| Vor der Staffel-WM

Ronald Stein und der lange Weg zum Sprintgipfel

Bei den "World Relays" auf den Bahamas stehen am kommenden Wochenende (2./3. Mai) die Staffeln im Fokus. Schritt für Schritt haben vor allem die deutschen Sprinter in den vergangenen Jahren den Sprung aus dem Schatten ins Rampenlicht geschafft und sogar für internationale Einzelmedaillen gesorgt. Bundestrainer Ronald Stein hat die Entwicklung mit seinem Team gesteuert und für die Arbeit erste Früchte geerntet. Weitere Erfolge sollen folgen.
Pamela Ruprecht

Die Wende kam 2011, an einem relativen Tiefpunkt. Die deutsche Männer-Sprintstaffel schied bei der WM in Daegu (Südkorea) bereits im Vorlauf aus. „Das war ein Knackpunkt, an dem wir gesagt haben, wir müssen jetzt etwas verändern“, erinnert sich Bundestrainer Ronald Stein. Die Einleitung eines grundlegenden Veränderungsprozesses wurde zur Chefsache. Das bisherige Trainingsmodell der deutschen Sprinter wurde in Frage gestellt, internationale Trends wurden analysiert.

Mit dem Ziel, den Anschluss an die internationale Spitze zu halten, wurden gemeinsam mit Cheftrainer Idriss Gonschinska Trainingskonzept, Sprintphilosophie und Technikbild überdacht. Das Ergebnis: Blockperiodisierung, eine andere Jahresplanung. Die Anpassung an das US-amerikanische Wettkampfgeschehen wurde zur Grundphilosophie.

Große Erfolge nach Philosophiewechsel

In Mittelpunkt der Frühlings-Trainingslager in Florida standen nun nicht mehr grundlegende Trainingsinhalte, sondern die Teilnahme an Wettkämpfen. "Wir trainieren nicht um zu trainieren, sondern wollen bei den Wettkämpfen schnelle Zeiten realisieren und die Ziel-Renngeschwindigkeiten entwickeln", gibt Ronald Stein als klaren Kurs vor. Die Taktik ging auf, die Resultate sprechen für sich.

„Das hat sich auch in den Leistungen der letzten Jahre wiedergespiegelt, dass wir damit den richtigen Weg eingeschlagen haben“, bilanziert er. Jüngster Erfolg: drei Medaillen bei der Hallen-EM in Prag (Tschechien). Das 60-Meter-Finale der Männer hat eingeschlagen. „Mit Platz zwei, drei und sechs haben wir dort ein einzigartiges Ergebnis produziert.“ Auch Silber für das 4x100-Meter-Quartett der Männer bei der EM in Zürich (Schweiz) und Platz vier bei der WM in Moskau (Russland) zeigen, dass die nicht so rosige Gesamtsituation der 90er und 2000er Jahre der DLV-Sprinter vorüber ist.

Bundestrainer für Männer und Frauen

Verantwortlicher Staffel-Trainer der Männer ist der Diplom-Sportwissenschaftler Ronlad Stein schon seit 2006, Bundestrainer für den gesamten männlichen Kurzsprint wurde er als Nachfolger von Klaus Jakobs 2010. Im vergangenen Jahr hat er auch das Amt für den Frauenkader übernommen, sein Trainingskonzept sich somit ausgeweitet.

„Ich erhoffe mir im Frauenbereich eine ähnliche Leistungsentwicklung wie im Männerbereich“, sagt er. Die Durchführung gemeinsamer Maßnahmen schätzt er für beide Seiten als gewinnbringend. In der Zusammenarbeit gibt es einen kleinen Unterschied: Mit den Athletinnen, die er nicht tagtäglich betreut, muss er sich gelegentlich etwas ausführlicher austauschen. „Sie wollen schon mal tiefergreifendere Informationen haben, wieso, weshalb, warum. Das ist mit den Männern etwas einfacher und relaxter“, erzählt der Bundestrainer, dem die Arbeit mit den Mädels viel Spaß macht.

Verantwortung für den Sprint der Männer und Frauen sowie für beide Sprintstaffeln: Viele Aufgaben für einen Mann. Was Kaderlehrgänge, Trainingslager und Nominierungen betrifft, erfährt Ronald Stein deshalb Unterstützung von DLV-Disziplintrainer C-Kader männlich Jörg Möckel. Zudem bringt Valerij Bauer sein Know-How in das Team ein. Ronald Stein hat vollstes Vertrauen in seine beiden Kollegen, auch Michael Manke-Reimers und Thomas Prange sind in die Kadermaßnahmen integriert. Ronald Stein sieht im Teamwork einen wichtigen Erfolgsfaktor.

Rahmen mit Freiheiten

Im derzeitigen Trainingslager in Clermont, Florida (USA) gibt der Bundestrainer flexibel den Rahmen vor. Starts, Staffeleinheiten und Wettkämpfe haben für ihn Priorität, die World Relays in Nassau (Bahamas; 2./3. Mai) stehen vor der Tür.

Alle weiteren Trainingsinhalte, Tempoläufe, Krafttraining oder allgemeine Athletik werden begleitend eingesetzt und obliegen den mitgereisten Heimtrainern. „Natürlich soll nicht jeder das gleiche machen, sondern individuell betreut werden, aber alle sollen die Ziel-Renngeschwindigkeiten ausprägen, die Rennmodelle stabilisieren und letztlich über die Teilnahme an den anspruchsvollen Wettkämpfen in Florida die Form für den Sommer aufbauen“, sagt der 51-Jährige.

Über Nassau nach Rio?

