Schweiz - Potenziale im Nachwuchs ausschöpfen
Namen bekannter Top-Athleten sind in der Schweizer Leichtathletik dünn gesät. Nach 800-Meter-Läufer André Bucher, der vor sechs Jahren Weltmeister wurde, klopft nun Vize-Europameister Viktor Röthlin als nächster mit seinem neuen Schweizer Rekord im Marathon an das Tor zur erweiterten Weltspitze an.

Viktor Röthlin ist das Aushängeschild der Schweizer Leichtathletik (Foto: Kiefner)
Um ihr Potenzial besser ausschöpfen zu können, setzen die Eidgenossen auf ein ausgeklügeltes Förderprogramm."Der Aufschwung beginnt im Kopf", dieses Zitat begleitete Hansruedi Müller, den Präsidenten des Schweizer Leichtathletik-Verbandes (SLV), während seines ersten Amtsjahres und scheint sinnbildlich für die Aufbruchsstimmung in unserem Nachbarland zu sein. Mit gezielter Förderung sollen in Zukunft einzelne talentierte Nachwuchsathleten zu Weltklasseniveau geführt werden.
Auch wenn die Schweiz momentan keine Ausnahmeathleten vom Format eines André Bucher oder Werner Günthör in ihren Reihen hat, blickt der Verband zufrieden auf das letzte Jahr zurück. Mit Routinier Ivan Bitzi (60 Meter Hürden) und Neuling Andreas Baumann (60 Meter) konnten sich immerhin zwei Schweizer Athleten für die Hallen-WM in Moskau (Russland) qualifizieren.
Sowohl das Frauen- als auch das Männerteam traten in der ersten Liga des Europacups an. Während die Männer mit einem fünften Platz ihren Klassenerhalt sicherten, mussten die Frauen mit ihrem siebten Platz den Gang in die zweite Liga antreten.
Starke Langstreckler in Göteborg
Bei der Europameisterschaft in Göteborg (Schweden) war die Schweiz mit 18 Teilnehmern vertreten und hinterließ insgesamt einen guten Eindruck. Viktor Röthlin (Silbermedaille im Marathonlauf) und Christian Belz (4. Platz über 10.000 Meter) machten mit Top-Leistungen auf sich aufmerksam und verhalfen der Schweizer Leichathletik zu guter Publicity.
"Im Moment haben wir wieder mehrere Athleten, die in ihrer Disziplin zur erweiterten Weltspitze gehören: Viktor Röthlin im Marathon, Alexander Martinez im Dreisprung, Stefan Müller im Speerwerfen und auch Christian Belz. Das ist sehr erfreulich, auch wenn uns im Moment der ganz grosse internationale Star sicher fehlt", zieht Leistungssport-Cheftrainer Peter Haas zufrieden Bilanz.
Großen Wert legt der Verband unter der Leitung des Cheftrainers Peter Haas auf ein gezieltes, moderates Selektionskonzept: "Wir wollen unseren Athleten mehr Chancen bieten, um Top-Leistungen zu erbringen. So ermöglichen wir mittel- und langfristig auch mehr Erfolgschancen".
Absolute Leistung erwartet
Der Verband erwartet von seinen Nominierten absolute Leistung bei internationalen Meisterschaften. Der größte Teil der EM-Teilnehmer entsprach den Erwartungen und bestätigte die Saisonbestleistung oder stellte gar eine neue auf. Unter diesem Blickwinkel belegte das Schweizer Team im Quervergleich den ersten Rang unter allen teilnehmenden Nationen.
Um den Nachwuchs gezielt zu fördern, hat der Schweizer Leichathletik-Verband 2004 das "World Class Potential Programm" ins Leben gerufen. Damit will der Verband seine talentiertesten Jungathleten "Erkennen", "Erfassen", "Fördern" und "Fordern" und gezielt auf Weltklassenniveau bringen.
Potenzialbeurteilung
Der Athlet durchläuft ein mehrstufiges, systematisches Assessment, um in das WCP-Programm aufgenommen zu werden. Dabei wird eine ausführliche Potenzialbeurteilung vorgenommen. Das Umfeld, die gesundheitliche Stabilität, die Bereitschaft zum Hochleistungssport und zahlreiche weitere Faktoren werden genau untersucht. Eine Platzierung unter den europäischen Top Ten seiner Altersklasse oder eine Medaille bei internationalen Nachwuchsmeisterschaften ist von Vorteil.
Wer an dem Programm teilnehmen darf, erhält derzeit rund 10.000 Schweizer Franken finanzielle Unterstützung pro Jahr. Zudem können die "World Class Potentials" auf das gesamte Know-How und das Netzwerk des Schweizer Leichtathletik-Verbandes zurückgreifen und werden bei der Sponsoren-Suche und Medienarbeit unterstützt. "Die Förderung im WCP-Programm ist langfristig angelegt. Jeder aufgenommene Athlet behält seinen Status für mindestens vier Jahre", erklärt Roland Hirsbrunner, der Kommunikations-Leiter des Schweizer Verbandes.
Hoffnungen im Sprint
2006 wurden die 18 Jahre alte Sprinterin und Weitspringerin Clélia Reuse sowie die beiden Sprinter Rolf Fongue und Reto Schenkel in das WCP-Programm aufgenommen. Ingesamt werden bisher sechs Athleten auf diesem Weg unterstützt. Da es sich noch in der Aufbauphase befindet, will man stetig weiter an der Finanzierung und den entsprechenden Rahmenbedingungen für Trainer und Athleten arbeiten. Die jetzigen "Potentials" werden vom Alter her frühestens 2008 in ihre beste Phase treten. Erst dann wird sich abzeichnen, ob das Programm den erhofften Erfolg bringt.
Für die nahe Zukunft, hat sich das Team um Peter Haas einiges vorgenommen: "Wir hoffen beispielsweise für die WM in Osaka auf eine Delegation von rund zehn Athletinnen und Athleten. Davon haben Viktor Röthlin, Alexander Martinez und Stefan Müller sicher Chancen auf eine Top 10-Platzierung."
Großes Potential sieht der Chef-Trainer im Sprint. Dort entwickeln sich gerade mehrere junge Talente. "Ein weiteres Ziel ist es, dass wir uns mit der Männer-Staffel über 4x100-Meter für Peking (China) qualifizieren. Der Nachwuchs ist im Sprintbereich im Moment wirklich sehr stark, da könnte etwas heranwachsen."
Eine Analyse der österreichischen Leichtathletikszene können Sie hier nachlesen: Viel Basisarbeit und neue Konzepte in Österreich