| Interview

Ronald Stein: "Die Entwicklung ist fantastisch"

Im deutschen Frauensprint drängen immer mehr junge Athletinnen in die Spitze, U20-Athletin Gina Lückenkemper (LAZ Soest) hat etwa die WM-Norm für Peking unterboten. Mit dieser Entwicklung ist Sprint-Bundestrainer Ronald Stein sehr zufrieden. Er hat aber auch die etablierten Kräfte wie Verena Sailer (MTG Mannheim) weiter auf dem Zettel.
Daniel Becker

Ronald Stein, bis jetzt haben über die 100 Meter Tatjana Pinto, Rebekka Haase und Gina Lückenkemper die WM-Normfür Peking erreicht. Hätten Sie mit dieser Konstellation gerechnet?

Ronald Stein:

Von Rebekka Haase habe ich mir schon erhofft, dass sie auf jeden Fall in die Nähe der WM-Norm kommt, sowohl über 100 als auch über 200 Meter. Über 200 Meter wird sie sich sicher auch noch steigern und in die Nähe der Norm kommen. Die Entwicklung bei den Jugendlichen ist fantastisch. Die Zeiten von Gina Lückenkemper mit 11,25 Sekunden und von Lisa Mayer mit 11,31 Sekunden sind für U20-Sprinterinnen absolute Topwerte. Da war natürlich nicht mit zu rechnen, das gebe ich offen und ehrlich zu.

Trauen Sie neben Rebekka Haase auch Gina Lückenkemper noch zu, über die 200 Meter die WM-Norm zu knacken? Sie war bislang sogar noch gut ein Zehntel schneller als Rebekka Haase.

Ronald Stein:

Ja, ich denke schon, dass beide die Möglichkeiten haben, auch über 200 Meter noch die Norm zu laufen. Die Ausgangsleistungen über 100 Meter sind von der Grundschnelligkeit her so gut, dass sie über 200 Meter auch unter 23 Sekunden laufen können. Die Bedingungen, die sie bis jetzt in ihren 200-Meter-Rennen hatten, waren nicht so, dass sie 22,80 oder 22,90 Sekunden hätten laufen können. Ich denke, wenn jetzt mal ein Wettkampftag kommt, an dem die Bedingungen passen und sie gut in Form sind, traue ich beiden zu, dass sie unter 23 Sekunden laufen.

Auch die schnellste Deutsche über 100 Meter, Tatjana Pinto, ist noch sehr jung und wird im Juli 23 Jahre alt. Wird sie sich noch weiter steigern?

Ronald Stein:

Seit ihrer Bestzeit stagniert Tatjana in den letzten Jahren leider im Bereich um 11,20 Sekunden. Ich erhoffe mir aber, dass vielleicht sogar dieses Jahr noch der Knoten platzt, spätestens aber im Olympiajahr. Eine Entwicklung in den Bereich um 11,10 oder 11,15 Sekunden ist da auf jeden Fall möglich.

Die eigentliche Nummer eins, Verena Sailer, ist noch nicht in Form. Glauben Sie, dass sie bis zur WM noch rechtzeitig ihr Leistungsvermögen abrufen kann?

Ronald Stein:

Die 11,52 Sekunden aus Bottrop würde ich nicht ganz so hoch hängen, weil die Bedingungen wirklich schlecht waren. Es herrschte Gegenwind, und es war kühl und regnerisch. Zudem war es auch erst ihr Saisoneinstieg. Ich bin relativ entspannt, was ihre Leistungsfähigkeit angeht. Wenn sie gesund ist und die Bedingungen stimmen, wird sie in den nächsten Wochen wieder schnell laufen.

Werfen die aktuellen Ergebnisse Ihre Planungen – auch in Hinblick auf die Staffel in Peking – etwas durcheinander, oder schauen Sie sich die Entwicklungen ganz entspannt an?

Ronald Stein:

Wir sind insgesamt in einer guten Situation. Gina Lückenkemper, Rebekka Haase und Tatjana Pinto haben die Norm schon gelaufen, und ich gehe davon aus, dass Verena Sailer die Norm auch noch laufen wird. Dann hätten wir vier Sprinterinnen, die die Einzelnorm erreicht haben. Man muss dann auch einfach mal abwarten, da die Saison insgesamt noch relativ lang ist. Es kommt für Gina Lückenkemper und Lisa Mayer noch die U20-Europameisterschaften und für Rebekka Haase die U23-Europameisterschaften.

Ende Juli sind dann noch die Deutschen Meisterschaften in Nürnberg...

Ronald Stein:

Danach werde ich die sechs Damen für Peking ja auch erst nominieren. Man muss dann sehen, wer auch hinten raus noch schnell ist und verletzungsfrei über die Saison kommt. An sich ist es für mich leichter, wenn ich die Wahl zwischen fünf oder sechs schnellen Frauen habe, als wenn ich nur zwei hätte. Ich bin diesbezüglich also relativ entspannt und hoffe einfach, dass alle gut durchkommen und sich niemand verletzt. Ich bin sehr optimistisch, dass wir in Peking eine sehr schnelle Staffel auf die Bahn stellen werden.

