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Sebastian Keiner - Durchgangsjahr mit Bestzeiten-Jagd

Zyste am Knie, Ermüdungsbruch, finanzielle Einschnitte: Mittelstreckler Sebastian Keiner hätte Ende 2014 allen Grund gehabt, den Kopf in den Sand zu stecken. Aber der Erfurter hat sich durchgebissen und wurde dafür mit der Nominierung für die "World Relays" auf den Bahamas belohnt. Im Sommer sollen Freiluft-Bestleistungen folgen.
Sandra Arm

Schritt für Schritt erfolgte die Rückkehr zur normalen Aktivität: Nach einjähriger Verletzungspause hat sich Sebastian Keiner in der Wintersaison eindrucksvoll zurückgemeldet. Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Karlsruhe überraschte der Mittelstreckler des Erfurter LAC über 800 Meter mit Platz zwei.

Die Norm für die Hallen-EM in Prag (1:47,70 min) verpasste er nur knapp - um drei Zehntel. Diese war aber nicht das erklärte Ziel des 25-Jährigen: „Ich hatte eigentlich vor, die Hallensaison mit ein, zwei Wettkämpfen anzureißen und vielleicht bei den Deutschen Meisterschaften mitzulaufen. Dass es am Ende auch von den Zeiten so gut funktioniert, hätte ich nicht gedacht.“

Verletzung I: Zyste im Knie

Die Vorbereitung auf die Wintersaison verlief nämlich alles andere als perfekt. Der Blick zurück ist ein schmerzhafter. Zwei schwere Verletzungen zwangen Sebastian Keiner fast ein Jahr zur Inaktivität.

Die Misere begann im Oktober 2013, als das rechte Knie zu schmerzen begann. Das Außenband war gereizt. Alternatives Training brachte keine Besserung, Arztbesuche und Physiotherapien - erfolglos. Mitte November nach einem Besuch in der Sportklinik und einem MRT später die Diagnose: eine Zyste im Knie. Es folgten Operation, leichtes Training auf dem Ergometer und ab Januar 2014 das Aufbautraining. „Ich konnte problemlos trainieren. Im März war ich dann wieder vollständig regeneriert“, sagt Sebastian Keiner.

Verletzung II: Stressfraktur

Auch im anschließenden Höhentrainingslager im US-amerikanischen Flagstaff lief zunächst alles nach Plan. Die Trainingswerte stimmten, es deutete zunächst nichts auf eine weitere Verletzung hin. Irgendwann aber spürte er Schmerzen an der Wade. „Ich bin dann vorsichtig geworden, habe mich aus dem Training herausgenommen und alternativ trainiert. Die Bedingungen gaben es dort her.“ Sebastian Keiner reduzierte nicht das Trainingspensum, sondern ließ Einheiten mit Stauchbelastungen wie Sprünge weg und verlagerte Einheiten aufs Fahrrad oder ins Wasser.

„Ich dachte, nach ein, zwei Tagen kann ich wieder einsteigen. Es hat sich nicht wirklich gebessert.“ Zurück in Erfurt trainierte er weiter alternativ und begann anschließend mit dem Trainingsaufbau. Nach fünf Minuten Joggen war der Schmerz wieder da. Erst ein Röntgenbild brachte die endgültige Diagnose: eine Stressfraktur im Wadenbein. „In dem Moment, als die Diagnose kam, war ich erleichtert. Hinter die Saison konnte ich dann einen Haken setzen.“

Der Weg zurück auf die Bahn

Im August folgte der langsame Einstieg ins Aufbautraining. Das Gefühl, schmerzfrei zu trainieren, war ein befreiendes. Nach eineinhalb Jahren gab Sebastian Keiner Ende Januar 2015 bei den thüringischen Hallenmeisterschaften in Erfurt über 800 Meter sein Comeback. Beim Abendsportfest des Erfurter LAC ging Anfang Februar eine Zeit von 3:42,93 Minuten über 1.500 Meter ins Protokoll ein - und fand Aufnahme in die Liste der Hallenrekorde im Eingangsbereich der Erfurter Leichtathletikhalle. „Das ist schon ein schönes Gefühl, den eigenen Namen dort zu lesen. Ich habe mit dem Rekord schon ein bisschen geliebäugelt, die Zeit war erreichbar.“

