Schneller sprinten mit Valerij Bauer
Wenn Verena Sailer mit fulminantem Antritt und exakt 53 Schritten auf der internationalen Sprinterbühne pfeilschnell in Richtung der magischen 11-Sekundengrenze flitzt, ist er „ihr Mann hinter den Kulissen“: Valerij Bauer. Der baden-württembergische Landestrainer will das Sprinttraining in Deutschland revolutionieren und setzt dabei auf interdisziplinäre Kreativität und sprichwörtlichen Erfindergeist.

Ohne ihren Trainer ginge sie nirgendwo hin, sagte Verena Sailer schon 2009 vor Pressevertretern. Für die 24-Jährige eine goldrichtige Entscheidung, mit der sie im spanischen Barcelona mit persönlicher Bestzeit von 11,10 Sekunden schnurstracks zum EM-Titel über 100 Meter stürmte. Und in der Tat, seit über zehn Jahren sind Valerij Bauer und die deutsche Ausnahmesprinterin ein untrennbares Erfolgsduo.
Schneller als die Konkurrenz
Anlässlich der diesjährigen DLV-Spitzensporttagung referierte der Diplom-Sportlehrer, der künftig auch als DLV-Techniktrainer fungieren wird, vor den rund 120 anwesenden Bundes-, Landes-, und Heimtrainern sowie Sportwarten über seine Methoden und Konzepte zum Thema „schneller Sprinten als die Konkurrenz“.
Seinen anspruchsvollen Vortrag untermauerte er immer wieder gezielt mit humanmedizinischen wie trainingswissenschaftlichen Expertisen. Am Anfang stehe das Wissen um biomechanische Abläufe und innermuskuläre Stoffwechselprozesse, erst danach folgen trainingspraktische Maßnahmenpakete.
Dehnbarkeit essentiell
So bedürfe es zur Verbesserung der Sprintschnelligkeit zunächst der Einsicht, dass „Anpassung immer reizspezifisch ist“, wie Valerij Bauer seine „Kernbotschaft“ zum Sprinterfolg erklärte. Für ihn steht nicht die Kontraktionsgeschwindigkeit der Muskulatur im Blickpunkt methodischer Betrachtungen, sondern stets die Dehnungsgeschwindigkeit, wenn es um die Optimierung des muskulär-nervalen Zusammenspiels im Sprintbereich geht.
Eine besondere Rolle spiele dabei auch das Bindegewebe. Je dehnbarer Muskeln, Bindegewebe und Bandapparat seien, desto höher sei auch seine elastische Energie, die beim Sprinten als Schnelligkeitsimpuls weiter gegeben wird. So zielt Valerij Bauers Training vor allem darauf ab, einerseits Muskelverkürzungen entgegenzuwirken und andererseits die Dehnung besonders zu fördern. Und noch eine weitere wichtige Erkenntnis lässt Valerij Bauer in seinen Trainingsprozess einfließen, nämlich „dass schnelles Laufen konsequent im submaximalen Bereich mit einer Belastung, die etwa zwischen 96 bis 98 Prozent liegt, trainiert werden muss.“
Asymmetrische Läufe
„Asymmetrische Läufe“ nennt Valerij Bauer sein Erfolgsgeheimnis. Man könne durch isoliertes Trainieren einzelner Hauptmuskelgruppen sogar höhere Intensitäten realisieren als im Wettkampf. Denn wird der Muskel isoliert, erreicht das einzelne Faserbündel deutlich höhere Kraftwerte als beim beiderseitigen Wechselspiel und wächst dabei zudem stark im Durchmesser.
Der grauen Theorie ließ Valerij Bauer dann reichlich Praxis in Form von Videos folgen, in denen er verschiedene Trainingsformen demonstrierte. „Wir schaffen künstliche Situationen, bei denen der Sprinter aus einer weiten Auslage bei maximaler Dehnung von Muskel, Bändern und Bindegewebe letztlich erstaunliche Kraftimpulse entwickelt“, erklärte er.
Und mit genau diesen hochkomplexen Übungssequenzen sollen DLV-Athleten künftig in der Realsituation des Sprintrennes siegentscheidende Schnellkraft und Bewegungsvorteile erzielen. „Wenn ich jede Einzelbewegung um eine Hundertstelsekunde verbessere, kann ich beim 100-Meter-Sprint einen Schnelligkeitszuwachs von bis zu 0,5 Sekunden erreichen.“ Mit der Entwicklung von solchen kinetischen Ketten begann Valerij Bauer bereits vor Jahren, als Verena Sailer noch für das LAC Quelle Fürth/München startete.
Aus der Not geborenes Konzept
Gerade in der Wintersaison waren die damaligen Trainingsbedingungen, die Trainer und Athletin in der Kemptener Sporthalle vorfanden, vom Luxus eines Leitungszentrums weit entfernt. „Wir hatten dort eine Bahn, die maximal Sprints über 40 Meter erlaubte“, erinnert sich Valerij Bauer. Akribisch suchte er nach Trainingsalternativen und fand sie in besonderen Übungsformen. Dabei war Valerij Bauer auch handwerklich tätig, konzipierte und baute eigene Kraftmaschinen.
Vieles, was Valerij Bauer nun trainiert, hat er sich auch durch einen Blick über den Tellerrand angeeignet. „Ich habe bei den Eischnellläuferinnen zugeschaut“, sagte er. „Die Eisschnellläuferinnen, die ich beobachte habe, sind trotz enormer Oberschenkel- und Gesäßmuskel hochbeweglich.“
Valerij Bauers innovatives Sprintkonzept ist transformierbar
„Die Spannung kommt aus der Dehnung, nicht aus der Kontraktion“, pflichtet auch Andreas Knauer, Bundestrainer der 400-Meter-Läuferinnen (U20) bei, der unter anderem die hochtalentierte 400- und 800-Meter-Läuferin Fabienne Kohlmann (LG Karlstadt/Gambach/Lohr) trainiert. „Mit dem Film und seinem detaillierten Fachbeitrag hat uns Valerij sehr viele Anregungen geliefert“, so Andreas Knauer, der auf eine disziplinspezifische Analyse von Valerij Bauers Konzept zur Umsetzung für die 400-Meter Distanz baut.
Und auch im Mittelstreckenbereich ließ der Vortag von Valerij Bauer aufhorchen: „Wir werden alle Übungsmaßnahmen auf Transformationsmöglichkeiten für die Mittelstrecken hin untersuchen“, so DLV-Nachwuchs-Mittelstreckentrainer Lutz Zauber.