Die Vorbereitung auf die Staffel-WM lief für die Kurzsprint-Staffeln eigentlich mit dem Ziel Qualifikation für die Olympischen Spiele in Rio (Brasilien). Das bedeutet einen Platz unter den Top Acht. Ronald Stein rechnet damit, dass von den Männern eine Zeit von 38,30 Sekunden gefordert ist, um direkt ins Finale einzuziehen. Das gleich im ersten richtigen Wettkampf der Saison. „Das ist schon eine ordentliche Hausnummer.“

Zumal das 100-Meter-Quartett verletzungsbedingt nicht nur auf den Deutschen Rekordhalter Julian Reus verzichten muss, der erst gar nicht nominiert worden war, sondern auch auf Christian Blum (beide TV Wattenscheid 01) und Lucas Jakubczyk (SCC Berlin). Blum laboriert an Wadenproblemen, Jakubczyk zog sich im Abschlusstraining eine Stauchung im Sprunggelenk zu.

"Durch den Ausfall aller drei Hallen-EM-Finalisten wird eine direkte Olympia-Qualifikation natürlich sehr schwierig", sagt Ronald Stein, betont aber auch: "Die vier zum Einsatz kommenden Athleten haben mein vollstes Vertrauen. Wir greifen trotzdem an und versuchen, das Unmögliche möglich zu machen."

Technik von Yohan Blake als Modell

Der Bundestrainer und sein Team von Trainingswissenschaftlern, zu denen unter anderem Biomechaniker Dr. Ralf Buckwitz vom Olympiastützpunkt Berlin und Dr. Wolfgang Bauzus aus Dortmund zählen, haben bei der Heim-WM 2009 reichlich Auswertungsmaterial für die Entwicklung eines neuen Technikleitbildes gesammelt. Nicht Weltrekordler Usain Bolt, sondern dessen jamaikanischer Landsmann Yohan Blake gilt seitdem als technisches Leitbild für die Abläufe der DLV-Sprinter.

„Es gab eine schöne Aufnahme, bei der Ralf Buckwitz nochmal alles auseinander nehmen konnte und bis ins kleinste Detail die Technik von Blake analysiert hat“, erzählt Ronald Stein. Seit 2004 arbeitet er mit dem Wissenschaftler schon eng zusammen.

Ein wichtiges Puzzleteil für seine Trainingsstrategie: Mit welchem Training erreicht man die Sprinttechnik des 100-Meter-Weltmeisters von 2011? Sukzessive hat das Sprint-Team nach den Vorgaben des Cheftrainers ein Konzept der Blockperiodisierung entwickelt. Die klimatischen Bedingungen in den USA und die Erkenntnis, dass sich in den letzten Jahren immer mehr europäische Spitzennationen dort auf die Saison vorbereiten, war ein weiterer Ausschlag. „So kam ein Mosaiksteinchen zum anderen.“

Von Wattenscheid über Chemnitz nach Leipzig

Aus Erfahrung kann Ronald Stein schöpfen. Von 1992 bis zum Jahr 2009 war er Trainer beim TV Wattenscheid 01 und hat dort über 17 Jahre hinweg die Sprint-Hochburg aufgebaut. Sein namhafter Schützling in den 90ern: Marc Blume, 1996 Hallen-Europameister über 60 Meter. Ab diesem Jahr gehörte auch die feste Staffel-Größe Alexander Kosenkow zu seiner Gruppe.

Nach der Ära in Wattenscheid ging es aus privaten Gründen zunächst nach Chemnitz und ein Jahr später nach Leipzig, wo Ronald Stein am Bundesstützpunkt als Heimtrainer eine große Gruppe hat: Unter anderen trainieren dort Sven Knipphals (VfL Wolfsburg), der Hallen-EM-Zweite Christian Blum und Martin Keller sowie die Hürdensprinter Alexander John und Erik Balnuweit (alle LAZ im SC DHfK Leipzig). Auch der Leverkusener Aleixo Platini Menga trainiert regelmäßig beim Bundestrainer in Leipzig.  

Durch die intensive Zusammenarbeit mit Hürdensprint-Bundestrainer Jan May kann das Heimtraining vor Ort gut abgedeckt werden. Er springt für Stein ein, wenn der in Sachen Kader unterwegs ist. Die wissenschaftliche Trainingsbetreuung wird vor Ort vom regionalen Olympiastützpunkt begleitet und über die Projektleitung durch den Olympiastützpunkt Berlin gesteuert.  Trainingslager, Wettkampfauswertungen, Kraftdiagnostiken.

Um die olympische Bronzemedaille mitlaufen

All diese Faktoren haben zu mehr Speed geführt. Prag hat gezeigt, dass DLV-Sprinter in Europa auch im Einzelmedaillen gewinnen können. „Hinter den Briten haben wir uns gut einsortiert.“ Für die Zukunft soll weiter getüftelt und experimentiert werden, so dass sich das Leistungsniveau bis zu den Olympischen Spielen in der Spitze und Breite noch weiter entwickelt.

„Unser großes Ziel ist es, in Rio um die olympische Bronzemedaille mitzulaufen.“ Dazu muss eine Zeit von 37,80 Sekunden her, denkt Ronald Stein. Das sind zwei Zehntel unter dem deutschen Rekord (38,02 sec), nur zu erreichen durch Verbesserung der individuellen 100-Meter- und 200-Meter Zeiten. „Ich bin sehr optimistisch, dass wir das hinkriegen. Die Jungs sind motiviert“, sagt ein Bundestrainer, der viel geschafft hat und noch viel vorhat. Wie schön es ist, gemeinsam erfolgreiche Wettkämpfe zu bestreiten, wissen sie. Den Spirit aus der Halle nehmen die DLV-Sprinter auch mit nach Nassau.

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