Sergey Litvinov - Offensiv über Doping sprechen
Über Sergey Litvinov schreiben bedeutet: Hier muss ein ziemlich großes Fass aufgemacht werden, hier sind mehr als zwei Jahrzehnte Hammerwurfgeschichte mittelbar aufzuarbeiten. Denn der Vater des Deutschen Juniorenmeisters und Dritten der deutschen Bestenliste (75,35 m) ist der zweimalige Weltmeister (1983, 1987) und Olympiasieger von 1988, Sergey Litvinov.
Der Senior ist Trainer des Juniors, der Senior hat einst die spätere Weltrekordhalterin Tatyana Lysenko aus Russland betreut, die 2007 des Dopings überführt und zwei Jahre gesperrt wurde. Der Senior ist Trainer des zwischenzeitlichen Olympiadritten von Peking, Ivan Tikhon aus Weißrussland, dem unlängst die Bronzemedaille wegen überhöhter Testosteronwerte aberkannt worden ist.Sergey Litvinov junior, der aus Weißrussland stammt, aber auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, in Frankfurt wohnt und für die LG Eintracht Frankfurt in den Hammerwurf-Ring steigt, hat nun gleich mehrere Probleme in der Außendarstellung: Zum einen den fragwürdigen Stellenwert vieler Leichtathletik-Weltrekorde aus der anabolen Hochphase in den achtziger Jahren. Zu jener Zeit warf sein Vater drei internationale Bestleistungen, am weitesten flog der Hammer 1983 (84,14 m).
Zum zweiten gehört(e) er zur Heimtrainingsgruppe von Ivan Tikhon, bezeichnet ihn als Freund, hat mit ihm häufig das Zimmer geteilt. Zum dritten „komme ich aus Weißrussland, das macht die Menschen in Deutschland schon ein bisschen aggressiv“. Und ihn zu einem Athleten, der sich permanenten Verdächtigungen ausgesetzt sieht.
Offensiv über Doping sprechen
Sergey Litvinov will über Doping sprechen, der 22 Jahre alte Bundeswehrsoldat der Sportfördergruppe in Mainz geht das Thema offensiv an. Und wundert sich. In diesem Jahr gehörte er dem sogenannten Sonderkader Trainingskontrollen (ST) des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) an und ist nach eigenen Angaben nicht einmal kontrolliert worden.
„Gerade ich“, sagt Sergey Litvinov. „Ihr sollt, ihr könnt, ihr müsst kommen“, dachte er den ganzen Wettkampfsommer 2008. Schwarz auf weiß wollte er es haben, dass alles mit rechten Dingen zugeht, dass er clean ist. Mittlerweile ist er in den B-Kader aufgerückt, somit ist die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) für Kontrollen zuständig, und er hofft auf eine alsbaldige Überprüfung seines Urins.
Schwerer Stand in der Szene
Denn Sergey Litvinov hat ohnehin einen schweren Stand in der Szene, was aber auch damit zu tun hat, dass er sich im Forum von leichtathletik.de an einem ausgiebigen Meinungsaustausch über den „Fall Tikhon“ beteiligte. Er verteidigte den dreimaligen Weltmeister, der sich im Jahr 2005 mit 86,73 Metern dem Weltrekord von Yuriy Sedykh (UdSSR/1986) bis auf einen Zentimeter genähert hatte, schrieb davon, dass Ivan Tikhon, „soweit ich weiß, sauber gearbeitet hat“.
Und er meinte, dass schließlich jeder aktive Sportler wisse, „wie schwer das ist, ohne Doping mitzumischen. Doch Ivan ist, oder vielleicht war, für mich der Beweis, dass es geht.“ Sätze, die zur Ehrenrettung seines Freundes taugen sollten.
Es scheint, als habe Sergey Litvinov junior in jüngster Zeit viel psychische Energie für seine bewegte Familiengeschichte und den schlechten Leumund weißrussischer Spitzenleichtathleten aufgewendet. Seine Mutter ist in Deutschland geboren und in Russland aufgewachsen, 1995 kehrte sie gemeinsam mit ihrem Sohn nach Deutschland zurück, nach Bremen.
Mutter in Bremen, Vater in Minsk
Sergey Litvinov senior blieb zunächst in Russland, versuchte sich für Olympia 1996 zu qualifizieren, scheiterte, und folgte anschließend nach. Seit sechs Jahren leben die Eltern getrennt, die Mutter weiterhin in Bremen, Sergey Litvinov senior mittlerweile in Minsk, der Hauptstadt von Weißrussland, dort wohnt auch die Frau seines Sohnes Sergey, Marina.
Einen Tag vor Heiligabend hat sich ihr Mann aufgemacht, um sie zu besuchen. Der junge Hammerwerfer ist von Berlin nach Minsk mit dem Bus gefahren, für 80 Euro einfache Reise, das Bahnticket hätte 200 Euro gekostet, „und das kann ich mir nicht leisten“. In Minsk, am 14. April dieses Jahres, bei den offenen Stadtmeisterschaften, hat Sergey Litvinov auch seine bislang größte Weite erzielt: 77,03 Meter. Schriftlich eingereicht zur Anerkennung durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF wurde dieses Resultat jedoch nicht. „Ich dachte ja, dass ich noch weiter werfe.“
Die WM in Berlin als Ziel
Ein Irrglaube, denn hartnäckige Adduktorenschmerzen behinderten ihn im weiteren Verlauf der Saison. Nun hofft Sergey Litvinov auf die WM 2009 in Berlin, die Norm beträgt 77,50 Meter, danach will er sich „die 80 Meter angucken“. Und setzt dabei auf „das sowjetische System von früher“, wobei er mit dieser Aussage nicht missverstanden werden will. Er stehe für den „sauberen Weg“, möchte mit „gerader Brust in den Ring steigen“.
Und sein Vater versuche ihm schon seit geraumer Zeit zu erklären, „dass man sauber weit werfen kann“. Mit einer herausragenden Technik und bis zu 100 Übungswürfen pro Tag in intensiven Trainingsphasen. Und höherem Kampfgewicht. 86 bis 92 Kilogramm wiegt Sergey Litvinov derzeit, mehr als 100 sollen es werden bei 1,85 Körpergröße. „Wenn man sich die Weltelite so anschaut“, sagt er, „dann werfen fast alle nur mit purer Kraft.“
Vision Olympiasieger 2012
Er will es anders machen – und vertraut zu 100 Prozent den Anweisungen seines Vaters, der als weltbester Trainer gilt und den er einen „Revolutionär“ nennt. Laut Sergey Litvinov senior gibt es „100 Wege für 80 Meter, 50 Wege für 83 Meter und einen für 86 Meter“. Sein Sohn bezeichnet den Sedykh-Weltrekord, der so alt ist wie er selbst, „als sicher nicht die sauberste Leistung“.
Sergey Litvinov hat eine Vision, er möchte 2012 in London Olympiasieger werden. Er scheint dies im kleinen Kreis schon mal geäußert zu haben, woraufhin einige Anwesende wohl die Stirn in Falten gerückt haben. „Ich weiß gar nicht, warum da viele lachen“, sagt er. „Ich bin zuversichtlich.“