Sonja Kesselschläger - „Tränen sind geflossen“
Mehr als fünfzig Siebenkämpfe hat Sonja Kesselschläger bestritten, am letzten Wochenende ging ihre Karriere mit dem Gastspiel in Talence (Frankreich) zu Ende. 2003 trat die Neubrandenburgerin in die Lücke der legendären Sabine Braun, es folgten als eine der Wegbegleiterinnen von Schwedens Star Carolina Klüft zwei Olympia- und drei WM-Teilnahmen. Erfahren Sie mehr im Interview, das Christian Fuchs nach dem letzten Wettkampf mit der 31-Jährigen geführt hat.
Sonja Kesselschläger, schon vor Ihrem letzten Siebenkampf in Talence hatten Sie gesagt, Sie wollen vor allem Spaß haben. Wie viel Spaß war jetzt tatsächlich dabei?Sonja Kesselschläger:
Ziemlich viel. Eigentlich hatte ich nur Spaß, außer kurze Zeit beim Kugelstoßen. Es war für mich einfach schön, dass ich die Chance bekommen habe, jede der sieben Disziplinen noch einmal zu machen. Ich wusste von vornherein, dass ich nicht so gut abschneiden würde (Anm. Platz elf; 5.639 Punkte), weil die Form nicht da war. Dadurch, dass es um nichts mehr ging, war das aber nicht so schlimm. Ich habe mich über keine Disziplin mehr geärgert, sondern es einfach akzeptiert.
Wie sentimental wurden Sie bei dem Abschiedswettkampf trotz all dem Spaß?
Sonja Kesselschläger:
Ich bin schon an sich ein emotionaler Mensch. Am ersten Tag ging es in Talence noch ganz tränenlos vonstatten, am zweiten Tag dann nicht mehr ganz so. Da ist schon die ein oder andere Träne geflossen, auch wenn es zum Glück nicht jeder gesehen hat. Ich freue mich jetzt natürlich auf die neue Zeit, aber ich blicke mit einem traurigen Auge auch auf die Zeit, die ich jetzt zurücklasse.
Stichwort neue Zeit. Was wird sie für Sie bringen?
Sonja Kesselschläger:
Ich weiß nur, was bis zum Februar ansteht. Bis Ende des Jahres bin ich noch bei der Bundeswehr, dann mache ich relativ viel Urlaub und fahre mit meinem Freund nach Neuseeland. Danach will ich mit der Grundlage, dass ich seit letztem Jahr Diplomkauffrau bin, beruflich Fuß fassen. Ich habe nach dem abgeschlossenen BWL-Studium noch eine Zusatzqualifikation in Controlling gemacht und in dem Bereich würde ich gerne in einem Unternehmen arbeiten.
War Ihr Abschied vom Siebenkampf mit diesen beruflichen Perspektiven bereits avisiert?
Sonja Kesselschläger:
Ich wusste schon vor der Saison, dass ich aufhören würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch ein Jahr weitermache, war schon gering. Man soll aber niemals Nie sagen und man muss abwarten, wie es sich emotional entwickelt. Deshalb wollte ich nicht darüber reden und ich wollte auch nicht, dass ich schon vorab verabschiedet werde, obwohl es noch gar nicht soweit ist.
Sind Sie noch einmal wankelmütig geworden?
Sonja Kesselschläger:
Nein und das ist auch gut so. Dadurch weiß ich jetzt, dass es die richtige Entscheidung ist.
Sie haben selbst auf Ihrer Homepage geschrieben, dass es nun wahrscheinlich 54 Siebenkämpfe sind in Ihrer Karriere. Welche Mehrkämpfe sind Ihnen denn ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Sonja Kesselschläger:
Die EM 2002 in München vor deutschem Publikum. Die Olympischen Spiele 2004 in Athen, wo ich Sechste geworden bin, und die Hallen-WM 2006 in Moskau, wo ich um fünf Punkte an einer Medaille vorbeigeschrammt bin.
Die Olympiajahre 2004 und 2008 waren die Jahre, in denen Sie mit herausragenden 800-Meter-Zeiten und neuen Siebenkampf-Bestleistungen aufgewartet haben. Was hat das möglich gemacht? War es gerade das Ziel Olympia als Antrieb?
Sonja Kesselschläger:
2004 hatte ich einfach die Form. Die hätte ich aber 2005 auch gehabt, als ich in Ratingen in der Form meines Lebens war, die dann mit der Sitzbeinverletzung schon nach den Hürden beendet war. Danach konnte ich das nie mehr abrufen. Dazu, dass ich 2004 und 2008 über 800 Meter 2:11 laufen konnte, trugen schon die besonderen Situationen bei, die dann dazu geführt haben, den Schweinehund so mega zu überwinden.
Wo haben Sie denn plötzlich diese Fähigkeit, den Schweinehund dann so auffallend noch ein Stück mehr zu bezwingen, hergenommen?
Sonja Kesselschläger:
2008 konnte ich das einfach. Ich habe in meiner Karriere das 800-Meter-Laufen gelernt und auch das Selbstbewusstsein dafür bekommen. Ich hatte es deshalb drauf, 2004 dagegen hatte ich es nicht drauf. Damals hätte das keiner von mir gedacht und ich selbst am allerwenigsten, mein Trainer auch nicht. Ich habe den Kopf ausgeschaltet und bin nur hinterher gelaufen. Es ging um Olympische Spiele, um meine ersten.
