| Interview der Woche

Robin Schembera: „Ich laufe nach Bauchgefühl“

800-Meter-Läufer Robin Schembera (TSV Bayer 04 Leverkusen) hat am Pfingstsonntag in Hengelo (Niederlande) mit einem couragierten Rennen die WM-Norm für Peking (China; 22. bis 30. August) abgehakt. Die persönliche Bestzeit steht nun bei 1:45,48 Minuten. Im Interview spricht der U20-Europameister von 2007 unter anderem über das Schreckgespenst Normen-Hatz, Gedanken ans Aufhören und Ambitionen als Pace-Maker für andere WM-Aspiranten.
Harald Koken

Robin Schembera, Sie haben in Hengelo den seit 2009 bestehenden Hausrekord um 15 Hundertstel verbessert und die WM-Norm erfüllt. Was ist für Sie persönlich wichtiger?

Robin Schembera:

Die persönliche Bestleistung. Immerhin habe ich sechs Jahre darauf gewartet. Nach so einer langen Zeit ist es schön zu wissen, dass man es immer noch kann und sogar noch besser als vor einigen Jahren.

Sie haben sich zunächst in Lauerstellung begeben, um dann in der letzten Kurve entschlossen zu attackieren. War das Taktik oder Bauchgefühl?

Robin Schembera:

Ich bin keiner, der sich vorher groß eine Taktik zurechtlegt. Ich laufe nach Bauchgefühl, je nachdem, wie es sich gerade entwickelt. Jede Taktik kann durch den Konter einer anderen Person kaputt gemacht werden. Von daher muss man schnell im Rennen reagieren können. Ich bin jemand, der generell gerne weit vorne läuft, an Position zwei oder drei. In den Meetings, wenn es um eine schnelle Zeit geht, bin ich meist defensiver und verhaltener. Das war in Hengelo aber nicht so. Als ich dann in der letzten Kurve attackiert habe, hatte ich noch viel Power. Das habe ich schon auf der Gegengeraden gespürt, aber da wollte ich noch nicht vorbeigehen.

Auf der Ziellinie hat Sie Europameister Marcin Lewandowski hauchdünn abgefangen. Haben Sie das sofort realisiert?

Robin Schembera:

Ich habe den Siegerstrauß bekommen, aber gedacht: Naja, der ist eigentlich nicht für mich bestimmt. Dafür hat man ein Gespür. Wenn man ein paar Jahre läuft, dann merkt man, ob man zwei Hundertstel vor- oder zurückliegt. Ich habe nur auf die Siegerzeit geguckt und wusste, das war so nah beieinander, da wird die WM-Norm wohl gefallen sein...

... der Sie nun nicht mehr hinterher hetzen müssen.

Robin Schembera:

Genau. Ich gehe davon aus, dass ich mir einiges an Körnern sparen kann. Ich kann jetzt vor allen Dingen nach Lust und Laune laufen. In der Jugend sind mir die Qualifikationsstandards einfach zugeflogen. Aber dann habe ich sieben Saisons immer versucht, irgendeiner Norm hinterher zu laufen, zum Teil sogar bis zum letzten Tag. Das ist nicht nur körperlich sowas von anstrengend, sondern auch mental. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schlimm das ist. Aber jetzt kann ich auch einmal einen 400er einstreuen, vielleicht mal einen 1.500er.

Kann Ihnen noch jemand das WM-Ticket streitig machen?

Robin Schembera:

Das glaube ich nicht. Dann müssten noch Drei die Norm laufen und ich bei der Deutschen Meisterschaft Vierter werden. Das halte ich für unrealistisch. Ich glaube schon, dass einige Jungs auch in diesen Bereich rennen können, der eine oder andere durchaus 1:45 Minuten. Aber es ist schwer, ein passendes Meeting zu finden. Wir müssen aber noch einmal überlegen. Vielleicht machen wir irgendwo ein schnelles Rennen, bei dem ich für die Jungs das Tempo besorge.

Sie sind in diesem Jahr Deutscher Hallenmeister und Hallen-EM-Fünfter geworden. Beobachter haben Ihnen einen erfolgreichen Reifeprozess bescheinigt. Mit Recht?

Robin Schembera:

(lacht) Wahrscheinlich. Ich bin ruhiger geworden, aber in manchen Aktionen doch noch durchgeknallt genug. Ich habe in der Halle viele Wettkämpfe gemacht, weil ich wusste, dass ich viel laufen musste, um Wettkampfhärte zu bekommen und Laktat wieder zu vertragen. Deshalb habe ich mit meinem Trainer zusammen entschieden, dass wir einen Wettkampfblock einstreuen von neun bis zehn Rennen in sieben Wochen. Das hat extrem geholfen, auch für die Bahnsaison. Ich habe den Schwung mitgenommen.

