Rudolf Harbig - Tragisches Ende des Laufhelden
Mit seinen Bestzeiten von 46,0 Sekunden und 1:46,6 Minuten würde Rudolf Harbig noch heute um die Medaillen bei Deutschen Meisterschaften über 400 und 800 Meter mitlaufen. Seine Leistungen, die damals Weltrekorde waren, erzielte der Dresdner vor rund 75 Jahren auf tiefen Aschenbahnen. Gustav Schwenk erinnert an den deutschen Wunderläufer, der am 8. November vor 100 Jahren geboren wurde und als einziger Leichtathlet die Weltrekorde über 400, 800 und 1.000 Meter innehatte.
Rudolf Harbig spielte Handball, bevor er zur "größten deutschen Laufhoffnung" wurde
Teil 1: Rudolf Harbig - 100. Geburtstag einer Legende14 Tage nach seinem 800-Meter-Weltrekord gewann Rudolf Harbig das beim ISTAF in Berlin als Höhepunkt angekündigte Rennen über die zwei Stadionrunden in 1:48,7 Minuten erneut gegen seinen italienischen Dauerrivalen Mario Lanzi (1:49,2 min).
Da hingen an den Litfaßsäulen in Frankfurt (Main) schon Plakate, auf denen nur elf Buchstaben standen: „Harbig kommt“. Der Dresdner kam zum Abendsportfest aus Anlass des 40-jährigen Bestehens der Eintracht am 12. August 1939 zur 400-Meter-Revanche gegen seinen großen italienischen Rivalen.
Der legte auf der 500-Meter- Bahn im Waldstadion mit 11,2 Sekunden für 100 Meter, 21,7 Sekunden für 200 Meter und 33,5 Sekunden für 300 Meter erneut ein für ihn zu schnelles, aber für Harbig (11,3 - 22,0 – 33,6) dagegen ideales Tempo vor. Und wieder war es der Dresdner, der vor 15.000 Zuschauern um 1,2 Sekunden davonzog und mit 46,0 Sekunden den Weltrekord von Archie Williams (Olympiasieger 1936) um eine Zehntelsekunde verbesserte. Da half dem auch im Ausland als „Wunderläufer“ gefeierten Harbig, dass er mit 10,6 Sekunden über 100 Meter und 21,5 Sekunden über 200 Meter auch für einen heutigen 800-Meter- Spezialisten sehr gute Sprintzeiten vorweisen konnte.
Deutscher Meister nach zwei Trainingsjahren
Erstaunlich war der Verlauf der Karriere von Rudi Harbig, wie er sich selbst nannte. Als der Italiener Lanzi bei der EM-Premiere 1934 in Turin nur knapp am Sieg vorbeigeschrammt war, hatte Woldemar Gerschler den 1,74 Meter großen und 62 Kilogramm schweren ehemaligen Handballspieler Harbig gerade erst in Dresden entdeckt. Beim Sieg in einem 800-Meter- Lauf am Tag des „Unbekannten Sportmanns“ am 24. Juni 1934, an dem man kühn hoffte, noch Kandidaten für die Olympischen Spiele 1936 zu finden. Seine Zeit (2:04,0 min) versprach für die Spiele nichts.
Ebenso wenig wie der Auftritt des damaligen Reichswehrsoldaten bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg – 2:05,6 Minuten beim Scheitern als Sechster in einem Vorlauf. Weil der inzwischen als Gasmann bei den Dresdner Stadtwerken tätige ehemalige Stellmacher bedingungslos das von Gerschler bevorzugte Intervalltraining erledigte, holte er sich schon zwei Jahre nach seiner Entdeckung in 1:54,6 Minuten den ersten seiner sechs deutschen Meistertitel. Fachleute staunten.
Die „größte Laufhoffnung“
Geschwächt von einer Darmgrippe schied der international unerfahrene Harbig bei den Spielen 1936 über 800 Meter in 1:56,8 Minuten als Sechster in seinem Vorlauf aus. Nur vier Tage später war er jedoch schon stark genug, um in 48,8 Sekunden in die 4x400-Meter-Staffel zu laufen und nach drei weiteren Tagen als Schlussmann die Bronzemedaille zu sichern. Und das gegen den kanadischen Olympiasechsten Joan Loaring! Woldemar Gerschler sah seine Prognose bestätigt: „Rudi ist unsere größte Laufhoffnung!“ Vor dem Superjahr 1939 zeigte sich das 1937 (1:50,9 min) und 1938 (1:50,6 min als Sieger bei der EM in Paris) mit den ersten deutschen 800-Meter-Rekorden. Es bestand große Hoffnung auf Fortsetzung im Jahr 1940.
