Helmut Schiessl - Immer eine Herausforderung
Zugegeben, deutsche Läufer mit internationalen Perspektiven sind derzeit eher rar. René Herms über 800 Meter und Sabrina Mockenhaupt über 10.000 Meter waren letztlich nach der Absage von Marathonfrau Luminita Zaituc die einzigen deutschen WM-Starter. Ein Lichtstreif am düsteren deutschen Laufhorizont ist allerdings in der Randdisziplin Berglauf Helmut Schiessl.
Helmut Schiessl braucht den Berg (Foto: Kiefner)
Helmut Wer? Das mag sich so mancher denken, doch der 33-jährige Allgäuer ist auf dem besten Wege, sich und seinen Namen zumindest in Fachkreisen bekannt zu machen. Er ist der WMRA-Long Distance-World-Challenge-Sieger im Pyrenäen-Wintersportort Cauterets, gleichzusetzen mit dem Weltmeistertitel auf der Langdistanz, die diesmal über die Marathonstrecke ging.
Bei den Europameisterschaften am Großglockner durfte er über 13,6 Kilometer und einer Höhendifferenz von 1.250 Meter als Zweiter hinter dem Österreicher Florian Heinzle die Glückwünsche von EAA-Präsident Hansjörg Wirz entgegen nehmen.
Sensationell verlaufenes Jahr
Vor dem Saisonabschluss in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington auf einer Bergauf-bergab-Strecke ist dies ein sensationell verlaufenes Jahr für Helmut Schiessl, zugleich Beleg dafür, dass man mit Fleiß, Konsequenz und einem zielgerichtetem Training Erfolg haben kann.
Vor Jahresfrist feierte Helmut Schiessl auf der Ski-Olympiapiste von Sauze d'Oulx seinen Einstieg in die Weltelite sogar mit einem frisch eingeschenkten Weißbier, das er triumphierend ob seinem Coup gegen die Weltbesten wie ein Pokal in den azurblauen Himmel reckte. Er war gerade Vierter des Weltchampionats der Bergläufer geworden, zwei Wochen nach seinem zweiten Rang bei den erstmals ausgetragenen WMRA-Long-Distance-Championships beim Walliser Klassiker Sierre-Zinal. Durchweg Feiertage für "Fuzzy", wie ihn seine Kumpels einmal genannt haben. Längst wurde der Spitznamen zum Markenzeichen.
Weltenbummler
Helmut Schiessl ist ein Weltenbummler mit einer ausgewachsenen Vorliebe für Latein- und Südamerika und dennoch ein Bodenständiger zugleich, der seine Allgäuer Heimat liebt und wie kaum einer auch kennt. Weil er diese schlussendlich im Laufschritt erkundet. Zumeist alleine, weil ihm sein Acht-Stunden-Tag als Zimmermann keine andere Wahl lässt.
Aber hier und da auch mit Ultraläufer und Mediziner Thomas Miksch, einem ausgewiesenen Landschaftsläufer mit zahlreichen Spitzenplatzierungen beim härtesten Gebirgsmarathon, dem Swiss Alpine Marathon in Davos. Mit 33 Jahren kennt Helmut Schiessl bereits viele der "langen Kanten". Rennsteiglauf, Schwäbische Alb-Marathon, den Hunderter von Biel, Napf-Marathon, Jungfrau-Marathon, Swiss Alpine Marathon und wie sie alle heißen, die in der Szene Gewicht haben.
Nicht minder lang ist die Serie der Erfolge. So gewann Helmut Schiessl dreimal am legendären Rennsteig in Thüringen oder auf der Schwäbischen Alb, als Dreingabe hierzu auch den Europacup der Ultraläufer.
