Sonja Kesselschläger - Von Namibia nach Berlin
Nach Peking – ihren zweiten Olympischen Spielen – feilt Siebenkämpferin Sonja Kesselschläger weiter an ihrer internationalen Leichtathletikkarriere. Seit Ende ihrer Afrika-Reise im Oktober widmet sich die Bundeswehr-Sportsoldatin zwei klar definierten Zielen: Für 2009 peilt sie ein WM-Ticket für Berlin an und baut zudem spätere berufliche Perspektiven aus.
„Namibia war fantastisch. Natur pur in einer Landschaft von unbeschreiblich faszinierender Weite“, schwärmt Sonja Kesselschläger. Wie die Rillen einer Schallplatte, mit der Dauerpräsenz eines musikalisch mitschwingenden „Ohrwurms“, tief ins Gedächtnis geritzt, so wirken die gewonnen Impressionen ihres vor Wochen beendeten Afrikaurlaubs noch nach.Und das, obwohl die zweifache Olympiateilnehmerin längst im Vorbereitungstraining in Mecklenburgs Leichtathletik-Hochburg Neubrandenburg in der „Spikesphase“ steckt.
Jenseits von Peking
„Meine Gedanken kreisen oft um Namibia“, verrät die 30 Jahre alte Siebenkämpferin über ihre unverrückbaren Afrikaerlebnisse. Dort war sie für drei Wochen mit ihrem Freund Sascha im gemieteten Geländewagen von Lodge zu Lodge durch den südwestlichen Teil des schwarzen Kontinents – die einst kaiserliche Kolonie Deutsch-Südwestafrika – unterwegs. Um den Kopf frei zu bekommen, mit innerem Abstand die Olympiasaison zu bilanzieren, ihre verpasste Top Ten-Platzierung in Peking zu reflektieren und neue sportliche sowie berufliche Pläne für später zu schmieden, wie sie sagt.
„Die Menschen dort sind ausgesprochen deutschfreundlich eingestellt. Mit Deutschland verglichen, ist Namibia aber ein echtes Kontrastprogramm.“ Menschenleer seien die wüstenartigen Landstriche Namibias gewesen. Dafür sei sie oft hautnah – ja fast auf Augenhöhe – mit den „Big Five“ gewesen. „Das sind Elefant, Löwe, Leopard, Nashorn und Büffel“, erklärt die erfolgreiche Siebenkämpferin vom SC Neubrandenburg, die 2002 als EM-Neunte, erstmals die internationale Wettkampfbühne betrat.
Olympiaanalyse unter afrikanischer Sonne
Unter Afrikas Sonne hat Sonja Kesselschläger neben fassettenreichen Urlaubskontrasten auch Muße gefunden, das Pekinger Abschneiden im deutschen Siebenkampftrio mit der Paderbornerin Lilli Schwarzkopf und Jennifer Oeser aus Leverkusen zu analysieren. „Immer mit dem selben Ergebnis“, sagt sie, „unser Olympiaresultat ist für mich weiterhin ein Rätsel.“
„Ich bin gut reingekommen“, kommentiert sie die bisher längste Wettkampfsaison ihres Sportlerlebens. Beste Voraussetzungen, um in China unter den Top-Ten zu rangieren, hatte die mehrmalige Deutsche Fünfkampf-Hallenmeisterin im Olympiasommer allemal. Bot sie doch im Juni – beim vorolympischen Mehrkampfklassiker in Ratingen – mit 6.311 Punkten ein exzellentes Leistungs- und Gesundheitsbild: persönliche Bestleitung inklusive handfester Steigerung um 127 Punkte zum Vorjahr.
Herausforderung Peking
„Peking war für uns drei die Herausforderung schlechthin, schon wegen der Thronfolge von Carolina Klüft, die nur noch im Weit- und Dreisprung an den Start geht. Eine absolute Favoritin gab’s ja nicht.“ Es habe im Kampf um die Lücke, die Schwedens Siebenkampfikone Carolina Klüft hinterlassen hatte, gut zehn Medaillenaspirantinnen gegeben, aus deutscher Sicht darunter vor allem Lilli Schwarzkopf.
