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Sanaa Koubaa – Olympia in Weiß

Das war haarscharf: Auf den sprichwörtlich letzten Drücker schob Hindernisläuferin Sanaa Koubaa sich Anfang Juli und nur zwei Tage vor Qualifikationsschluss ins Olympia-Team des DLV. Es sind ihre ersten Olympischen Spiele und die sportliche Krönung eines Jahres, an das sich die Leverkusenerin wohl ohnehin ihr ganzes Leben lang erinnern wird.
Alexandra Dersch

Über mangelnde Beschäftigung kann sich Sanaa Koubaa (TSV Bayer 04 Leverkusen) in diesem Jahr wahrlich nicht beschweren. Olympische Spiele, Hochzeit, Hausbau. Träume, die bei anderen Menschen ein Leben füllen können, werden für die 31-Jährige allesamt innerhalb weniger Monate wahr. „Schön“, findet Sanaa Koubaa den vollen Terminkalender und doch schwingt immer noch eine große Portion Ungläubigkeit in ihrer Stimme mit über all das, was gerade in ihrem Leben passiert. Denn vor allem die Erfüllung ihres sportlichen Lebenstraums, die Teilnahme an den Olympischen Spielen, erschien ihr noch Anfang Mai utopisch.

„An der Vorbereitung gemessen, war das bislang meine schlechteste Saison“, sagt Sanaa Koubaa. In der Woche vor den Deutschen Meisterschaften in Kassel lag sie zu Hause in Leverkusen auf der Physio-Bank und dachte darüber nach, ob ein Start bei der DM überhaupt sinnvoll wäre. War er. Wenige Tage später holte sie bei ihrem ersten richten Saisonrennen Bronze und erntete die erstaunten Blicke der Konkurrenz: „Ich hätte ja selber nicht erwartet, dass ich doch so gut drauf bin.“ Denn eigentlich war sie die ganze Vorbereitungsphase über krank gewesen.

Ein Husten hier, ein Schnupfen da und zwischendurch noch ein Allergieschub. „Alles nichts Wildes, aber in der Summe für eine Hochleistungssportlerin doch gravierend, da ich gefühlt nie richtig trainieren konnte“, berichtet Sanaa Koubaa. Ihr einziges Trainingslager auf Texel (Niederlande), das sie aufgrund ihrer Arbeit nur in den Osterferien absolvieren konnte, verbrachte sie fast zur Hälfte im Bett.

Lehrberuf als Ausgleich

In dieser Zeit war es neben ihrem privaten Umfeld aus Familie und Verlobtem auch ihr Beruf der Lehrerin, der sie auffing. „Ich bin gern Lehrerin und meinem Kopf tut es gut, wenn ich mich nicht den ganzen Tag nur um den Sport drehe“, sagt die EM-Dreizehnte des Jahres 2012. Wen die Schüler da im Unterricht vor sich haben, das wüssten ohnehin nur die wenigsten. Und auch im Lehrerzimmer ist ihr Leben neben der Schule kein großes Thema. „Ich will da keine Extrabehandlung“, sagt Sanaa Koubaa. Oder noch Schlimmer: Druck. „Es würde mich stressen, wenn ich am Montag nach einem Wettkampf-Wochenende von allen in der Schule gefragt würde: ,Und? Wie war's?'“

Und so will sie auch in der Schule, ein Berufskolleg in Gummersbach, weiterhin kein großes Aufsehen um ihre Olympia-Teilnahme machen, oder diese gar als Ausrede für nicht vorbereitete Stunden geltend machen. „Ich arbeite gerade vor, damit ich in Rio wirklich nur Olympia erleben kann“, sagt die Sozialpädagogik-Lehrerin, die die Ferien nicht als Urlaub, sondern korrekterweise eben nur als unterrichtsfreie Zeit versteht. „Mein Unterricht beginnt direkt nach Olympia, dafür muss ich vorbereitet sein.“

Wohltuende Bodenhaftung

Sanaa Koubaa ist die personifizierte Bescheidenheit, lebt sie doch die Tugend, sich nicht zu wichtig zu nehmen. Eine wohltuende Bodenhaftung in einer Sportwelt, in der Vermarktung zunehmend vor Leistung kommt. Dabei hätte sie allen Grund, sich mehr ins Schaufenster zu stellen. Schnelligkeit. Durchhaltevermögen. Eloquenz. Sanaa Koubaa erfüllt objektiv betrachtet viele Kriterien, die benötigt werden, um sich einen größeren Namen zu machen. Aber Sanaa Koubaa scheint für sich beschlossen zu haben, dass es im Leben um wichtigere Dinge geht.

