| Interview der Woche

Shanice Craft: „EM-Bronze gibt Kraft für die nächsten Jahre“

Seit einem Jahr trainiert Shanice Craft (MTG Mannheim) in Berlin in der Gruppe von Bundestrainer Dr. Marko Badura. Trotz schwieriger Vorbereitung gewann die 25-Jährige im Sommer in Berlin ihre dritte EM-Bronze-Medaille nacheinander. Im Interview mit leichtathletik.de erklärt die schon in Jugendjahren hoch dekorierte Diskuswerferin, warum ihre Entwicklung in den vergangenen Jahren ausgebremst wurde und sie sich jetzt wieder bereit fühlt, ihren Hallenweltrekord zu brechen.
Jan-Henner Reitze

Shanice Craft, bei den vergangenen drei Europameisterschaften haben Sie jeweils Bronze gewonnen, 2014 in Zürich (Schweiz), 2016 in Amsterdam (Niederlande) und 2018 in Berlin. Welche Medaille ist die wertvollste für Sie?

Shanice Craft:

Jede Medaille wurde unter anderen Voraussetzungen gewonnen. Die erste Medaille bei den Aktiven in Zürich war etwas Besonderes. In Amsterdam war es einfach ein sehr schöner Wettkampf, aber Berlin hat das getoppt. Ich war durch Verletzungen unter schwierigen Umständen in die Saison gestartet. Trainer- und Standortwechsel waren zusätzlicher Stress. Der Wettkampf in Berlin war dann der Hammer, der geilste, den ich bisher überhaupt hatte. Das Stadion war voll, Freunde und Familie vor Ort. Diese Medaille war die besonderste.

Welche Medaille hat denn das schönste Design?

Shanice Craft:

Optisch hat mir die Medaille aus Zürich bisher am besten gefallen. Sie hat die Form des Stadions. In Berlin ging das nicht, weil die EM Teil der European Championships war und es überall die gleichen Medaillen gab. Dieses Konzept der sportartübergreifenden EM fand ich aber auch sehr gut. Ich habe auch von vielen Freunden Positives gehört. Für sie war es eine Art Mini-Olympia und sie haben den ganzen Tag Sport geschaut.

In der zurückliegenden Saison haben Sie gleich zweimal starke Nerven bewiesen: Bei den Deutschen Meisterschaften drohte Ihnen das EM-Aus, bis Sie sich im fünften Versuch von Platz vier auf Rang eins verbessern konnten. Bei der EM haben Sie sich erst im sechsten Durchgang Bronze gesichert. Brauchen Sie diesen Kick oder hatten Sie in diesen Momenten auch das nötige Glück auf Ihrer Seite?

Shanice Craft:

Früher war der sechste Versuch immer meine Stärke. Die Konkurrenz konnte sich bis zu diesem Zeitpunkt nie sicher sein, dass ich nicht doch noch einen draufpacke. Diese Eigenschaft hatte ich in den vergangenen Jahren etwas verloren. Dass es mir bei der EM wieder gelungen ist, hat mich ein bisschen selbst überrascht. Klar nimmt man sich im sechsten Versuch immer vor, noch einmal alles zu geben. Aber daran zu glauben, dass es klappt, ist etwas anderes. Jetzt weiß ich wieder, dass ich es kann. Das gibt mir Kraft für die nächsten Wettkämpfe und Jahre. Ich kann wieder mit einer anderen Einstellung in den Wettkampf gehen.

Ihr bisher bestes Jahr war 2014, als Sie in vier Wettkämpfen die 65-Meter-Marke übertrafen und sieben Ihrer bisher zehn besten Weiten erzielten. Was hat in den vergangenen Jahren verhindert, dass der Diskus wieder über die 65 Meter geflogen ist?

Shanice Craft:

Ich habe lange mit Adduktorenproblemen zu kämpfen gehabt, schon seit dem Jahr 2013. Die Probleme traten nur beim Diskuswerfen auf. Ich hatte auf beiden Seiten Muskelfaserrisse. Da wir die Ursache nicht herausgefunden haben, konnte ich die Probleme auch nicht beheben. Wenn im Training immer eine Zerrung droht, wirkt sich das auf der ganzen Linie negativ aus. Der Körper versucht, sich zu schonen. Die Technik leidet und auch mental ist es eine Belastung. Das hat mich immer wieder zurückgeworfen.

Wie haben Sie die Probleme in den Griff bekommen?