Bei der Team-EM in Cheboksary hat die Staffel mit einem dritten Platz ganz gut funktioniert, obwohl sie, an den Zeiten gemessen, nicht in Bestbesetzung angetreten ist. Unter anderem waren Yasmin Kwadwo und Alexandra Burghardt am Start. Wie groß schätzen Sie die Chance für diese Sprinterinnen ein, in Peking dabei zu sein?

Ronald Stein:

Alexandra hat sich auf 11,32 Sekunden verbessert, Yasmin hat eine Bestzeit von 11,29 Sekunden und ist jetzt 11,36 Sekunden gelaufen. Ich denke, dass wir eine Vielzahl von guten Sprinterinnen haben. Und Konkurrenz belebt das Geschäft. Keine kann sich auf ihren Leistungen ausruhen, und gerade weil die Jungen von hinten drücken und sich mit guten Leistungen aufdrängen, ist die Situation für einen Bundestrainer nicht schlecht, wenn er eine solch hohe Dichte an guten Sprinterinnen hat.

In dieser Saison stehen bislang andere Protagonistinnen im Vordergrund, als man im Vorfeld annehmen konnte. Wie zufrieden sind sie mit dem Saisonverlauf insgesamt?

Ronald Stein:

Ich bin bis jetzt sehr zufrieden. Ich kann mich nicht daran erinnern, in den letzten Jahren zu einem so frühen Zeitpunkt schon drei Sprinterinnen gehabt zu haben, die unterhalb der Norm geblieben sind. Und das, wo mit Verena Sailer unsere im Prinzip Beste noch gar nicht richtig in die Saison eingestiegen ist. Und warum sollen nicht auch Alexandra und Yasmin noch in die Nähe der Norm kommen?

Ich bin sehr gespannt auf die Deutschen Meisterschaften, wenn alle zusammen in den Startblöcken sitzen und sich dann durchsetzen müssen. Das ist insgesamt schon sehr positiv und erinnert mich an die Situation bei den Männern in den letzten Jahren. In diesem Jahr sind die drei Finalisten der Hallen-EM Reus, Blum und Jakubczyk noch gar nicht groß in Erscheinung getreten, und dennoch haben wir in Nassau bei den World Relays, beispielsweise mit Patrick Domogala, und bei der Team-EM, etwa mit Robin Erewa, gute Leistungen abgeliefert.

Sie haben das kommende Olympiajahr schon kurz angesprochen. Mit Blick auf die gute Weiterentwicklung der Nachwuchssprinterinnen: Wie weit gehen Ihre Gedanken schon in Richtung Rio?

Ronald Stein:

Logisch habe ich Rio schon im Hinterkopf.  Man darf natürlich nicht zu euphorisch werden, da noch ein ganzes Jahr vor den Olympischen Spielen liegt. Die Athletinnen müssen da wieder gesund durchkommen. Man kann nie abschätzen, ob das so funktioniert. Aber ich denke, wenn alle gesund bleiben, werden wir nächstes Jahr im Frauen- wie auch im Männerbereich zwei sehr schlagkräftige Staffeln an den Start bringen können.

Stichwort schlagkräftige Staffel: Was ist das Ziel für die Frauenstaffel in Peking? Und was ist in den Einzelläufen möglich?

Ronald Stein:

Ich hoffe schon, dass von den drei Einzelstarterinnen zumindest eine oder zwei ins Halbfinale laufen können. Vom Finale wollen wir jetzt nicht sprechen, weil ganz vorne ja im Moment unglaublich schnelle Zeiten gelaufen werden. Auch die Breite ist noch viel stärker geworden, als das in den letzten Jahren der Fall war. Eine oder zwei sollten den Anspruch Halbfinale aber auf jeden Fall haben.
Das traue ich den Athletinnen auch zu.

Und mit der Staffel?

Mit der Frauen- sowie auch mit der Männerstaffel ist es ganz klar das Ziel, die Finalläufe zu erreichen. Bei den Männern müssen wir noch schauen, wer es von den Verletzten bis Peking noch schafft. Bei den Frauen müssen wir zumindest noch den Juli abwarten, vor allem auch, wie die U20- und U23-Athletinnen die Wettkämpfe verkraften. Wenn alle ohne Probleme durchkommen, erhoffe ich mir, dass wir bei den Frauen eine sehr ordentliche Staffel auf die Bahn stellen können, die die Möglichkeit hat, zwischen 42,40 und 42,60 Sekunden zu laufen. Das ist unser Anspruch und dann ist man von der Spitze zumindest mal nicht ganz so weit weg ist. Es gehört immer auch etwas Glück dazu, aber ich bin sehr optimistisch und freue mich auch schon darauf.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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