Nicht zu erwarten war, dass Sebastian Keiner nun am Mittwoch in den Flieger stieg und zur Staffel-WM nach Nassau (Bahamas; 2./3. Mai) reiste. „Es war im Winter überhaupt nicht klar, ob sie überhaupt jemanden als Ersatzmann nach Nassau mitnehmen“, sagt Sebastian Keiner, der sich zu Jahresbeginn mit guten Leistungen über 800 und 1.500 Meter ins Gespräch für einen Einsatz brachte.

Die Bestätigung von Mittelstrecken-Bundestrainer Jens Boyde ereilte ihn im Trainingslager in Bad Blankenburg. „Es ist ein richtig schönes Gefühl wieder in der Nationalmannschaft zu sein. Ich komme als Ersatzläufer mit, weil ich auf fast allen Strecken einspringen könnte.“

Nach fast drei Jahren Rückkehr ins Nationalteam

Außerdem nominiert für die Medley-Staffel, bei der vier Läufer unterschiedlich lange Distanzen absolvieren, sind Benedikt Wiesend (LG Stadtwerke München), Florian Orth (LG Telis Finanz Regensburg), Robin Schembera (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Homiyu Tesfaye (LG Eintracht Frankfurt). „Man hofft natürlich nicht, dass sich einer der Vier verletzt. Ich finde es in dem Moment trotzdem schön, einfach dabei zu sein.“

Dabei sein, im Trikot für Deutschland laufen, dieses Gefühl wurde Sebastian Keiner zuletzt 2012 bei den Europameisterschaften in Helsinki (Finnland) zuteil. Nun kann er es vielleicht wieder spüren. „Ich denke, dass es eine spannende Staffel ist. Für mich ist wichtig, dass ich alles mitnehme, dabei bin und gegebenenfalls ein gutes Training absolviere.“ Von Aufregung ist bei dem Erfurter noch nichts zu spüren. Zumindest äußerlich. „Ich freue mich natürlich auf den Wettkampf, aber noch ist es nicht die Aufregung, die überwiegt“, sagt er ruhig und gefasst.

Saisoneinstieg in Pliezhausen

Aufgrund seines möglichen Einsatzes in Übersee wurde auch sein Trainingsplan im Abstimmung mit Heimtrainer Enrico Aßmus ein wenig angepasst. „Wir haben ein bisschen umgestellt und haben zwei, drei Einheiten mit schnelleren Schritten eingebaut.“ Ansonsten wurde nach Plan verfahren. Nach Plan bedeutet: „Ich befinde mich momentan in der Übergangsphase zwischen längeren Ausdauerläufen von der Grundlagenausdauer hin zur Wettkampfausdauer.“

Der Saisoneinstieg ist für Mitte Mai beim Läufermeeting in Pliezhausen (17. Mai) geplant. Die ersten Wettkämpfe sind erstmal zum Reinkommen. Ende Mai geht’s dann richtig los. Geplant sind in der ersten Wettkampfphase Meetings in Hengelo (Niederlande; 24. Mai) und Dessau (29. Mai). Nach einer anschließenden Trainingsphase folgt die zweite Wettkampf-Periode.

Während im Winter häufig die Entscheidung zugunsten der 800 Meter gefallen ist, stehen bei Sebastian Keiner im Wettkampf-Sommer die bevorzugten 1.500 Meter im Fokus. „Die sind meine Hauptstrecke für die Saison, aber ich werde zwischendurch auch mal auf anderen Strecken präsent sein“, sagt er. Seine Entscheidung dafür macht er von der Konkurrenzsituation abhängig. „Gerade zu Saisonbeginn muss man schauen: Wo ist der bessere Lauf, was macht mehr Sinn? Ich entscheide von Wettkampf zu Wettkampf.“

Fernziel Olympia 2016 in Rio

Für Sebastian Keiner soll das Jahr 2015 nur ein Durchgangsjahr auf dem Weg zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio werden. „Darauf arbeiten wir momentan hin. Ein langfristiges Ziel sind auch die Olympischen Spiel 2020. Ich bin dann in einem Altersbereich, wo eine Teilnahme noch möglich ist.“

