Römischer Nachtlauf zu Ehren von Abebe Bikila
Abebe Bikila war der Vorläufer von Haile Gebrselassie und Kenenisa Bekele. In Äthiopien, seinem Heimatland, preisen sie ihn als einen größten Marathonläufer aller Zeiten. Vierzehn Rennen hat er von 1960 bis 1968 absolviert. Elfmal war er siegreich, darunter zweimal bei Olympischen Spielen: 1960 in Rom und 1964 in Tokio.

Alberico di Cecco führt das Feld zu Ehren von Abebe Bikila an (Foto: Kiefner)
Ihm zu Ehren wird heute um 24 Uhr ein Rennen über elf Kilometer mitten in der Metropole gestartet. 2.000 Teilnehmer machen die Nacht zum Tage und gedenken dem hageren Äthiopier, der am 13. Oktober 1973 in Addis Abeba gestorben ist.Der Nobody aus Ostafrika war 1960 die Sensation der Olympischen Spiele. Barfuss eilte er damals über die römischen Prachtstraßen. Mit fast einer Minute Vorsprung überquerte Abebe Bikila den Zielstrich. Er benötigte 2:15:16 Stunden und unterbot sowohl die olympische Bestmarke von Emil Zatopek (2:23:02 h) als auch die Weltbestleistung des Russen Sergej Popov (2:15:17 h).
Die Nummer elf
Der Mann mit der Nummer elf, dessen Name bei Beginn der Sommerspiele kein Mensch gekannt hatte, war der strahlende Held des Abends. Die Nachricht, dass er ohne Schuhe Marathon-Gold geholt hatte, machte die Runde um die Welt. Allein der Gedanke, 42 Kilometer hintereinander so flott zu laufen, mutete fantastisch an. Dass darüber hinaus einer mutig genug war, die lange Strecke barfuss in Angriff zu nehmen, rief blankes Erstaunen hervor. Als ein Naturwunder ging Abebe Bikila in die olympische Historie ein.
Was kaum einer wusste: Abebe Bikila hatte bloß deshalb keine Schuhe getragen, weil es für ihn in Rom nicht die passenden gab. Zweimal versuchte er es mit Schuhen, die er im Schaufenster eines der kleinen Geschäfte gesehen hatte, von denen es im Olympischen Dorf viele gab. Doch die Schuhe saßen nicht. Er bekam Blasen und meinte: "Ich kann auch ohne gewinnen."
Vier Jahre später in Tokio trug er Schuhe und war nicht mehr unbekannt. Abebe Bikila rannte das gesamte Feld in Grund und Boden. In 2:12:11 Stunden triumphierte er mit über vier Minuten Vorsprung auf den Briten Basil Heatley. Als erster Läufer überhaupt hatte er es fertiggebracht, zum zweiten Mal eine Marathon-Goldmedaille zu erobern.
Kein Zeichen der Schwäche
Kein Zeichen der Schwäche war im Ziel zu erkennen. Anders seine Gegner, die auf den Tragen der Sanitäter aus der Arena transportiert wurden. Abebe Bikila hingegen verlängerte die Tortur freiwillig. Er begab sich in die Mitte des Rasenplatzes und begann mit entspannender Gymnastik, bis die Fanfarenstöße zur Siegerehrung seine Lockerungsübungen beendeten.
In der dünnen Höhenluft von Mexiko griff er 1968 erneut nach Gold. Vergebens! Abebe Bikila warf nach 17 Kilometern das Handtuch. Für seinen Landsmann Mamo Wolde, Erster in 2:20:26 Stunden, war sein Ausscheiden keine Überraschung. "Abebe lag vier Tage mit einer Erkältung im Bett", berichtete er. Hinzu kam noch eine hartnäckige Knieverletzung, die ihn, den Leutnant der Leibwache von Kaiser Haile Selassie, aus der Spur geworfen hatte.
Der Name Abebe Bikila ging nach wenigen Monaten wieder durch die Weltpresse. Der Anlass war eher traurig, denn er hatte einen schweren Unfall, der sein ganzes Leben verändern sollte. Am 20. März 1969 war er rund 75 Kilometer von Addis Abeba entfernt mit einem Pkw unterwegs. In einer unübersichtlichen Kurve wurde der Doppel-Olympiasieger von einem Lastkraftwagen geblendet. Er raste mit seinem Fahrzeug eine Böschung hinunter und blieb dort dreizehn Stunden liegen. Ohne Bewusstsein und in strömendem Regen. Nahezu gelähmt und total durchnässt fand man ihn schließlich.
Innere Kraft verbraucht
Seither war sein durchtrainierter Körper vom Schultergelenk abwärts steif, gefühllos, tot. In der Bewegung, wo er 1960 und 1964, in Rom und in Tokio, stärker war als alle anderen, war er nun schwächer als der Schwächste. Für immer!
Das Grausen über seine Situation ließ ihn nicht mehr los. Seine innere Kraft war bald verbraucht. Gegen Formkrise, Schwäche und Müdigkeit vermochte er anzukämpfen. Doch seine Lähmung war endgültig und absolut. Sie ließ ihm keine Chance.
Schlaganfall mit 41
In München 1972, wo er als Ehrengast der Olympischen Spiele weilte, sagte Abebe Bikila mit leiser Stimme: "Es hat keinen Sinn, über meine Lage zu klagen, es kann demnächst noch schlimmer werden." Am 13. Oktober 1973 starb er im Militärhospital von Addis Abeba an den Folgen eines Schlaganfalls – mit gerade mal 41 Jahren.
In Rom, wo sein Stern einst aufgegangen ist, werden sie heute ihm zu Ehren den "CorriRoma per ricordare Bikila" austragen, einen Nachtlauf vorbei am hell erleuchteten Colosseum, dem gewaltigen Amphitheater. Alberico di Cecco, einer der besten Marathonläufer Italiens und Gewinner des Rom-Marathons, wird die Startnummer eins tragen und Carlo Durante, 1992 Marathon-Erster der Paralympics, die Nummer elf - wie Abebe Bikila 1960 in Rom.