnelle Erfolge bauen und hat seinen Saisoneinstieg entsprechend spät geplant: „Ich werfe am 16. Mai beim Meeting in Wiesbaden“, sagt er.
Damit Robert Harting Tag für Tag seine harten Einheiten ohne zeitliche Einschränkungen und soziale Einbußen durchführen kann, baut er auf einen starken Partner: Seit Oktober 2006 ist Robert Harting Soldat der Bundeswehr – allerdings im Sonderstatus „Sportsoldat“.
Bundeswehr als wichtiges Bindeglied
Für Topathlet Robert Harting, beim streitkräftegemeinsamen Organisationsbereich Streitkräftebasis geführt, „ist die Bundeswehr für die Spitzenleichtathletik Deutschlands wichtigstes Bindeglied“. „Weil die Nachwuchsförderung in Deutschland ansonsten schlecht organisiert ist“, sagt er.
„Ich werde verlängern und mich zum Feldwebel ausbilden lassen“, erklärt er seine Planung. Auch deshalb sei die Bundeswehr eine dopingfreie Zone und nicht nur wegen der rund 20 Dopingkontrollen: „Ein so gutes Trainingsumfeld würde sich jeder intelligente Sportler durch die Einnahme verbotener Substanzen nicht zerstören wollen.“
Sportfördergruppe Berlin – ein Superteam
Shakehands gab es für den sportlich hoch dekorierten Athleten kürzlich im Training. Da tauchten mit Roland Saar und Walter Hettinger zwei „gestandene Feldwebeldienstgrade“ im OSP auf – rein offiziell, zur Dienstaufsicht. Denn offiziell heißt das Motto für Sportsoldaten: 30 Prozent marschieren und 70 Prozent trainieren.
„Das ist bei Roberts Vorbereitung auf die WM aber völlig illusorisch, der braucht jetzt alle Zeit der Welt für seine Medaillenpläne“, sagt Oberstabsfeldwebel Walter Hettinger, Leiter der Sportfördergruppe Berlin, verständnisvoll. So laute sein Berliner Motto auch: „Erfolg braucht ein eingespieltes Team und Spitzenleistung erfordert Spitzenbetreuung.“
Kein trockener Funktionär
Den „Oberstaber“, wie ihn Robert Harting mit herzlicher Tonlage anspricht, schätzt der Sportsoldat vor allem, weil sein Chef kein trockener, uniformierter Funktionärstyp ist, dessen Hüftgold einen Schwimmring in den Uniformstoff beult. Walter Hettinger, dem man die 50 Lenze kaum ansieht, kommt von der Fallschirmjägertruppe und ist noch immer fit wie ein Turnschuh – absolviert als Vollblutsportler und Leichtathletikfan regelmäßig Langstrecken- und Marathonläufe.
Und der 44-jährige Stabsfeldwebel Roland Saar, Walter Hettingers Stellvertreter, der den Diskus schon mal beachtliche 41 Meter weit schleuderte, war vor zehn Jahren saarländischer Mehrkampf-Seniorenmeister. Das besondere Verständnis für die Lebenssituation von Spitzensportlern sei es, warum die Berliner Sportfördergruppe ein Superteam sei, findet Robert Harting.
Im SCC-Berlin gut integriert
Seit 2001, als Robert Harting Vize-Jugendweltmeister, in Folge mehrmaliger Deutscher Jugendmeister und 2006 U23-Europameister wurde, habe er einen enormen Reifeprozess durchlebt, urteilt Robert Harting aus heutiger Sicht über sich selbst. „Mit meinen damaligen Erfolgen war ich überfordert“, sagt er, der von seiner Umwelt damals oft als emotional übermäßig gereizt und in seinen öffentlichen Auftritten häufig als sehr provokant wahrgenommen wurde.
Dies war vor allem in der Phase, als er von der Jugend- in die Männerkonkurrenz wechselte. Seither habe er einen inneren Wandel vollzogen, den er vor allem seiner guten sportlichen Integration ins „Team Berlin“ des Berliner Leichtathletik-Verbands sowie dem Wechsel zum SCC Berlin verdanke.
Ein bislang nicht gekannter Wohlfühlfaktor
Unter der Symbolik des „Schwarzen C“ verspüre er nun „einen bisher nie gekannten Wohlfühlfaktor“ und „ein Superzusammenspiel“ was die sportliche Unterstützung angehe. „Der SCC-Präsident ist ein Mensch, der den Athleten aus dem Herzen spricht“, so Robert Harting über Klaus Henk, den er besonders schätze.
Robert Hartings seelische Ausgeglichenheit und distanzierte Sichtweisen resultierten auch aus vielen langen Gesprächen mit Reinhardt von Richthofen-Straatmann, dem Präsidenten des Berliner Leichtathletik-Verbandes. Der verzeichnet bei dem Berliner eine ausgesprochen positive Entwicklung und bilanziert die letzten drei Jahre: „Robert ist ein guter Typ für Berlin und mittlerweile ein deutsches Leichtathletik-Aushängeschild mit internationaler Reputation. Wenn Robert im Sommer in Berlin mit entfesselter Wurfkraft in den Ring steigt, ist Gold eine absolut realistische Größe.“
Im olympischem Oval mit entfesselter Kraft werfen
Was bildlich gesprochen zu verstehen ist: auf seiner Homepage – www.derharting.de – zeigt der Berliner WM-Medaillenaspirant seine gut verteilten Proportionen martialisch in eiserne Kettenglieder gehüllt, was Journalistenfragen nach dem tieferen Sinn der Kollage naturgemäß geradezu heraufbeschwört. „Die Message der Symbolik soll deutlich machen in welchen sportlichem Dilemma wir Diskuswerfer stecken“, erklärt Robert Harting.
So müsse der Diskuswerfer sportlich viele Gegensätze in sich vereinen: muskulös und von robuster Statur sein, gleichzeitig seine Feinmotorik in den 1,5 Sekunden des Drehmoments der Abwurfphase optimal ausspielen und über hohe Explosivkraft verfügen, um dem Diskus Anstellwinkel, Druck und Geschwindigkeit auf seiner Flugbahn zu geben.
Gewissermaßen „gordische Ketten“, die der Athlet mit nur entfesselter Wurfkraft überwinden könne. Laut eigenem Homepage-WM-Countdown bleiben Robert Harting noch 137 Tage als Vorbreitungszeit für seinen persönlichen WM-Fahrplan. Dann steht der Hauptstadthüne erstmals in Berlins blauem Oval, um mit seiner Zwei-Kilo-Scheibe in Richtung Gold auszuholen.