Schritt für Schritt zurück ins Leben
Seit drei Jahren leidet Borivoj Radosevic an Prostatakrebs. In unserer Reportage lesen Sie, wie ihm das Laufen hilft, wieder ein gesunder Mensch zu werden.
Borivoj Radosevic will das Leben nur noch positiv sehen. „Schlechte Gedanken wirken sich negativ auf den Körper aus und machen ihn krank“, sagt er. Krank zu werden kann er sich nicht leisten – er ist bereits schwer krank. Borivoj Radosevic leidet seit über drei Jahren an Prostatakrebs.Wer den kleinen drahtigen Mann sieht, erkennt nicht, wie krank er ist. Kein Wunder - gerade erst hat der den Ötztaler Radmarathon erfolgreich absolviert, 242 Kilometer und 5.000 Höhenmeter. Auch beim Frankfurt Marathon Ende Oktober stand er an der Startlinie.
Radfahren und Laufen sind die Leidenschaften im Leben des gebürtigen Kroaten. Etwa drei Mal pro Woche schnürt er die Laufschuhe, beinahe täglich fährt er die 20 Kilometer zur Arbeit mit dem Fahrrad. „Ohne Bewegung fehlt mir etwas in meinem Leben“, erzählt Borivoj Radosevic. „An der frischen Luft fühle ich mich erst richtig wohl. Durch Sport fühle ich mich lebendig.“ Es gab eine Zeit, in der er dachte, er würde nie wieder Sport treiben können.
Diagnose Krebs
Damals - im Jahr 2005 - litt der heute 62-Jährige monatelang unter starken Rückenschmerzen, so dass er sich kaum noch bewegen konnte. Er wurde äußerst geruchsempfindlich, litt unter Fieberschüben, das Atmen fiel ihm schwer, er sah teilweise doppelt. An Sport war nicht mehr zu denken.
Ein wahrer Ärztemarathon begann. Eine Diagnose gab es nicht. Er wurde immer wieder nach Hause geschickt. Borivoj Radeosevic bekam Physiotherapie, sollte sich mehr entspannen. Eine Ärztin diagnostizierte sogar eine schwere Depression. Eines Tages im September kam er von der Arbeit nach Hause und konnte vor lauter Schmerzen nicht mehr aus dem Auto steigen.
Da fasste er den Entschluss, sich ins Krankenhaus einweisen zu lassen. „Ich war so wütend in dem Moment“, berichtet Borivoj Radosevic, „auch wenn mir bisher keiner helfen konnte oder wollte - so konnte es nicht weitergehen. Das Leben hatte für mich keine Qualität mehr.“ Im Krankenhaus kümmerte man sich intensiv um ihn. Nach eingehenden Untersuchungen in der Klinik fanden die Ärzte endlich den Grund für seine Beschwerden: Prostatakrebs.
Metastasen in der Wirbelsäule
Zu diesem Zeitpunkt hatte der Prostatatumor schon Metastasen in der Wirbelsäule gebildet. Sie waren Auslöser der starken Rückenschmerzen. Die Sehstörungen wurden durch Metastasen im Schädelknochen hervorgerufen.
Heute sitzt der 62-Jährige in seiner Wohnung über den Dächern Offenbachs und erinnert sich an die wohl schwerste Zeit seines Lebens: „Damals war ich am Boden. Dass nach monatelanger Ungewissheit eine Diagnose gestellt wurde und man mir helfen konnte, war einerseits gut. Krebs war aber gleichzeitig eine Art Todesurteil“, erinnert er sich. „Das Schlimmste war für mich, es meiner Frau zu sagen“, sagt Borivoj Radosevic und dabei füllen sich seine Augen mit Tränen.
Der Arzt hatte ihm gesagt, dass er mit der Krankheit im fortgeschrittenen Stadium höchstens noch drei Jahre zu leben habe. Dieses Schicksal wollte der Vater zweier erwachsener Kinder jedoch nicht akzeptieren - er entschloss sich, zu kämpfen. Mehrmals wechselte er den Arzt bis er schließlich einen Onkologen fand, der ihm eine sogenannte dreifache Hormontherapie verabreichte.
Gleichzeitig empfahl man ihm einen Besuch im Frankfurter Krankenhaus Nordwest. Die dortige onkologische Abteilung hat sich auf ein ganzheitliches Konzept zur Krebstherapie spezialisiert. Neben Therapie und Forschung hilft das dortige Ärzteteam den Patientinnen und Patienten bei allem, was das Leben mit Krebs erleichtert: Von Schmerztherapie über Ernährung, Akupunktur bis hin zu Sport.
Dr. Olav Heringer ist Mitglied des Ärzteteams und betreut die Sportgruppe: „Unser Ziel ist es, den Erkrankten und ihren Familien mehr Lebensqualität zu ermöglichen.“ Diese Therapie und eine ganze Menge Mut haben Borivoj Radosevic gerettet.
