Ronald Weigel - „Top 10 ist Herausforderung“
Die deutschen Geher kehren vom Weltcup in Cheboksary (Russland) mit einem Ergebnis zurück, das DLV-Disziplintrainer Ronald Weigel nicht zufrieden stellt. Wo die Athleten stehen, welche Arbeit auf sie wartet, um höchsten Ansprüchen zu genügen, und welche Hoffnungen für die Olympischen Spiele in Peking (China) bestehen, hat Christian Fuchs im Gespräch mit dem früheren Weltklasse-Geher erfahren.
Ronald Weigel, der Geher-Weltcup in Cheboksary war als Standortbestimmung gedacht. Was leiten Sie für die deutschen Geher aus dem internationalen Vergleich ab?Ronald Weigel:
Wir haben nahen Anschluss zur Weltspitze, müssen nun aber versuchen, dort hineinzukommen. Es gilt, den Abstand zu verringern und aufzuschließen.
Wie beurteilen Sie die gezeigten deutschen Leistungen?
Ronald Weigel:
Es steht fest, dass wir unser Ziel nicht erreichen konnten. Wir haben unsere Erwartungen nicht erfüllt. Am ersten Wettkampftag lief es vom ersten Kilometer an schlecht und insgesamt gar nichts zusammen. Es ist uns ein Rätsel, warum an dem Tag alle ihr normales Leistungsniveau nicht abrufen konnten. Am zweiten Tag haben unsere Top-Athleten mit Ausnahme von Maik Berger ihr derzeitiges Leistungsniveau gezeigt. André Höhne konnte seine zweite Norm erbringen. Sabine Zimmer und Melanie Seeger haben stark um eine vordere Platzierung gekämpft.
Wie schätzen Sie die Glanzlichter, die von der Konkurrenz gesetzt wurden, ein?
Ronald Weigel:
Der Weltcup ist auf einem Niveau abgelaufen, das es vorher in dieser Form noch nicht gab. Das gilt von den Junioren bis hin zu den 50 Kilometern der Männer. Man konnte sehen, dass zu den Höhepunkten einer Saison Weltrekorde gegangen werden und nicht nur irgendwann in der Prärie, abseits der Szene.
Russland war die alles überragende Nation des Weltcups. Ist das nicht beängstigend?
Ronald Weigel:
Es war schon erschlagend, wie die russische Gehernation dort aufgetreten ist. Es gab kein Geplänkel, die Athleten sind super gegangen. Das war eine andere Liga. Die Russen sind im Vergleich mindestens eine Klasse besser. Das darf man nicht schönreden.
Welche Erkenntnis gewinnt man daraus?
Ronald Weigel:
Man sieht einfach, welche Leistungen machbar sind. Man darf die Augen nicht davor verschließen, dass es möglich ist, über 50 Kilometer in einen Bereich von 3:35 Stunden zu gehen. Ich glaube, dass die Zeiten im August in Peking nicht schlechter sein werden.
Worauf kommt es für die DLV-Athleten mit Blick zu den Spielen an?
Ronald Weigel:
Wir müssen die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. Die Spitzenathleten müssen sich zusammen mit den Trainern Gedanken machen, wie man in die Top 10 hineinkommen kann. Es geht darum, die Trainingsgestaltung zu überdenken, Reserven, die sich auftun, zu nutzen, und die Vorbereitung auf Olympia konsequent und qualitativ zu gestalten.
Wie wird der Fahrplan nach Peking aussehen?
Ronald Weigel:
Es wird grundsätzlich die altgewohnte Vorbereitung geben. Davon rückt man nicht ab. Es kommen zunächst die Deutschen Meisterschaften in Naumburg in drei Wochen, danach wird noch der ein oder andere internationale Wettkampf bestritten, ehe es nach Sankt Moritz oder Bulgarien ins Höhentrainingslager geht.
Rückkehrer Andreas Erm, ein früherer WM-Medaillengewinner, wäre gerne dabei. Er kämpft nach Verletzungsproblemen um Anschluss und seine Olympiachance. Wie aber ist sein 55. Platz vom Samstag zu bewerten?