Training auf dem Weg zur Arbeit
Der gelernte Schreiner und Schlosser verbindet seinen Weg zur Arbeit stets mit der ersten Trainingseinheit. Dank seines großzügigen Chefs, der ihm bei den weiten Wettkampffahrten quer durch die Alpen auch schon einmal kurzfristig einen Tag frei gibt. Damit seine Saisonziele 2005 auch mit dem nötigen Ernst und Augenmaß angegangen werden können, hat Helmut Schiessl derzeit eine zweimonatige Auszeit ausgehandelt. Und verkündete diesen neuen Status pointiert als Berglaufprofitourist per Serienmail.
Zum Ausdauersport ist der Allgäuer durch einen besonderen Umstand gekommen. Als er mit 22 für ein Jahr plötzlich ohne Führerschein da stand, blieb ihm als einziges Fortbewegungsmittel nur das Fahrrad für den Weg zur Arbeit. "Ich hab' mir gesagt: Du hast dir die Suppe eingebrockt, nun musst du sie auch auslöffeln". Gesagt, getan.
Fortan wurden die Radeinheiten umfangreicher und die acht Kilometer lange Wegstrecke zur Arbeit wurde durch diverse Schleifen größer. Der Schichtbetrieb hat ein Übriges getan, zumal der Kontakt zu den Kumpels zwangsläufig immer spärlicher wurde. Und er fand zunehmend Spaß am Laufen. Eine logische Folge somit der erste Wettkampf. Beim Silvesterlauf im heimischen Kempten stand Helmut Schiessl erstmals an der Startlinie, im Folgejahr bereits der erste Marathon in Regensburg, bei dem er auf Anhieb unter der begehrten 3-Stunden-Marke blieb.
Jede Strecke eine Herausforderung
"Ich sehe jede Strecke als eine Herausforderung an. Für die Konkurrenz kann ich nichts, gegen deren Trainingsprogramme noch weniger." Er läuft meist am leistungsmäßigen Limit, doch nicht gerne unter dem Diktat der Konkurrenz. Viele seiner Starts sind eher unter der Rubrik Trainingsläufe abzulegen, sind die Kilometerbasis für die Wettkampfsaison.
Es sind eher die hügeligen Marathonläufe, die Helmut Schiessl Spaß machen. "42 Kilometer immer im gleichen Schritt, das ist für mich die Hölle", gesteht er und blickt mit Freude auf die profilierten Marathonstrecken. "Warum soll ich mich für eine 2:20 schinden, wenn ich danach zwei Wochen total platt bin und durch die Gegend hinke?"
Bergläufe sind für Helmut Schiessl das Nonplusultra. Eine Karriere als Bahnläufer könnte er sich partout nicht vorstellen. "Das würde mich überhaupt nicht motivieren. Eigentlich hasse ich die Sekundenbeißerei. Beim Berglaufen ist eigentlich keine Strecke vergleichbar, selbst wenn ich bei einem Lauf mehrmals an den Start gehe. Denn die Bedingungen sind schon alleine wegen dem Wetter stets verschieden."
Situationsbedingt
Sein Training ist eher als "situationsbedingt" zu bezeichnen. Tempoläufe sind für ihn nicht das probate Mittel, um in Form zu kommen. Fahrtspiele mit kreativen Elementen sind eher sein Ding. Einplanen kann Helmut Schiessl selten Trainingselemente, denn nach einem Acht-Stunden-Arbeitseinsatz auf dem Dachstuhl fehlt zweifellos die Spritzigkeit und Lockerheit für eine schnelle Laufeinheit. Die Stoppuhr gehört weder zum Trainingsalltag noch zur Wettkampfausrüstung. "Eine Uhr macht mich auch nicht schneller", ist seine ihm eigene Sichtweise. Ein Genießertyp.
Und das hat den Berglaufspezi in das "Wigald Boning-Team" gebracht. Die Truppe um die "TV-Unterhaltungskraft" (so der TV-Komiker über seine Rolle im Fernsehen) besteht aus einer Handvoll zumeist Rad-Ausdauertypen, die mit Sponsorenunterstützung Spaß, Lebensfreude und außergewöhnliche sportliche Herausforderungen suchen (und auch finden). Wie auch ihre Hilfeleistung bei Not leidenden Menschen und Tieren.