Abraham Chebii, ein neuer Stern am Läufer-Himmel
Das Leben in Kenia ist karg und eintönig. Abraham Chebii kommt aus Chepsongei, einem kleinen Nest etwa 50 Kilometer von Iten entfernt. Mit 23 Jahren hat er es bereits zu Ruhm und Reichtum gebracht. Haile Gebrselassie, den "König" der Langstreckler, und Kenenisa Bekele, den "Kronprizen" und legitimen Nachfolger, hat er beim Golden League-Meeting in Rom geschlagen. Mit seinem kraftvollen Finish in der Endphase eines spannenden 5000-Meter-Rennens ist er dem Duo aus Äthiopien auf der Zielgeraden auf und davon gestürmt.
Abraham Chebii jubelt in Rom (Foto: Chai)
Natürlich erzählt sie sich wunderbar: die Geschichte von den Jungs und Mädchen, die barfuß über Stock und Stein, durch die Savanne zur Schule oder sonst wohin rennen – die das Laufen im Blut und im Herzen haben. Und natürlich denkt man daran, wenn Abraham Chebii, der flotte Naturbursche, seinen Gegnern auf und davon stürmt mit so flinken Beinen, dass der rote Kunststoffbelag gar unter ihnen hinweg zu tauchen scheint. Aber bei ihm trifft dieses Klischee nicht zu. Abraham Chebii ist in jungen Jahren nicht aktiv gewesen. Joseph Ngure, sein Coach, hat ihn erst sehr spät entdeckt. "Wir haben ihn gesehen, wie er mit Abraham Cherono, dem Commonwealth-Games-Dritten über 3000 Meter Hindernis, trainiert hat." Ngure ist tätig an der St. Patrick's High School in Iten, wo Patres der irischen Patrician Brothers eine internats-ähnliche Schule leiten.
Versammeltes Lauftalent
"Wir überschauen hundert Kilometer im Umkreis", hat Brother Colm O'Connell mal erzählt, "und darauf ist mehr Lauftalent versammelt als im gesamten Rest der Welt." Mike Boit, Peter Rono, Matthew Birir oder Ibrahim Hussein, allesamt Athleten der Extraklasse, sind unter O'Connells Anleitung groß geworden und arbeiten nunmehr als Funktionäre im Verbandswesen.
Abraham Chebii wäre ihnen beinahe durchs dichte Netz gegangen. Elijah Lagat, Triumphator bei den Marathon-Klassikern in Boston und Berlin gewonnen, hat ihn erst zum Laufen gebracht. Chebii wollte seinen Lebensstil verbessern, genauso wie Lagat, der zuvor mehrere Kilo zu viel mit sich herumschleppte und darum angefangen war, regelmäßig Sport zu treiben.
Im Zirkus der Sensationen
Heute ist Abraham Chebii eine große Nummer in der Laufszene.
Er hat hart trainiert und schwer um Anerkennung gekämpft im Zirkus der Sensationen. Sein großes Plus ist die Vielseitigkeit. In den USA lief er vor zwei Jahren 27:04,20 Minuten über 10.000 Meter, was damals die schnellste Zeit war, die je auf amerikanischem Boden erzielt wurde.
Haile Gebrselassie hatte diese Wertung zuvor angeführt, denn bei seinem Olympiasieg in Atlanta 1996 war er 27:07,36 Minuten gerannt. In Rom steigerte sich Chebii über 5000 Meter auf 12:52,99 Minuten und packte zwei Tage später in Gateshead noch eine 3000-Meter-Zeit von 7:45,93 Minuten drauf. Auch dort war er nicht zu schlagen dank seiner Spurtqualitäten.
Der Mann scheint in der Form seines Lebens zu sein. Charles Kamathi, auch ein Kenianer, der bei der WM 2001 in Edmonton überraschend Gold über 10.000 Meter erobert und dabei Haile Gebrselassie, der als unschlagbar galt, entzaubert hatte, freute sich mit ihm. "Ich bin happy, dass wir einen Läufer haben, der den Äthiopiern einen moralischen Tiefschlag verpasst hat", meinte er in einem Interview mit der Tageszeitung "Nation", "er hat uns Kenianer stolz gemacht."
Erst noch qualifizieren
Charles Kamathi ist als Titelverteidiger automatisch bei der WM dabei. Doch Chebii weiß noch gar nicht, ob er für die WM in Paris überhaupt nominiert wird. "Ich muss mich erst noch qualifizieren", betonte er mit ernster Miene, "und das ist bei unserem Reservoir an hervorragenden Läufern nicht gerade einfach." Er will nun im Training die Belastungen drosseln, um fit zu sein für den Tag der Wahrheit im Kasarani-Stadion von Nairobi, wo die Kenianer in einer Woche unbarmherzig um die heiß begehrten Tickets ringen werden.
Nach seinem publicity-trächtigen Erfolg in Rom hat er es zu Ruhm und Reichtum gebracht. Seine Stammesbrüder aus dem Marakwet-Distrikt lieben ihn, verehren ihn. Und die jungen Burschen wollen schon bald so sein wie er: so schnell und so erfolgreich. Daheim wird er ihnen von den großen Sportfesten erzählen, die sie nur vom Hörensagen kennen, von den vielen Flügen, die ihn querbeet über die Erdkugel geführt haben.
Schlummernde Löwenkräfte
Dann spricht er Kiswahili, eine Bantu-Sprache. Ist er aber in Europa unterwegs, als Reisender, der sich seinen Unterhalt durch die Lauferei verdient, parliert Chebii in Englisch und steht den Journalisten, die ihn mit neugierigen Fragen überschütten wie in Rom und auch in Gateshead, bereitwillig Rede und Antwort.
Keck und frech, wie es seinem Naturell entspricht, kündigte er in Rom weitere Glanztaten an. "Ich kann den Weltrekord brechen", erklärte Abraham Chebii voller Selbstbewusstsein, "es ist durchaus möglich, eine 12:35 zu laufen." Mit seinen 63 Kilo, die sich auf 1,72 Meter Körperlänge verteilen, traut man ihm, der rein figürlich einem schmalen Handtuch gleicht, solche Zeiten gar nicht zu. Doch in diesem grazilen Körper, da sind sich alle einig, schlummern Löwenkräfte.