Ronald Weigel:
Er hat das erste Mal seit vier Jahren wieder einen 20-Kilometer-Wettkampf durchgemacht. Das war für ihn keine leichte Aufgabe. Wir wussten im Vorfeld, dass es schwer werden würde, an die Norm heranzugehen. Wir hatten eine Grundlage gelegt und uns wegen der Tempohärte entschieden, über 20 und nicht über 50 Kilometer anzutreten. Auf den ersten Kilometern war er mit dem Tempo überfordert. Er hat dann aber auf der zweiten Hälfte stark aufgebaut, sich von Runde zu Runde gesteigert. Er sah auch technisch gut aus. Wir haben Olympia noch lange nicht aufgegeben. In fünf Wochen wollen wir in Leamington die 50 Kilometer in Angriff nehmen. Ich bin optimistisch. Er hat die Chance, sich auf der längeren Strecke zu qualifizieren.
Das heißt, Sie geben sich mit den momentan drei für Peking qualifizierten Gehern noch lange nicht zufrieden?
Ronald Weigel:
Nein, auf keinen Fall! Wir werden bis zum Ende der Qualifikation kämpfen und unser Ziel verfolgen. Ich denke schon, dass am Ende mehr als drei deutsche Geher zu Olympia fahren. Das ist meine persönliche Meinung.
André Höhne hat nun die Olympianormen über 20 und 50 Kilometer erfüllt. Ist ein Doppelstart in Peking realistisch?
Ronald Weigel:
Ein Doppelstart ist ihm zuzutrauen, das Hauptaugenmerk liegt aber auf den 20 Kilometern. Er wird deshalb keinen Spagat machen und etwa beides vorbereiten.
Ist es zu hoch gegriffen, für André Höhne, Sabine Zimmer und Melanie Seeger für Peking ein Top Ten-Ziel zu definieren?
Ronald Weigel:
Es ist eine Herausforderung. Wer zu Olympia fährt, ist jetzt motiviert, in diese Ränge reinzukommen. Momentan ist man kurz dahinter, aber es sind noch zweieinhalb Monate Zeit. Die Athleten haben jetzt gesehen, wo vorne die Post abgeht. Das darf man dabei nicht ignorieren.
Es wurde bereits viel über die Bedingungen bei Olympia in Peking für die Ausdauerathleten diskutiert. Wie sehen Sie das?
Ronald Weigel:
Man sollte nicht schon im Vorfeld so kritisch an die Sache herangehen und nicht zu sehr darüber diskutieren. Ich war 1995 in Peking, zwar im Mai, aber ich habe von einer Luftverschmutzung nichts mitbekommen. Ich hatte dort gute Bedingungen. Man sollte es nicht dramatisieren, muss aber zumindest damit rechnen, dass dort extreme Witterungsbedingungen vorherrschen. Die Athleten wissen, was auf sie zukommen kann, ich denke aber nicht, dass es viel schlimmer als bei der letzten WM in Osaka sein wird. 1999 hatten wir bei der WM in Sevilla über dem Asphalt 60 Grad. Damals sind auch die meisten damit klargekommen. Also keine Panik vor Peking.
Richten wir den Blick noch weiter voraus. Was müsste in den nächsten 15 Monaten passieren, damit man sich in Berlin bei der WM 2009 Hoffnungen auf eine deutsche Gehermedaille machen könnte?
Ronald Weigel:
Das ist eine schwere Frage, die nicht in wenigen Sätzen zu beantworten ist. Wenn ich ein Athlet wäre, der weiß, ich habe in meinem Land, in meiner Heimatstadt eine WM, ich würde alles mobilisieren, um dort vor dem eigenen Publikum erfolgreich zu sein. Um eine Medaille zu gewinnen, muss man aber in die Bereiche, die man jetzt in Cheboskary gesehen hat, kommen. Man muss an die Reserven. Ich denke, dass unsere Geher gewillt sind, in Berlin sehr gut zu sein. Man muss sich aber darauf einstellen, dass es dort sehr schnelle Zeiten geben wird.
Was bleibt als Ihr abschließendes Fazit nach dem Weltcup-Wochenende der Geher?
Ronald Weigel:
Ich fand es gut, dass der DLV eine große Mannschaft nominiert hat. Junge Athleten konnten sehen, wie sich die Top-Athleten vorbereiten. Das hat Augen geöffnet und wichtige Erfahrungen gebracht. Diese beiden Wettkampftage haben mental Ergebnisse erzielt und auch gezeigt, dass man sich eben nicht nur in Deutschland messen soll.