2008 waren Sie ein zweites Mal bei Olympia dabei. Was verbinden Sie mit diesen herausragenden Erfahrungen Ihrer Karriere?
Sonja Kesselschläger:
Schöne Erinnerungen. Olympische Spiele sind alle vier Jahre, das ist etwas Besonderes. Ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass ich es zweimal zu Olympischen Spielen geschafft habe.
Mit Carolina Klüft war der Siebenkampf-Superstar schlechthin nicht nur 2004 und 2008 ein Begleiter Ihrer Karriere. Wie haben Sie die Schwedin über viele Jahre erlebt?
Sonja Kesselschläger:
Carolina war sehr aufgeschlossen und eine Nette, auch wenn sie einem im Fernsehen immer hibbelig vorkam. Sie war nie überheblich und ist auch auf uns andere zugegangen. Man konnte sich mit ihr nett unterhalten. Sie hat den Siebenkampf belebt, aber nicht von oben herab geschaut. Sie war eine Person, die fasziniert hat, nicht nur wegen ihrer sportlichen Leistungen, sondern auch durch ihr Wesen, mit dem sie den Funken auf das Publikum überspringen hat lassen.
2003 waren Sie die einzige deutsche 6.000-Punkte-Siebenkämpferin. Sie sind nach dem Rücktritt von der über Jahre dominierenden Sabine Braun in die Bresche gesprungen und hatten drei Jahre lang die Pole Position im deutschen Siebenkampf inne. Wie sind Sie mit dieser Rolle umgegangen?
Sonja Kesselschläger:
Ich habe mich in dieser Rolle schon wohlgefühlt. Aber man steht durch die Konkurrenz unter Druck und gerade 2004 war es knapp. Da standen die anderen schon in den Startlöchern. 2005 war ich nicht so gut und da hatte ich mich schon gefragt, wieso es keine andere geschafft hatte, an mir vorbeizukommen. 2006 kam dann noch die Hallensaison, in der wieder niemand vorbeizog. Im Sommer darauf war ich schließlich auch ein bisschen froh, als dieser Druck, dass ich gewinnen muss, weil ich schon drei Jahre vorne bin, weg war.
6.311 Punkte bleiben jetzt aus dem letzten Jahr als Ihre Siebenkampf-Bestleistung. Wie sehr sehen Sie damit Ihre Leistungsfähigkeit ausgereizt?
Sonja Kesselschläger:
Ich hatte früher immer gesagt, dass ich den Wunsch nach dem perfekten Mehrkampf habe. Den hatte ich aber nie, weil stets etwas Körperliches dazwischen kam. Mich hat immer wieder irgendwas zurückgeworfen, wenn ich die Form hatte, um mehr als 6.300 Punkte zu machen. Aber das ist Sport, das ist Siebenkampf. Ich hadere deshalb nicht.
Mussten Sie hadern, als es mit der WM-Teilnahme in diesem Jahr und damit dem geplanten Schlusspunkt nicht mehr geklappt hat?
Sonja Kesselschläger:
Es war gar nicht so schlimm, weil ich gewusst habe, dass meine Trainingskollegin Julia Mächtig den Startplatz bekommen hatte. Wenn die Chance dazu da gewesen wäre, hätte ich ihr den Startplatz aber schon weggenommen und ihn ihr nicht geschenkt. Es fiel mir dann aber auch in Berlin erstaunlicherweise total leicht, nur als Zuschauerin dort zu sein.
Die letzten 14 Jahre haben Sie immer in Neubrandenburg verbracht. Wie kam es zu dieser Treue zu Verein und Umfeld?
Sonja Kesselschläger:
Ich fand den Club schon immer toll. Auch jetzt noch, wenn ich am Start gestanden bin und mit den Worten „Sonja Kesselschläger vom SC Neubrandenburg“ vorgestellt wurde. Die Neubrandenburger waren immer eine tolle Truppe. Das hat mich fasziniert. Ich wollte auch nie den Verein wechseln und ich würde es auch jetzt nicht anders machen. Ich hatte auch nie einen Gedanken daran verschwendet, den Trainer zu wechseln.
Besteht zwischen Ihrem Karriereende und dem Abschied von Ihrem Trainer Klaus Baarck als Disziplintrainer ein Zusammenhang?
Sonja Kesselschläger:
Nein, das ist purer Zufall. Er ist 65 Jahre alt geworden und ich habe gesagt: jetzt ist 2009 und mit Berlin höre ich auf. Ich bin aber einfach nur froh, dass ich 14 Jahre bei Klaus Baarck trainieren durfte. Es war gut. Ich möchte ihm genauso wie meinen Eltern danken.
Was waren denn die Momente, in denen Sie Ihre Eltern und Ihr Trainer besonders unterstützt haben?
Sonja Kesselschläger:
Meine Eltern waren immer da. Sie haben mich vom Anfang bis zum Ende unterstützt und haben jetzt auch in Talence meinen letzten Mehrkampf miterlebt. Sie haben mir nie etwas in den Weg gelegt, sondern dafür gesorgt, dass ich mich weiterentwickeln kann. Mit meinem Coach war es einfach eine richtig gute Zusammenarbeit. Er ist genauso oft auf dem Platz gestanden wie ich. Und an dieser Stelle werde ich auch ein bisschen wehmütig, denn ihm hätte ich schon gerne einmal eine internationale Medaille geschenkt.
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Athletenportrait
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