Ist im Training etwas verändert worden?

Robin Schembera:

Wir haben in den letzten Jahren generell mehr Ausdauer aufgebaut und mehr Krafttraining gemacht, wodurch ich jetzt eine gewisse Basis habe. Jetzt kann ich mich wieder auf gute Tempoläufe und Sprints konzentrieren. Als ich aus der Jugend rauskam, hatte ich weder Kraft noch Ausdauer, sondern habe alles aus einer Tempohärte heraus gemacht. Da war irgendwann das Limit erreicht, die Regenerationszeiten wurden immer länger und dieser Zustand für mich zum Problem. Durch die letzten zwei Trainingsjahre ist ein Fundament gelegt worden. Da kann ich auch einmal sagen: Okay, diese Woche mache ich ein bisschen weniger Ausdauer und lege den Fokus auf ein paar Tempoläufe mehr.

Sie hatten immer wieder Rückschläge zu verkraften. Haben Sie ans Aufhören gedacht?

Robin Schembera:

Auf jeden Fall. Das hat 2012 angefangen. Da war ich komplett verletzt. Nachdem ich 2008 Olympia ganz knapp verpasst hatte, wollte ich nun unbedingt hin. Zum zweiten Mal vorbeigelaufen, da wollte ich aufhören, konnte mich aber nicht ganz mit dem Gedanken anfreunden. 2013 lief dann zwar schleppend, aber doch ganz gut. Ich bin beim ISTAF 1:46,0 Minuten gerannt, das war okay. Dann traten 2014 mentale Probleme auf bis hin zu Ängsten. Das hat sich aufgestaut, da habe ich komplett zugemacht. Da hat nicht mehr viel zum Aufhören gefehlt. Es gab aber genug Leute, die mich gestützt haben.

Einer von ihnen war Ihr Trainer Paul Heinz Wellmann. Wie ist er Ihnen gegenüber aufgetreten?

Robin Schembera:

Er hat es versucht mit: Komm jetzt, Junge, reiß dich zusammen. Dann hat er gemerkt, das wird nichts. Dann hat er es auf der sensibleren Schiene probiert und erkannt, okay, das klappt auch nicht. Dann haben wir zum Saisonende einen Psychologen hinzugezogen. Ich hatte dann zwei Sitzungen, die waren soweit ganz gut. Aber letztendlich kann er einem auch nur Überlegungen mit auf den Weg geben. Die Einsicht muss vom Athleten selber kommen. Aber insgesamt hat diese Aktion einiges gebracht.

Wie sehr profitieren Sie von Ihrer Trainingsgruppe, der sich im Herbst mit Patrick Schoenball ein Mann angeschlossen hat, der auch schon 1:47,84 Minuten gelaufen ist?

Robin Schembera:

Das ist sicherlich eine Bereicherung. Vor allem in der Hallensaison konnte ich in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung die meisten Einheiten mit Patrick zusammen machen. Ansonsten ist das mit Trainingsgruppen so eine Sache. Als wir die Saisonvorbereitung gestartet haben, da waren alle fit und alle hatten ungefähr das gleiche Level. Die langen Läufe konnten alle zusammen machen. Aber es ist oft so: Irgendwann kommt der erste mit einer Verletzung, der zweite hat andere Verpflichtungen, der dritte kann aus privaten Gründen nicht. Dann musst du deinen Kram doch wieder ganz alleine machen.

Und wie geht es nun weiter?

Robin Schembera:

Am Freitag laufe ich in Dessau. Danach muss ich mal schauen. Denn als ich von der Staffel-WM auf den Bahamas zurückgeflogen bin, saß ein recht beleibter Herr neben mir und ich musste mich die ganze Zeit am Fenster einquetschen. Seitdem habe ich ein bisschen Probleme mit dem Beuger und den Adduktoren. Wenn das nach Dessau nicht weg ist, muss ich überlegen, ob ich das drei oder vier Tage in einem Reha-Zentrum behandeln lasse.

Der deutsche Rekord von Willi Wülbeck liegt bei 1:43,65 Minuten. Ist er jetzt wieder Thema?

Robin Schembera:

Darüber können wir gerne reden, wenn ich in den Bereich von 1:44,50 Minuten renne. Vorher ist das absolut zu weit weg. Ab 1:44,50 Minuten kann immer mal einer rausrutschen. Aber solange ich noch fast zwei Sekunden davon entfernt bin, was locker 16 Meter sind, ist das kein Thema für mich.

<link news:41143>Mehr: Robin Schmebera wie entfesselt

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