Siebenkämpferinnen - Aberglaube, kein Voodoo
Sie sind die ersten DLV-Athletinnen, die im Pekinger Vogelnest an den Start gehen werden. Nach deutscher Zeit am frühen Freitagmorgen um drei Uhr treten Lilli Schwarzkopf (LC Paderborn), Jennifer Oeser (TSV Bayer 04 Leverkusen) und Sonja Kesselschläger (SC Neubrandenburg) zum olympischen Siebenkampf an. Realistische Medaillenhoffnungen hegt in China nur Lilli Schwarzkopf, kleine Glücksbringer haben dagegen alle drei dabei.
In diesem Appartement herrscht der Aberglaube: Ohne ihr Maskottchen wird keine der drei deutschen Siebenkämpferinnen am Freitag frühmorgens die Wohnung im Olympischen Dorf verlassen. Wenn um fünf Uhr chinesischer Zeit - fünf Stunden vor dem Startschuss für den Hürdensprint - der Wecker klingelt, wird Jennifer Oeser ihr rosa Stoffschwein einpacken. Sonja Kesselschläger hat Eisbär Knut dabei und in der Tasche von Lilli Schwarzkopf tummeln sich ein kleiner Schutzengel, ein Miniatur-Glücksschwein und eine Eule.Bei Jennifer Oeser geht das durchaus erlaubte Psycho-Doping noch weiter: Am Tag vor dem Wettkampf lutscht sie immer die gleiche Sorte Multivitamin-Bonbons. Vier Stück müssen es sein und die Abfolge der Geschmacksrichtungen ist festgelegt. Seit sie auf der Fahrt zu einem Hochsprung-Wettkampf im Auto die Bonbons für sich entdeckte und danach Bestleistung sprang, schwört sie auf dieses Ritual.
Jennifer Oesers Glücks-Kamellen
Ihr Problem: Vor ein paar Jahren nahm der Hersteller die von der Leverkusenerin favorisierten Kamellen aus dem Sortiment. „Ich habe zwar damals einen Vorrat angelegt“, sagt die 24-Jährige, „aber dessen Haltbarkeitsdatum ist schon 2005 abgelaufen.“ In Peking wird sie auf das Ritual dennoch nicht verzichten. „Ich hab’s schon mal ohne versucht, aber dann ist nie was Gutes dabei herausgekommen.“
So wie bei ihrem letzten Test vor Olympia in Leverkusen, wo sie über 100 Meter Hürden und im Weitsprung antrat. Mit 13,83 Sekunden und 5,74 Metern ging das gründlich schief, aber Jennifer Oeser lässt sich davon nicht verunsichern. „Die Generalprobe muss bei mir immer missglücken, wenn’s beim Höhepunkt gut werden soll.“
Lilli Schwarzkopf will die Medaille
Nach Höherem strebt Lilli Schwarzkopf, die sich im Juni in Ratingen auf 6.536 Punkte verbesserte. Ganz offen spricht sie von einer Medaille. „Das ist immer Ziel, aber 6.400 Punkte werden hier nicht dafür reichen. Ich hoffe, dass ich alles zeigen kann, was ich trainiert habe, denn hier wird es so eng zugehen, dass es auf jeden einzelnen Punkt ankommt“, sagt die 24-Jährige, die sich in Form für eine neue Bestleistung fühlt. „Ich werde an meine Grenzen gehen und, wenn es sein muss, noch darüber hinaus“, kündigt sie an.
Das wird am Freitag auch nötig sein, denn die Wettervorhersage kündigt für Peking 30 Grad, zeitweise Sonnenschein und extreme Schwüle an. Der Siebenkampf dürfte zu einer ähnlichen Hitzeschlacht wie vor einem Jahr bei der WM im japanischen Osaka werden. Dass sie mit solchen Bedingungen klarkommen, haben Lilli Schwarzkopf und Jennifer Oeser vor einem Jahr bewiesen, als sie als WM-Fünfte und -Siebte mit 6.439 und 6.378 Punkten jeweils persönliche Bestleistungen aufstellten. Sonja Kesselschläger war in Japan 13. mit 6.149 Punkten.
Ohne Kühlwesten in die Hitzeschlacht
Auf die Kühlwesten, die sie damals in den Pausen beim Hochsprung getragen haben, werden die DLV-Mehrkämpferinnen im Vogelnest verzichten. „Der Aufwand ist zu groß, damit die Westen kühl bleiben, müssen wir Eisboxen mit zum Wettkampf schleppen“, sagt Sonja Kesselschläger. Ein in kaltes Wasser getauchtes Handtuch erfülle den gleichen Zweck.
Die Olympia-Sechste von Athen (Griechenland), die kurz vor der Abreise nach Peking ihr BWL-Studium abgeschlossen hat, hofft darauf, in dem extrem langen Olympia-Siebenkampf von ihrer Erfahrung zu profitieren. „Aber trotzdem wird es verdammt schwer, den sechsten Platz von 2004 zu wiederholen“, sagt sie. In Peking peilt sie aber zumindest wieder die Punktzahl an, mit der sie vor vier Jahren in Athen Rang vier nur um 14 Zähler verpasste: 6.287. Die 30-Jährige verabschiedet sich in Peking definitiv von Olympia, nach den Weltmeisterschaften 2009 in Berlin will sie ihre Karriere beenden.In Peking liegen am ersten Tag zwischen den 100 Metern Hürden und dem 200-Meter-Lauf um 21:15 Uhr Ortszeit elfeinhalb Stunden. „Da kommt es vor allem darauf an, beim ständigen Ein- und Auslaufen nicht zu viel Energie zu verpulvern“, erklärt DLV-Disziplintrainer Klaus Baarck. Nach dem Weitsprung am zweiten Tag haben seine Athletinnen fast acht Stunden Pause, die sie nicht in den Stadion-Katakomben verbringen wollen. „Wir kommen zurück ins Olympische Dorf, werden was essen und uns ein wenig hinlegen“, beschreibt Jennifer Oeser, die Stunden, bevor es dann im Speerwurf und über 800 Meter endgültig um die Medaillen gehen wird.
Keine Favoritin auszumachen
Echte Favoritinnen dafür gebe es im Jahr eins nach Carolina Klüft nicht, sind sich die drei deutschen Siebenkämpferinnen einig. Die schwedische Olympiasiegerin und Weltmeisterin hat sich vom Mehrkampf verabschiedet und wird in Peking im Weit- und Dreisprung antreten. Für ihr Erbe gibt es viele Kandidatinnen. Hyleas Fountain (USA), Tatyana Chernova (Russland), aber auch die Britin Kelly Sotherton, die in diesem Jahr noch keinen Mehrkampf absolviert hat, zählen dazu.
Bloß eine, die soll nicht gewinnen, wenn es nach den deutschen Mehrkämpferinnen geht: Die Ukrainerin Lyudmila Blonska, die bereits eine Dopingsperre hinter sich hat. „Ich glaube zwar eigentlich, dass es im Siebenkampf sauber zugeht, aber ihr vertraue ich nicht“, sagt Sonja Kesselschläger.