Doch es kam alles anders. Der Zweite Weltkrieg, der nur drei Wochen nach dem Frankfurter 400-Meter-Weltrekord begann, forderte auch unter den Spitzensportlern viele Opfer. 15 von 60 Männern aus der deutschen Leichtathletik-Olympiamannschaft von 1936 kehrten aus dem schrecklichsten aller Kriege nicht zurück.
Rudolf Harbigs Grab bis heute unentdeckt
Aus der 4x400-Meter-Bronzestaffel verlor Startmann Helmut Hamann schon am ersten Tag des Russland-Feldzugs sein Leben. Rudolf Harbig fiel am 5. März 1944 bei schweren Gefechten bei Olchowecz in der Ukraine. Sein Name steht im Gedenkbuch der deutschen Kriegsgräberstätte in Kiew. Harbigs Grab ist bis heute nicht gefunden worden.
Die Kriegsgräberfürsorge bestätigte gegenüber „Leichtathletik“ in der Vorwoche noch einmal: „Unsere Mitarbeiter haben bisher keine Grablage gefunden. Nach 70 Jahren ist es fast unmöglich, diese Gräber zu finden, sofern die überhaupt noch zugänglich sind.“ Nur 35 Monate nach der Hochzeit hatte Gerda Harbig ihren Mann verloren. Ihr einziges Kind Ulrike, die später lange Zeit als Lehrerin in Bayern arbeitete, hat ihren Vater nie kennengelernt.
Harbig-Preis seit 1950
Mit dem 1950 auf Anregung des früheren Verbandspräsidenten Dr. Karl Ritter von Halt gestifteten „Rudolf-Harbig-Preis“, ehrt die deutsche Leichtathletik jedes Jahr einen ebenso erfolgreichen wie vorbildlichen Sportler. Erster Preisträger war der Stuttgarter Hindernisläufer Alfred Dompert, der 1936 ebenfalls überraschend Olympia-Bronze errang. In die 2007 geschaffene „Hall of Fame“ des deutschen Sports wurde der Unvergessene als einer der ersten von 14 Leichtathleten aufgenommen.
Ausgerechnet in seiner Heimatstadt ging man dagegen mit dem Namen des größten Dresdner Sportlers wechselhaft um. Die im Krieg schwer zerstörte Ilgen-Kampfbahn, die 1941 der Schauplatz des Weltrekords über 1.000 Meter (2:21,5 min) war, erhielt am 23. September 1951 den Namen Rudolf- Harbig-Stadion. 20 Jahre später wurde es in Dynamo-Stadion umbenannt. Ein Soldat, der gegen die Sowjetunion gekämpft hatte, passte der SED nicht. Harbigs damals noch lebende Mutter war fassungslos. Seltsamerweise war ein Anschluss mit dem Name Rudolf-Harbig-Stadion noch in der letzten Telefonbuch-Ausgabe vor dem Ende der DDR zu finden. So hieß die Sportstätte auch nach der Wende wieder.
Rudolf-Harbig-Preis
Im Zug der Zeit wurde sie in ein reines Fußballstadion umgebaut und 2010 in Glücksgas-Stadion umbenannt. Als der Tag näher rückte, an dem sich der Geburtstag des großen Sportlers zum 100. Mal jährte, beantragte die FDP im Stadtrat, dass eine Schule oder Straße den Namen Rudolf Harbig tragen solle. Der Vorschlag fand Gehör: Am 8. November – 100 Jahre nach der Geburt Rudolf Harbigs – wird ein bisher namenloser Weg in der Nähe des DSC-Stadions, in dem einst der unvergessene Rekordmann trainierte, den Namen der Lauf-Legende erhalten.
Zu Ehren des großen Läufers wird seit 1950 der Rudolf-Harbig-Preis als Wandertrophäe jeweils an einen „würdigen und verdienten Leichtathleten, der in Haltung und Leistung als Vorbild für die Jugend gelten kann“ vergeben. Aktueller Preisträger ist der WM-Dritte im Stabhochsprung, Björn Otto (ASV Köln).
Teil 1: Rudolf Harbig - 100. Geburtstag einer Legende