Sanya Richards - Die gekrönte Königin
Sie hält mit 48,70 Sekunden den Rekord über 400 Meter für Nord- und Mittelamerika, war Vize-Weltmeisterin, Bronze-Medaillengewinnern bei Olympischen Spielen, Staffel-Olympiasiegerin und zweimalige Staffel-Weltmeisterin sowie dreimal Weltjahresbeste. Nur eines fehlte Sanya Richards noch: ein internationaler Titel im Einzelrennen. Seit dem 18. August kann die 24-Jährige jedoch auch dahinter einen Haken machen. In Berlin wurde sie in 49,00 Sekunden Weltmeisterin und wurde von der ungekrönte zu gekrönten Königin.
Die Erlösung im Ziel war groß, verdammt groß. Mit hochgerissenen Armen überquerte Sanya Richards am 18. August im Berliner Olympiastadion die Ziellinie und legte erstmal ein Tänzchen auf die blaue Kunststoffbahn. Das Lachen in ihrem Gesicht wurde von Sekunde zu Sekunde breiter.Endlich. Sie hatte es geschafft. Weltmeisterin. In 49,00 Sekunden hatte sie die Konkurrenz klar dominiert, den längst überfälligen ersten internationalen Einzeltitel eingefahren. "Ich kann nicht gerade sagen, dass es Spaß gemacht hat, so lange auf den Titel zu warten", sagte die 24-Jährige, die fünf Tage später auch noch den Titel mit der 4x400-Meter-Staffel gewann.
Wie viel der Titel für Sanya Richards wert sein muss, lässt ein Blick auf ihre Karriere erahnen. Geboren am 26. Februar 1985 in Kingston kehrte Sanya Richards im Alter von zwölf Jahren ihrer jamaikanischen Heimat den Rücken und wagte zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester den Sprung in die USA. In Florida stellte sich bald ihr sportliches Talent heraus. Sanya Richards spielte Basketball und war eine hervorragende Leichtathletin.
Mit 19 Jahren erstmals unter 50 Sekunden
Erstmals international aufhorchen ließ die 1,73 Meter große Athletin im Jahr 2004. In 49,89 Sekunden sprintete sie die 400 Meter erstmals unter 50 Sekunden und stellte einen U20-Rekord für Nord- und Mittelamerika auf. Wenig später wurde sie bei den Olympischen Spielen in Athen (Griechenland) als 19-Jährige Sechste.
Im Jahr 2005 folgte der nächste Leistungsschritt. In 48,92 Sekunden durchbrach sie als jüngste Läuferin der Geschichte erstmals die 49-Sekunden-Barriere. Ohne Niederlage im Jahr 2005 reiste Sanya Richards als Top-Favoritin zu den Weltmeisterschaften nach Helsinki (Finnland). Es sollte ihre einzige Niederlage 2005 werden. 49,74 Sekunden reichten zwar zu Silber, waren aber zu wenig für Gold.
Rekord 2006
2006, ein Jahr ohne Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften, richtete Sanya Richards ihren Fokus ganz auf Zeiten und wurde dafür belohnt. 48,70 Sekunden zeigte die Zeitanzeige am 16. September beim Weltfinale in Athen (Griechenland): Rekord für Nord- und Mittelamerika. Nur sechs Frauen liefen die Stadionrunde jemals schneller.
Neben den Zeiten purzelten 2006 auch die Dollars. Sanya Richards blieb in allen fünf Golden-League-Rennen ungeschlagen und sicherte sich somit erstmals den Jackpot. Das gleiche Kunststück gelang ihr 2007 und jüngst 2009. Damit ist die 24-Jährige seit dem Jahr 2004 in allen Golden-League-Rennen ungeschlagen - auf einer der härtesten Strecken der Leichtathletik eine Rarität und gleichzeitig Indiz für das außergewöhnliche Talent von Sanya Richards.
Schock bei den US-Trials
Vom 22. April 2006 bis zum 15. Juni 2007 blieb Sanya Richards in 15 400-Meter-Läufen ohne Niederlage, dominierte die Konkurrenz nach Lust und Laune. Das sollte jedoch nicht so bleiben. Bei den US-Ausscheidungskämpfen in Indianapolis musste Sanya Richards geschwächt durch eine Krankheit eine ihrer bittersten Niederlagen einstecken. Mit großem Aufwand schaffte sie zwar noch den Sprung ins Finale, wurde dort jedoch kraft- und energielos nur Vierte. Die WM und der Traum vom ersten internationalen Einzeltitel war damit vorbei. Nur die ersten Drei qualifizieren sich für die Titelkämpfe.