Im WM-Jahr 2015 hat der Erfurter die Normjagd für Peking (China; 22. bis 30. August) nicht als primäres Ziel ausgegeben. „Ich halte mich in diesem Jahr von Normen komplett frei. Natürlich hat man die WM im Hinterkopf, zu der man vielleicht hin könnte, aber das ist nicht mein Fokus.“ Stattdessen will er seine Bestzeit über 1.500 Meter, sie steht seit 2013 bei 3:37,75 Minuten, angreifen. Auch Aßmus traut seinem Schützling „neue persönliche Bestzeiten in der Sommersaison zu“.

Seit elf Jahren ein Team

Seit elf Jahren arbeiten die beiden in Erfurt zusammen. Aßmus bezeichnet die langjährige Zusammenarbeit „in dieser schnelllebigen Zeit bemerkenswert“ und schätzt an dem erfahrenen Athleten vor allem „den sachlichen und seriösen Austausch“. Für Sebastian Keiner ist es von beiden Seiten „ein Geben und Nehmen“.

Gerade in den vergangenen Jahren hat sich in der Zusammenarbeit noch mal ein ziemlicher Wandel vollzogen. „In den ersten Jahren als Jugendlicher macht man das, was der Trainer sagt. Jetzt durch das Trainingsalter und die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, bringe ich mich selbst in den Trainingsplan mit ein. Wir besprechen gemeinsam, wie wir die Einheiten gestalten wollen und ich entscheide kurzfristig, wenn was nicht so passt oder etwas zu viel ist.“

Sportliche Zukunft schien ungewiss

So optimistisch Sebastian Keiner derzeit in die Zukunft blicken kann, so ungewiss schien seine sportliche Laufbahn noch zum Ende des vergangenen Jahres. Zum Verletzungspech kam auch die Einstellung  der Förderung durch die Deutsche Sporthilfe hinzu. „Das Geld war bei mir die Haupteinnahmequelle. Zudem musste mein Verein die Finanzierung für Vertragsathleten größtenteils zurückfahren. Sportlich will man eigentlich noch was machen, aber ohne finanzielle Unterstützung wird es schwierig“, weist der erfahrene Mittelstreckler auf die schwierige wirtschaftliche Situation hin.

Für das Jahr 2015 konnte schließlich gemeinsam mit der Thüringer Sporthilfe und dem Verein eine Lösung gefunden werden. Als Mitglied des Bundeskaders erfährt Sebastian Keiner zudem weiterhin die Unterstützung des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. „Wenn es jetzt erstmal wieder rollt, auch mit den internationalen Einsätzen, dann bin ich zuversichtlich, dass es auch weiter funktioniert.“

Zeitaufwändiges Pendeln zwischen Erfurt und Ilmenau

Weiter funktionieren soll auch sein Studium an der Technischen Universität in Ilmenau, wo er im fünften Fachsemester Ingenieurinformatik studiert - dank der Möglichkeit eines Teilzeitstudiums ohne Einschränkungen für den Sport. „Ich muss zu Vorlesungen nicht anwesend sein, aber ich versuche so viele wie möglich mitzunehmen.“ So pendelt er zwei- bis dreimal wöchentlich zwischen Erfurt und Ilmenau – mit dem Zug. „Vom Zeitaufwand ist das schon relativ aufwendig. Ich bin pro Tag drei Stunden mit Pendeln beschäftigt.“

Sebastian Keiner ist bescheiden, nimmt die Situation als gegeben hin und sieht sogar noch die positiven Seiten: „Wir können über den Studentenausweis kostenlos Zugfahren. Ich kann dann auf der Fahrt noch einige Sachen für die Uni erledigen. Es macht keinen Sinn mit dem Auto zu fahren, die Kosten wären einfach zu hoch.“ Sein Auto hat er auch deshalb abgemeldet. Vielleicht lässt sich das Gefährt in den kommenden Monaten wieder aktivieren. Aber sicherlich nur dann, wenn auf seine Rückkehr ins Nationaltrikot weitere internationale Einsätze folgen werden.

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