Rückblick 2002 - Das Jahr des Ingo Schultz
Aus dem unverbrauchten Newcomer Ingo Schultz, der im letzten Jahr bei der Weltmeisterschaft in Edmonton zu Sensationssilber stürmte, ist ein großer Genießer geworden. Genießen kann man seine Erfolge allerdings nur, wenn man die nötige Geduld auf dem Weg dorthin, das unerschütterliche Selbstvertrauen mit dem Glauben an sich selbst und das letzte Stück Unbekümmertheit mit auf die Bahn bringt. Mit diesen Eigenschaften ausgestattet, stürmte der Viertelmeiler aus dem hohen Norden in München in diesem Sommer zum umjubelten EM-Gold über 400 Meter.

Ingo Schultz, ein Siegertyp, der es versteht, zu genießen (Foto: Chai)
Aber bereits in der Hallensaison wirbelte Ingo Schultz auf dem Hallenrund. Aufgrund seiner ungünstigen Körpergröße verzichtete er allerdings auf Starts über seine Paradestrecke, die 400 Meter, und konzentrierte sich auf die halbe Distanz. In Stuttgart (20,84 sec) markierte er eine neue persönliche Bestzeit und auch in Gent (20,97 sec) lief er in einem internationalen Feld unter 21 Sekunden. In Chemnitz jagte er über die 300 Meter (33,02 sec) und bei den Deutschen Hallen-Meisterschaften in Sindelfingen unterstützte er im lockeren Schongang die Vereinsstaffel der LG Olympia Dortmund.Kontinuierliche Steigerung das Erfolgsrezept
Nach der Pause im Frühjahr stand Ingo Schultz beim Pfingstsportfest in Rehlingen zum ersten Mal in der Freiluftsaison über die Stadionrunde auf der Bahn. 46,30 Sekunden bedeuteten für den Vize-Weltmeister einen verhaltenen Start. Dass den 27-jährigen allerdings die kontinuierliche Steigerung auszeichnet, bewies er in den Wochen danach. Von Rennen zu Rennen lief es besser, bei den Deutschen Meisterschaften in Bochum-Wattenscheid "haute" er in beeindruckender Manier in 44,97 Sekunden eine Marke unter 45 Sekunden hinaus und war neben Höhenjägerin Annika Becker der gefeierte Star der Titelkämpfe.
Wer von ihm Mitte Juli in Cuxhaven mehr als die 45,62 Sekunden erwartet hatte, wurde von einem gelassenen Ingo Schultz um Geduld gebeten: "Es war ein gutes Rennen und es wird noch schneller." Und es wurde! Die Marschroute stand, die Europameisterschaft in München rückte nach dem 200-Meter-Formtest in Leverkusen, bei dem Ingo Schultz in 20,77 Sekunden überzeugte, Tag für Tag näher.
Das Münchner Riesenrad stoppte respektvoll
Am 6. August war es soweit. München war bereit. Ingo Schultz gewann den zweiten Vorlauf in 45,79 Sekunden. Drei Zehntel schneller erreichte er tags darauf als Halbfinal-Zweiter erwartungsgemäß den Endlauf. Dort ging es im Olympiastadion dann um Alles oder Nichts und Ingo Schultz gewann alles, lief nach 45,14 Sekunden als gefeierter Sieger ein und holte damit vor 48.500 Zuschauern im ausverkauften Rund das einzige deutsche Einzel-EM-Gold. "Ingo Schultz stoppt das Riesenrad", titelte leichtathletik.de, er selbst strahlte gewohnt genießerisch: "Das Publikum war einfach grandios - da musste ich das auch durchziehen."
Sein Stehvermögen bewies Ingo Schultz nach der EM mit all den Aufregungen um die Trennung von seiner damaligen Freundin, der Schwimmerin Antje Buschschulte, bei der Zugabe auf der Bahn. In Brüssel lief er über 200 Meter in 20,65 Sekunden einen neuen Hausrekord, zum Finale beim Weltcup in Madrid sprang über 400 Meter noch einmal eine Saisonbestzeit von 44,86 Sekunden heraus. Besser hätte er eine tolle Saison kaum beschließen können.
Wahl zum "Leichtathleten des Jahres"
Verdienter Lohn war nun in diesen Tagen für den Europameister Ingo Schultz, der im nächsten Jahr wieder für seine alte Heimat TSG Bergedorf an den Start geht, die Wahl zum "Leichtathleten des Jahres"! "Mir zeigt dieser Erfolg, dass ich vielen Leuten durch meine Leistung eine Freude bereitet habe. Das wiederum bereitet mir eine große Freude", sagt er dazu fast zu bescheiden und genießt. Wie immer.