Shanice Craft:

Im vergangenen Jahr hat mir ein Arzt gesagt, dass nur eine Operation hilft. Das kam für mich aber nicht infrage. Stattdessen kam der Wechsel nach Berlin und dank der Betreuung durch Athletik- und Rehatrainer wurde es besser. Wir haben gezieltes Stabilisationstraining im Rumpfbereich gemacht und die Ansteuerung der Muskeln trainiert. Stabilisationstraining macht natürlich jeder Athlet. Für mich war es entscheidend zu lernen, wie ich die Muskeln im Ring ansteuern muss. Es ging also nicht nur darum Muskeln aufzubauen, sondern um das Wissen, wie man sie benutzt. Seitdem habe ich kaum Beschwerden.

Was hat Sie dazu bewogen, sich der Trainingsgruppe von Dr. Marko Badura anzuschließen?

Shanice Craft:

Ich war auf Trainersuche, weil mein Wurftrainer leider aufhören musste. Ich kannte die Bedingungen in Berlin. Am Olympiastützpunkt ist alles auf einem Gelände, von Wurfhaus über Reha bis zur Physiotherapie. Das ist, was ich brauche. Dazu verstehe ich mich mit der Trainingsgruppe sehr gut. Deshalb habe ich dort angefragt.

Was zeichnet Ihren Trainer Dr. Marko Badura aus?

Shanice Craft:

Er ist ein ruhiger Typ, auch im Wettkampf. Das passt sehr gut zu mir. Da er aus der Wissenschaft kommt, geht er viele Dinge anders an. In seiner früheren Arbeit am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig hat er Tag für Tag Technik analysiert. Deshalb ist er auf diesem Gebiet Perfektionist. Das ist natürlich gut für Athleten in der Weltklasse, die sich immer weiter verbessern wollen. Zu seinem Konzept gehört auch viel alternatives Training. Wir haben getanzt, waren Bouldern und haben Squash gespielt. Das bringt Abwechslung und macht Spaß.

Woran möchten Sie im angelaufenen Wintertraining besonders arbeiten?

Shanice Craft:

Ich bin erst seit drei Wochen wieder im Training. Wir bringen den Körper gerade in Schwung und stabilisieren ihn. In der späteren Kraftphase möchte ich meine Beine stärken, um im Werfen mehr aus den Beinen arbeiten zu können. Bei der Technik möchten wir den Eingang, also den Anfang des Wurfs verbessern. Wenn der stimmt, kommt der Rest von allein.

Ihren Trainingsstandort haben Sie gewechselt, wie sieht es mit dem Verein aus?

Shanice Craft:

Da ich seit meinem sechsten Lebensjahr Mitglied bei der MTG Mannheim bin, bin ich trotz meines Standortwechsels sehr froh, dass mich die MTG und der Olympiastützpunkt weiterhin unterstützen. Ich bleibe also.

Sie halten den inoffiziellen Hallen-Weltrekord mit 62,07 Metern vom ISTAF Indoor 2015. Bei der nächsten Auflage am 1. Februar werden wieder Frauen mit im Wettbewerb sein. Wird Ihr Weltrekord dort gebrochen?

Shanice Craft:

In Gefahr geraten wird er mit Sicherheit. Aber ich möchte ihn selbstverständlich behalten. Ich freue mich schon sehr auf das ISTAF Indoor. Da die WM im kommenden Jahr so spät liegt und der Saisonaufbau darauf ausgerichtet ist, tut es gut, im Winter einen Wettkampf zu haben. Man bekommt einen Zwischenstand und klar, ist auch Spaß und Show dabei. Ich finde auch das Konzept gut, dass Frauen gegen Männer antreten. Das ist auch für das Publikum spannend.

International überragt Sandra Perkovic seit Jahren die Diskuswelt der Frauen. Was hat sie Ihnen und den starken DLV-Diskuswerferinnen noch voraus?

Shanice Craft:

Wenn man sich ihre Würfe anschaut, ist ihre Technik herausragend. Sie kommt vor dem Abwurf in eine gute Verwringung. Sie lädt sich wie eine Feder auf und schleudert den Diskus dann einfach raus. Das peile ich auch an. Es ist aber ein sehr schwieriges Ziel.

Trauen Sie sich zu, in den Leistungsbereich zwischen 65 und 70 Metern vorzustoßen, wo in den nächsten beiden Jahren die WM- und Olympiamedaillen vergeben werden?

Shanice Craft:

Das ist das große Ziel. Für die nächste Saison bin ich zuversichtlich, da ich die Problematik mit den Adduktoren in den Griff bekommen habe. Erst einmal gilt es, einen guten Aufbau hinzulegen, damit die Grundlage stimmt. Da wurde ich auch schon häufig durch verschiedene Verletzungen unterbrochen. Wenn ich gut arbeiten, viel werfen und an der Technik arbeiten kann, dann werde ich an mein bisher bestes Jahr 2014 anknüpfen können.

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