Iwan Thomas - Old School nach Athen
"Wie viel Zeit hast du mitgebracht - den ganzen Nachmittag?" Iwan Thomas hat viel zu erzählen. Bedauerlicherweise eher von Verletzungen als von Bestzeiten. Einstmals einer der weltbesten 400-Meter-Läufer ist der Waliser aus dem Fokus der Leichtathletik-Fotografen verschwunden. Sein Ziel, bei den Olympischen Spielen in Athen auf dem Treppchen zu stehen, hat er im Schatten der Kameras allerdings längst nicht aufgegeben.
Iwan Thomas hat sich noch nicht aufgegeben (Foto: Böhm)
Dabei schwelgt der einstige BMX-Profi, dessen wächsernes Ebenbild bei Madame Tussaud's in London steht, auch gerne in Erinnerungen. Meist denkt er dann an das erfolgreichste Jahr seiner Karriere. 1998 galt Iwan Thomas als das größte Talent einer starken Phalanx britischer Viertelmeiler. Mit 24 Jahren kam er bei britischen Titelkämpfen in Birmingham mit 44,36 Sekunden bis auf drei Hundertstel einer Sekunde an den Europarekord des Chemnitzers Thomas Schönlebe heran. Im Halbfinale der Commonwealth-Spiele in Birmingham drehte sich auf der Zielgerade nach seinem britischen Konkurrenten Jamie Baulch um, scherzte mit ihm und ist "schließlich über die Ziellinie gegangen". Auf der Anzeigetafel leuchteten 44,61 Sekunden auf. "Wäre ich durchgelaufen, wären es wohl glatte 44 Sekunden geworden."
Nicht mehr als Erinnerung
Fünf Jahre später ist das alles nicht mehr als eine schöne Erinnerung. Die britische Presse urteilte damals, dass sich der neue britische Rekordhalter übernommen hatte. Eine Einschätzung, die er mittlerweile teilt: "Ich war jung und wollte alles mitnehmen. Letztlich waren es aber doch wohl ein paar Rennen zu viel." Den Europameistertitel von Budapest, den Sieg bei den Commonwealth-Spielen und seine Bestzeit musste er mit einer "unglaublichen" Abfolge von Verletzungen bezahlen.
Nach der Entfernung einer Zyste in der linken Wade stieg er zu früh wieder ins Training ein, machte 1999 keinen einzigen Wettkampf. Eine Woche vor den britischen Ausscheidungen für die Olympischen Spiele in Sydney zog er sich einen Muskelfaserriss zu, wurde nur in der Staffel eingesetzt. Zu schlechter Letzt riss er sich im letzten Jahr die Achillesehne ein. Erst die Behandlung durch FC Bayern-Doc Dr. Hans Wilhelm Müller-Wohlfahrt brachte die erhoffte Besserung.
"Ingo Schultz ist riesig"
Wenn Iwan Thomas im Januar unter der kanarischen Sonne in Lanzarote von diesen harten Zeiten berichtet, deutet er auf die Gliedmaßen seines britisch-blassen Körpers, als wäre er ein Versuchsobjekt auf einem Medizinerkongress. Bald will er wieder über Bestzeiten, Finalteilnahmen und seine Gegner ("Ingo Schultz ist riesig und das meine ich nicht nur körperlich") reden.
Dafür hat er sich sogar von seinem langjährigen Trainer Mike Smith getrennt. Ein Schritt, der ihm keineswegs leicht fiel. "Ich habe Mike viel zu verdanken. Aber irgendwann war der Punkt erreicht, an dem ich einfach etwas Neues ausprobieren musste." Edelmetall in Athen heißt sein ultimatives Ziel - "und zwar nicht nur in der Staffel".
Szenenwechsel
Dazu sind jedoch einige Opfer nötig. Vom schönen Küstenort Southampton zog er ins triste Mittelengland nach Loughborough, um sich einer neuen Trainingsgruppe anzuschließen. "Es ist ein Szenenwechsel, den ich einfach gebraucht habe."
In den neuen Kulissen scheint er sich inzwischen wohl zu fühlen und setzt zusammen mit den 400-Meter-Hürden-Läufern Kemel Thompson (Jamaika) und Chris Rawlinson zum Sprung zurück in die Weltspitze an. "Old-school" bezeichnet der Modellathlet mit den markanten Zügen und dem Hang zu ausgefallenen Frisuren seine Philosophie von Training, die er mit den Langhürdlern und seinem neuen Coach Nick Dakin teilt: "Manche Leute haben Talent und manche müssen eben hart arbeiten. Wir müssen definitiv hart arbeiten."
Auf der kanarischen Vulkaninsel absolviert er eine Serie von 100-Meter-Läufen in 11,0 Sekunden, trabt zurück an den Start, um aufs Neue los zu sprinten: "Aber du müsstest erst einmal unser Dienstagstraining sehen. Das wird wirklich hart."
Alles schief gegangen
In solchen Momenten, in denen Iwan Thomas atemlos von Zeiten und Zielen spricht, wirkt der inzwischen 30-Jährige wieder wie der rotblonde, sorglose Jüngling, der einst vom wilden Fun-Sportler erst mit 16 Jahren zum fokussierten Viertelmeiler wurde und nur acht Jahre später sogar Michael Johnson zu gefährden vermochte.
Die vielen Blessuren, die vielen Rückschläge haben aber nicht nur sichtbare Wunden hinterlassen. "Seit 1998 ist eigentlich alles, was schief gehen kann, auch wirklich schief gegangen - Verletzungen hab' ich nun wirklich über." Britischen Journalisten hat in die Blöcke diktiert, dass er seine Karriere beendet, sollte er in Athen nicht noch einmal in den Kampf um die Medaillen eingreifen können.
Bis dahin wird Iwan Thomas allerdings alles tun, um unter seine Leidensgeschichte doch noch ein Happy-End zu setzen. Es ist später Nachmittag, als Iwan Thomas feststellt: "Im Moment bin ich seit langem wieder schmerzfrei. Wenn das so bleibt, werden die schnellen Zeiten auch wieder von ganz alleine kommen. Da bin ich mir ganz sicher."