Sabrina Mockenhaupt: "Wir hatten viel Glück"
Platz zehn in 2:30:09 Stunden: In Boston hat Sabrina Mockenhaupt (LG Sieg) eine ihrer besten Leistungen in einem internationalen Marathon gezeigt. Zu Beginn des Rennens lief sie sogar an der Spitze des Weltklassefeldes. Kurz nach dem Zieleinlauf war das aber alles nicht mehr wichtig. Zwei Bomben hatten drei Menschen getötet und mehr als 180 verletzt. Im Interview erzählt die 32-Jährige, wie sie die Stunden nach dem Attentat erlebt hat.

Sabrina Mockenhaupt:
Das Rennen von Boston wird natürlich auch für mich immer von dem feigen und schrecklichen Anschlag überlagert sein. Aber um es nicht ganz zu vergessen, habe ich mich in der vergangenen Woche hingesetzt, meine Eindrücke vom Rennen aufgeschrieben und auf meiner Website veröffentlicht. Unmittelbar nach dem Anschlag war das alles weg. Wir haben nur noch an die Toten und Verletzten gedacht und daran, was mit uns jetzt passiert. Ob noch weitere Bomben explodieren? Wie wir zurück nach Deutschland kommen? An den Marathon verschwendet man in solch einer Situation keinen Gedanken mehr.
Wo waren Sie, als die Bomben explodierten?
Sabrina Mockenhaupt:
Ich war im Athleten-Hotel, das sich in unmittelbarer Nähe zum Ziel befindet. Ich habe in meinem Zimmer gerade mit meinem Trainer Carsten Eich telefoniert, wir steckten mitten in der ersten Analyse des Rennens. Währenddessen hat mein Manager Oliver Mintzlaff ständig versucht, mich zu erreichen. Er war schon am Flughafen und hat im Fernsehen gesehen, was passiert ist. Von ihm habe ich dann von den Explosionen erfahren.
Da waren Sie alleine in Ihrem Zimmer?
Sabrina Mockenhaupt:
Ja, aber das habe ich nicht ausgehalten und bin sofort ins Athleten-Büro, wo schon die ganzen anderen Spitzenläufer schweigend vor dem Fernseher saßen. Wir waren alle erstarrt, wie versteinert. Irgendwann habe ich dann aus dem Fenster nach draußen geschaut und gesehen, dass aus dem Zelt, durch das wir kurz vorher den Zielbereich verlassen hatten, jetzt die Verletzten zu den Krankenwagen transportiert wurden. Da wurde uns auch bewusst, was für ein Glück wir Spitzenläufer hatten, dass die Anschläge nicht früher passiert sind.
Wie haben Sie auf die Nachrichten reagiert, dass der eine mutmaßliche Attentäter gefasst und der andere bei einer Schießerei mit der Polizei getötet wurde?
Sabrina Mockenhaupt:
Dass sie nicht mehr frei herumlaufen, ist natürlich ein großer Erfolg der US-Polizei. Ich bin froh, dass das vor den Marathons in Hamburg und London gelungen ist. Ich finde aber, dass die Freudenfeiern in Boston nicht angemessen waren. Immerhin sind drei Menschen gestorben und viele haben Arme oder Beine verloren.
Sie haben sich in der vergangenen Woche in den Medien ziemlich rar gemacht.
Sabrina Mockenhaupt:
Ich hätte in vielen Talkshows auftreten können, habe aber alle Anfragen abgelehnt. Wir Athleten haben ja nicht viel mehr mitbekommen als die Fernsehzuschauer in Deutschland. Ich hätte nicht wirklich etwas zu den Anschlägen und dem Terrorismus sagen können. Wir hatten einfach viel mehr Glück als die Menschen, die in der Nähe des Ziels waren, als die Bomben explodierten. Auch die, die nach dem Attentat noch auf der Strecke waren, haben Schlimmeres erlebt als wir. Für uns war die größte Schrecksekunde, als es hieß, das Hotel müsse evakuiert werden, weil eine weitere Bombe gefunden worden sei. Die Entwarnung kam allerdings schnell hinterher. Geschlafen hat in der Nacht niemand.
Gibt es trotz der schlimmen Erlebnisse sportliche Erkenntnisse, die Sie vom Boston-Marathon mitnehmen?
Sabrina Mockenhaupt:
Ja, ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Beispielsweise, dass es in Boston normalerweise unmöglich ist, Bestzeiten zu laufen. Und dass ich bergauf nicht besonders gut laufen kann.
Wie das? Beim Training in der Siegerländer Heimat stehen Ihnen doch auch viele Berge im Weg.
Sabrina Mockenhaupt:
Ja, aber mir war bislang nicht klar, dass die Weltklasse-Läuferinnen sich vor allem bergauf duellieren und Druck machen, um sich dann bergab zu regenerieren. Ich hab’s bisher immer umgekehrt versucht: bergauf Kräfte sparen, um es dann bergab rollen zu lassen.
Wie geht es bei Ihnen jetzt sportlich weiter?
Sabrina Mockenhaupt:
Ich erhole mich zwei Wochen lang, dann plane ich ein paar kürzere Rennen auf der Straße, aber auch auf der Bahn. Ich würde gerne bei der Team-EM in Gateshead 5.000 Meter laufen und ein schnelles 10.000-Meter-Rennen plane ich auch. Ob ich bei den Weltmeisterschaften in Moskau über 10.000 Meter antrete, hängt davon ab, welchen Herbstmarathon ich bestreite. Bei einem späten Termin wäre das möglich, bei einem frühen Rennen wie dem in Berlin nicht. Und dann blicke ich schon auf die Europameisterschaften 2014 in Zürich, wo ich im Marathon weit vorne landen will.