So war es ihr fast unangenehm, als ihr Verein, der TSV Bayer 04 Leverkusen, Anfang des Jahres Autogrammkarten von ihr als Olympia-Kandidatin drucken wollte. „Ich? Olympia-Kandidatin?“, habe es in ihrem Kopf gehallt. „Olympia, das war immer ein Traum und ich habe auch immer gesagt, dass ich dahin will. Aber dass es jetzt wirklich geklappt hat...“ Sie muss den Satz nicht beenden, um deutlich zu machen, wie sehr sie sich selbst überrascht hat.

Erst an neues Tempo gewöhnen

Dabei entspricht ihre Bestzeit von 9:38,11 Minuten über 3.000 Meter Hindernis, mit der sie sich am 9. Juli im belgischen Kortijk ins Olympia-Team lief, ihrer bisherigen Entwicklung und dem Potenzial, das auch ihr Trainer Paul-Heinz Wellmann in ihr sieht. „Ich habe schon in Kassel gemerkt, dass da mehr drin ist“ sagt Sanaa Koubaa, die vor ihrem Wechsel nach Leverkusen 2014 jahrelang das Aushängeschild der LG Hilden war. Und auch das Rennen in Belgien, das sie größtenteils allein bestritt, spiegelt noch nicht das Limit ihrer Leistungsfähigkeit.

Ein deutlicher Hinweis dafür: Am Samstag steigerte sie aus dem Olympia-Training heraus in Kessel-Lo (Belgien) ihre Bestzeit über 1.500 Meter auf 4:13,48 Minuten. Um je fünf Sekunden hat sie sich damit in diesem Jahr über die beiden Strecken gesteigert. „Ich muss mich erst an die neuen Geschwindigkeiten gewöhnen.“

Nochmal Gewicht verloren

Die Gründe für die ansteigende Leistungskurve: Seit Ende April und der letzten Erkältungswelle kann Sanaa Koubaa problemlos durchtrainieren. Zusätzlich hat die zuvor knapp 60 Kilogramm schwere Läuferin in den vergangenen Monaten weitere Kilos verloren. Ihr Trick: stupides Kalorienzählen. „Ich verzichte auf nichts, aber meinen geliebten Latte Macchiato Caramel trinke ich derzeit aus kleineren Tassen.“ Vier bis fünf Kilo hat sie damit in den vergangenen Wochen noch einmal verloren. „Als Läuferin merkst du ja doch jedes Kilo.“

In ihrem Brautmodengeschäft waren die Verkäuferinnen indes von ihrem Gewichtsverlust weniger begeistert, muss das das Brautkleid nun noch einmal vor der Hochzeit Anfang September angepasst werden. „Weniger sollte es jetzt nicht werden, hat die Verkäuferin mir nach der letzten Anprobe gesagt.“

Hoffen auf mittelschnellen Vorlauf

Dabei werden die kommenden Wochen sicher aufregend und schweißtreibend. Am kommenden Montag geht ihr Flieger gen Rio, am Samstag (13. August) steht die Leverkusenerin im Vorlauf an der Startlinie. „Nervös bin ich gar nicht, aber meine Vorfreude ist riesig.“ Das Finale am Montag (15. August) wäre ein Highlight. Aber Sanaa Koubaa bleibt auch hier ihrem Charakter treu. „Wenn ich im Vorlauf Bestzeit laufe und damit dennoch nicht ins Finale komme, bin ich damit total zufrieden“, sagt sie und hofft auf einen mittelschnellen Vorlauf. „Bitte kein Bummeltempo.“ Dann will sie im Feld mitschwimmen und auf ihre Chance lauern.

Zu Hause in Deutschland fiebern ihre Trainingskollegen und ihre sieben Geschwister mit („Die meisten haben es nicht so mit Sport, aber das finde ich nicht schlimm. Sie zeigen mir immer wieder, dass es noch andere wichtige Dinge im Leben gibt, als Laufen“), ihr Partner wird indes mit in Rio sein und sie vor Ort anfeuern. „Er hatte es die letzte Zeit nicht immer leicht mit mir“, gesteht sie. Beim kleinsten Hüsteln brachte sie ihm eine Jacke. „Ich darf jetzt einfach nicht mehr krank werden“, sagt die Leverkusenerin. Zu nah ist sie ihrem größten sportlichen Traum. So nah den Olympischen Spielen. Und direkt nach Rio wartet die Erfüllung ihres Traumes in Weiß. Ein Jahr, das für Sanaa Koubaa schon jetzt unvergesslich ist. 

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