Trotz unbeschwerter Urlaubstage und wohltuendem „postoplympischen Kurzzeit-Break“ vom Hochleistungssport, auch in Afrika war Sonja Kesselschlägers Handy immer an. „Wegen der Dopingkontrollen“, sagt sie. Tatsächlichen NADA-Besuch gab es in Namibia aber keinen.
In der vergangen Saison sah dies allerdings anders aus. Da gab es alle zwei bis drei Wochen Kontrollen – eine nahezu lückenlose Überwachung. „In der Olymipa-Vorbereitungswoche in Japan und dann noch in Peking bin ich jeweils einmal zum Test gerufen worden“, verrät die derzeitige Nummer 17 der aktuellen Weltrangliste. „Das Engagment der deutschen Leichtathletik beim Antidoping-Kampf und gegen Leistungsmanipulation ist weltweit vorbildlich organisiert.“
Ohne Bundeswehr kein Spitzensport
Auch gegenüber ihrem Dienstherrn, der Bundeswehr, sieht sich die 1,78 Meter große und 64 Kilogramm schwere Athletin in der Pflicht, Dopingverstöße als absolut unakzeptable Leistungsmanipulation zu brandmarken. „Ich bin seit Oktober 2002 Sportsoldatin, da ist Fair Play eine Selbstverständlichkeit“, sagt die Marinesoldatin im Unteroffiziersrang Obermaat.
„Schließlich werden wir rund 750 Sportsoldaten international auch als deutsche Sportbotschafter in Uniform wahrgenommen.“ Und, so findet sie, „haben wir Sportsoldaten gegenüber unseren Jugendlichen eine wichtige Vorbildfunktion beim Kampf gegen Tabak-, Alkohol- und Drogenmissbrauch.“
Dankbar für exklusive Situation
Für die Möglichkeit, Hochleistungssport bei der Bundeswehr zu betreiben, ist Sonja Kesselschläger dankbar. „Spitzensport auf Weltniveau ist außerhalb der Geldsportarten, wie Fußball oder Tennis, ohne die Bundeswehr fast unmöglich.“
Ihre exklusive Trainingssituation hat sie – was die Auslandseinsätze ihrer Kameraden betrifft – nachdenklich gemacht. „Deutschland trägt beim Antiterrorkampf international eine hohe Verantwortung. Unsere Soldaten setzten sich weltweit für Frieden, Freiheit und Menschenrechte ein.“ Militärische Auslandseinsätze kommen für Bundeswehrathleten allerdings nicht in Frage.
So sieht sie ihr Privileg, bei der Sportfördergruppe zu trainieren, auch aus einem besonderen Blickwinkel: „Wenn ich von Gefallen oder Verwundeten erfahre, bin ich schon sehr betroffen. Wie beim Tod unserer Fallschirmjägerkameraden im Sommer in Afghanistan. Die waren gerade erst in meinem Alter.“
Berlin 2009 fest im Visier
Und so lange will die beständige 6.000-Punkte-Athletin ihr „professionelles Steckenpferd“ noch auf jeden Fall betreiben. „Nach Peking ist vor Berlin“, kommentiert die Neubrandenburgerin mittlerweile zuversichtlich.
Schließlich habe sie der Saison 2008 – einschließlich der unvergesslichen Eindrücke im olympischen Vogelnest – durchaus Positives abgerungen. „In Peking habe ich meine 100 Meter-Hürdenbestleistung von Ratingen mit erneuten 13,50 Sekunden egalisiert und bin zu Saisonabschluss im Talence 1,79 Metern hoch geflogen.“ Das war Mitte September in Frankreich ihr letztes Spitzenmeeting.
Längst bestimmt ein minutiös getimter Trainingsrhythmus wieder den Alltag der Profileichtathletin. „Von elf bis zwölf bin ich bei der Physio“, meldet sich die disziplinierte Sportsoldatin bei ihrem Trainer Klaus Baarck ab und notiert alles peinlich genau im Stundennachweis für Ihren „Chef“, den Oberstabsfeldwebel Fäckeler und Leiter der Sportfördergruppe Frankfurt/Oder.