In Osaka (Japan) musste Sanya Richards von der Tribüne aus mit ansehen, wie die Britin Christine Ohuruogu zum WM-Titel lief. Der WM-Titel mit der Staffel war nur ein schwacher Trost.
Und wieder kein Titel
Nach der verpassten WM-Qualifikation startete Sanya Richards erneut eine Serie von zwölf Siegen in Folge. Die Qualifikations-Hürde für die Olympischen Spiele 2008 in Peking (China) meisterte Sanya Richards dieses Mal souverän.
Im Pekinger Vogelnest marschierte die 61 Kilogramm leichte Athletin spielend durch Vorlauf und Halbfinale, doch als es im Pekinger Vogelnest um Gold, Silber und Bronze ging, folgte der nächste Rückschlag. Auf den ersten 200 Metern sah alles nach einem klaren Sieg der US-Amerikanerin aus. Als es dann aber auf die Zielgerade ging, wurden die Schritte von Sanya Richards kürzer und kürzer, der Vorsprung schmolz mit jedem Meter und war bald aufgebraucht. Von einem Krampf geplagt, rettete sie sich als Dritte ins Ziel. Während Christine Ohuruogu und die Jamaikanerin Sherricka Williams Gold und Silber bejubelten, war für Sanya Richards Bronze wie eine Niederlage.
"Man trainiert sehr, sehr hart und hat nur alle vier Jahre die Chance, Olympiasiegerin zu werden. Entsprechend enttäuscht bin ich. Aber ich bin erst 23 Jahre alt. Ich hoffe, dass ich stark bleibe und 2012 erneut einen Versuch starten kann", sagte Sanya Richards auf der Pressekonferenz nach dem Finale. Was ohne den Krampf möglich gewesen wäre, demonstrierte sie wenig später in der 4x400-Meter-Staffel, wo sie mit 48,93 Sekunden den mit Abstand schnellsten Teilabschnitt absolvierte und so maßgeblichen Anteil am Gewinn der Gold-Medaille des US-Quartetts hatte.
2009 endlich der ersehnte Titel
Im Winter 2009 hatte Sanya Richards die Einnahme ihrer Medikamente zur Eindämmung der Immundefekt-Erkrankung Morbus Adamantiades-Behcet für sechs Monate eingestellt. Im April kehrte die Krankheit, die erst vor drei Jahren bei ihr diagnostiziert worden war, zurück. Auch in Berlin erlebte sie wieder einen Schub. "Die kommt immer bei Stress", sagte sie. "Schon deshalb habe ich mich bemüht, entspannt zu bleiben." Im Gegensatz zu den Jahren zuvor gelang ihr dies in Berlin auch erstmals.
In 49,00 Sekunden sprintete sie zu Gold. Ein Titel der längst überfällig war. "Die Erleichterung ist schon sehr groß", sagte Sanya Richards, die im US-Bundesstaat Texas zusammen mit Jeremy Warriner (USA) unter Clyde Hart trainiert. "Ich vertraue ihm zu 100 Prozent", sagte die 24-Jährige über ihren Coach, der schon Michael Johnson (USA) zu zwei Weltrekorden und drei Olympiasiegen geführt hatte.
41-mal unter 50 Sekunden
Neben dem WM-Titel brach Sanya Richards auch noch einen Rekord, der vielleicht für die Ewigkeit stehen könnte. In Thessaloniki (Griechenland) blieb sie zum 41. Mal unter 50 Sekunden. Keine andere Athletin hat dies jemals geschafft. In Anbetracht der erst 24 Jahre von Sanya Richards wird die Zahl wohl in Zukunft noch deutlich steigen.
Bevor Sanya Richards aber die nächsten sportlichen Ziele in Angriff nimmt, steht noch etwas anderes an. Im Februar wird sie ihren Freund Aaron Ross, Profi-Footballer bei den New York Giants heiraten. Danach will sie ihren eigenen US-Rekord brechen und vielleicht sogar den Weltrekord von Marita Koch (47,60 sec) attackieren. "Ich bin heute bei Regen und Kälte 48,83 Sekunden gelaufen. Wenn alles passt kann ich vielleicht eines Tages sogar die Marke von Marita Koch verbessern", sagte Sanya Richards nach ihrem Triumph beim Golden-League-Meeting in Brüssel (Belgien).
Weitaus wichtiger als der Weltrekord ist ihr jedoch der Olympiasieg. "Der bedeutet mir 100-mal mehr als irgendeine Zeit", sagte die 24-Jährige. Noch knapp drei Jahre, dann kann sie ihre Karriere endgültig perfekt machen.