Die Therapie
Bei Männern, deren Krebs früh diagnostiziert wird, wird die Prostata in aller Regel operativ entfernt. „Dies war bei Borivoj Radosevic angesichts der gebildeten Metastasen im Körper nicht mehr möglich“, erklärt Olav Heringer. „Bei ihm wird der Tumor mit einer dreifachen Hormonblockade bekämpft. Dadurch wird die Produktion des Sexualhormons Testosteron gestoppt, das für den Krebswachstum in der Prostata verantwortlich ist.“
Diese Hormonbehandlung in Form von Tabletten hat bei Borivoj Radosevic seit drei Jahren Erfolg. Kurz nach Beginn der Einnahme verschwanden seine starken Schmerzen. „Ich konnte endlich wieder am Leben teilnehmen“, berichtet er. Bei einem anschließenden Kuraufenthalt in einer Rehabilitationsklinik tankte er wieder Energie und merkte, dass das Leben weiterging.
Sport in der Krebstherapie
Auch der Sport hat in der Krebstherapie von Borivoj Radosevic einen großen Stellenwert. Während des Kuraufenthaltes im März 2006 fand er einen Wiedereinstieg in den Sport. „In der Rehaklinik merkte ich, dass mir Bewegung gut tat“, erzählt der drahtige Mann, „die ständige Müdigkeit konnte ich damit bekämpfen und ich fühlte mich endlich körperlich fitter.“
Olav Heringer bestätigt diese Einschätzung. „Sport ist in der Krebstherapie mittlerweile ein anerkanntes Mittel. Viele Patienten leiden bedingt durch Medikamente und Bestrahlung unter dem so genannten ,Fatigue Syndrom'. Sie sind müde und antriebslos. Auch der Appetit schwindet. Viele Patienten sitzen den ganzen Tag auf dem Sofa und schonen sich. Dadurch werden sie nicht gefordert, leiden in der Folge unter Schlafstörungen. Sport kann den Patienten aus diesem Kreislauf herausholen. Die Bewegung bringt den Kreislauf in Schwung, der Patient entwickelt mehr Hunger und er kann nach körperlicher Anstrengung meist auch besser schlafen.“
Diese Erkenntnisse machen sich die Ärzte vom Klinikum Nordwest zunutze: Sie werden in die Therapie vieler Patienten eingebaut. „Der Sport bringt die Patienten wieder auf andere Gedanken“, erklärt der Experte. „Vor allem Ausdauersportarten wie Radfahren, Walken, Joggen und Rudern sind dazu geeignet.“
Wieder im Training
Während seiner Zeit in der Kurklinik reifte auch bei Borivoj Radosevic die Idee, wieder mit dem Laufen zu beginnen. „Olav Heringer hat mir in einem Gespräch dazu geraten, mich wieder mit meinen alten Hobbies zu beschäftigen“, berichtet er. „Zunächst war ich sehr skeptisch, ob ich an meine alten Leistungen wieder würde anknüpfen können.“
Aber es klappte. Langsam aber kontinuierlich stieg er wieder in sein Training ein. „Anfangs war ich sehr langsam und schaffte nur wenige Kilometer am Stück. Aber es wurde immer besser und schon nach wenigen Wochen konnte ich längere Strecken laufen.“
Auch seine Arbeit nahm der studierte Bauingenieur wieder auf. „Das war wirklich klasse“, berichtet er stolz, „mein Chef rief mich in der Reha-Klinik an und sagte, dass ich zurückkommen müsste. Ich und meine Arbeit würden ihnen fehlen.“ Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Nach der Kur kehrte er mit reduzierter Stundenzahl an seine Arbeitsstelle beim Bauunternehmen HochTief zurück. Den Krebs hielt er weiter im Schach.
Auf dem Gipfel
Im September 2006 - knapp ein Jahr nach der Krebsdiagnose kam dann der bisherige Höhepunkt - der Jungfrau Marathon in den Schweizer Alpen. Borivoj Radosevic schaffte diese Herausforderung. „Ich war so glücklich als ich im Ziel war“, erzählt er. „In diesem Moment wusste ich, dass ich mein Leben endgültig wieder zurück gewonnen hatte. Die Zeit im Ziel war mir dabei herzlich egal.“
Den sportlichen Erfolg nahm er mit in den Alltag. In seiner Firma betreut er eine Laufgruppe. Gemeinsam absolvieren die Mitarbeiter jedes Jahr den Ruhr Marathon in Essen - auf Kosten der Firmenleitung. Inzwischen hat er viele weitere Lauf- und Radwettbewerbe bestritten. Die Zeiten sind etwas langsamer geworden, doch geschafft hat er bisher alle.
Zukunftspläne
Wünsche für sein weiteres Leben hat er noch viele - private wie sportliche. „Ich wünsche mir Enkelkinder“, sagt Borivoj Radosevic lächelnd. „Weiter glückliche Jahre im Kreise meiner Familie sind mir sehr wichtig. Sportlich gesehen würde ich sehr gerne endlich den Zermatt Marathon laufen. Hoffentlich kann ich meine Laufkollegen zu einem gemeinsamen Start überreden. Auch der berühmte New York Marathon würde mich reizen. Da würde ich gerne einmal mit meiner Frau hinreisen.“
Wer ihm vor fast genau drei Jahren gesagt hätte, dass er heute seine nächsten Marathon-Reisen planen würde, Borivoj Radosevic hätte ihm wohl nicht geglaubt. „Es ist toll, wie gut mir die Therapie und der Sport tun. Auch die Rückkehr ins Arbeitsleben hält mich geistig fit. Dadurch geht es mir gut, und wenn es meinem Kopf gut geht, geht es auch meinem Körper gut.“