„Spikesphase“ hat begonnen
„Ich trainiere jetzt schon wieder in allen Siebenkampfdisziplinen“, erzählt sie. Ihre „Spikesphase“ verläuft dabei besonders planvoll: „Zur Zeit renne ich ausschließlich mit Mittelstreckenspikes, dosiere die wöchentlichen Temposteigerungen dabei mit viel Fingerspitzengefühl.“ Erst wenn die DLV-Kaderathletin ihre Sprintkraft stabil entfaltet hat, soll der Feinschliff im ergometrisch maßgeschneiderten Sprinterschuh erfolgen.
Ihr sportliches Entwicklungspotential sieht Sonja Kesselschläger ohnehin vorzugsweise auf der Kurzstrecke. „Mit meinen 2:11 Minuten über die 800 Meter bin ich sicherlich am Limit angelangt.“ So will Sonja Kesselschläger ihre Schnelligkeitsreserven im Winter mit gezieltem Krafttraining weiter herauskitzeln.
Weitere Verbesserungschancen sieht sie allerdings auch im Speerwurf sowie beim technisch ebenfalls höchst anspruchsvollen Kugelstoßen. „Da war die Urlaubsunterbrechung besonders wichtig.“ Verfestigte Wurftechnikfehler könne sie nun wieder besser in den Griff bekommen. „Das Korrigieren fällt leichter, weil meine Feinmotorik nicht mehr an den kleinen Fehlern vom Sommer klebt.“
WM-Fahrplan 2009 steht fest
Auch der Wettkampffahrplan 2009 ist für sie längst festgezurrt: „Meine erste Station werden die Deutschen Hallen-Mehrkampfmeisterschaft Ende Januar in Hamburg sein.“ Für Ende Februar peilt sie einen Start über 60 Meter Hürden bei den Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig an und dann geht es in „klassischer Siebenkampfmanier“ über Götzis (Österreich) im Mai nach Ratingen im Juni – da möchte sie das WM-Ticket für Berlin einlösen.
So ist neben dem Mix aus Sprungkrafttraining, Tempoläufen und gezielten Kraft- und Technikeinheiten für Sonja Kesselschläger jetzt vor allem Verletzungsfreiheit das „A und O“. „Ich trainiere zehnmal pro Woche, gehe dreimal zur Physiotherapie und zweimal zur Krankengymnastik“, sagt die Neubrandenburgerin. So werde der kontinuierliche Aufbau im Training sinnvoll unterstützt – als Verletzungsprophylaxe.
„Rückschlags-Management“
Das Management von Rückschlägen hat Sonja Kesselschläger mittlerweile auch lernen müssen. So verlief ihr sportlicher Aufstieg in die Spitzenequipe des internationalen Siebenkampfs nicht ohne Rückschläge. 2006 machte ihr eine noch aus dem Vorjahr stammende Verletzung des Sitzbeins so stark zu schaffen, dass sie die komplette Saison abbrechen musste. „Die Stelle ist meine Archillesferse“, erläutert sie.
Erst ab April 2007 war ein erneuter professioneller Trainingsaufbau wieder möglich. An Aufgabe hat die talentierte Spitzensportlerin dabei aber nie gedacht. Überhaupt zeichnet die sympathische Athletin besonderer Fleiß und Zielstrebigkeit aus. „Einen Tag vor dem diesjährigen Traininglager in Südafrika habe ich meine Diplomarbeit im Studienschwerpunkt Operation Research zum Thema Prozessoptimierung abgegeben“, sagt die frisch gebackene Akademikerin mit dem nun offiziellen Titel „Diplom-Kauffrau“.
Optionen für 2010
Ob Sonja Kesselschläger nach der WM in Berlin weiter auf die Karte Siebenkampf setzt, lässt sie noch offen. „Natürlich ist für mich die Leichtathletik-WM 2011 im südkoreanischen Daegu durchaus eine reizvolle Option.“ Festlegen will sich die sportliche Marinesoldatin da allerdings nicht.
Ein Ass hat sie in jedem Fall im Ärmel: ihr derzeitiges Aufbaustudium im Wahlpflichtfach „Unternehmensrechnung und Controlling“. Eine nachgefragte Zusatzqualifikation, mit der die DLV-Kaderathletin auch zivilberuflich über eine solide Startposition verfügt. Eines weiß Sonja Kesselschläger aber jetzt schon ganz gewiss: „Mein nächster Urlaub ist im September 2009.“