Sonja Oberem sagt dem Marathon adé
"Das war mein letzter Marathon, mein Abschied vom Hochleistungssport", erklärte Sonja Oberem (TSV Bayer 04 Leverkusen) gestern im Zielraum kurz hinter dem Brandenburger Tor vor laufender Fernsehkamera, nachdem sie den Berlin-Marathon als glanzvolle Dritte nach 2:26:53 Stunden beendet hatte. Im Ziel war sie zuerst ihrem jubelnden Vater Rolf Krolik in die Arme gefallen.
Sonja Oberem erklärte am Sonntag ihre Marathonlaufbahn für beendet (Foto: Chai)
Dieser war nicht nur ob ihres guten Laufes glücklich, sondern auch über den Abschied seiner Tochter vom Sport. Ob sie es wirklich Ernst meine mit dem Aufhören, wurde sie danach in der Pressekonferenz gefragt. "Ich habe mir das reiflich überlegt, bereits vor Berlin. Es fiel mir immer schwerer, mich zum harten Training aufzuraffen. Einmal muss Schluss sein." Und, fügte sie an: "Seid nicht traurig, ich bin ja nicht tot." Damit wollte sie vor allem zum Ausdruck bringen, dass sie dem Sport und dem Laufen sicher noch als ambitionierte Hobbyathletin erhalten bleibt.In den letzten Jahren ist die 31-Jährige, die in Mönchengladbach wohnt, stets zweigleisig gefahren. "Ich habe neben dem Sport mein BWL-Studium voll durchgezogen. Und soweit es meine Zeit zuließ, habe ich im Geschäft meiner Eltern mitgearbeitet." Hundert Jahre besteht dieses Geschäft im nächsten Jahr, Eisenwaren- und Holzgroßhandel steht auf dem Schild über dem Eingang. "Ich bin damit groß geworden. Meine Eltern wollten immer, dass ich später das Geschäft übernehme. Und dass auch mein Mann schon voll integriert ist, macht die ganze Sache natürlich noch runder."
Sonja Oberem gibt mit ihrem Rücktritt sogleich den jungen Sportlern einen Rat: "Es ist kurzsichtig, wenn man sich heute nur auf den Sport verlegt. Es ist wichtig, dass man sich nebenbei auf seine berufliche Zukunft vorbereitet. Später fragt niemand danach, ob jemand eine 2:23 im Marathon gelaufen ist."
Vom Triathlon zum Marathon
Aber natürlich hat ihr der Sport auch Spaß gemacht, sonst wäre sie nicht 14 Jahre dabeigeblieben. Ohne Wehmut blickt die für den TSV Bayer 04 Leverkusen startende Marathonläuferin deshalb auf ihre sportliche Karriere zurück.
Angefangen hatte alles im Triathlon, dort erwarb sie sich als Juniorin auch ihre Hitzefestigkeit. Doch dann folgte der Wechsel zum Marathon, den ersten lief sie 1993. Ihren größten Erfolg landete sie 2002 in München bei der EM mit dem dritten Platz. Zuvor hatte sie gerade bei internationalen Höhepunkten stets vordere Platzierungen belegt, so als Olympia-Achte 1996, als WM-Fünfte 2001 und auch als WM-Siebte 1997 in Athen.
NOK lehnte Athen-Start ab
Zu gern wäre sie bei Olympia in Athen nochmals an den Start gegangen, doch das deutsche Nationale Olympische Komitee (NOK) spielte nicht mit und lehnte den DLV-Ausnahmeantrag ab.
Im Winter hatte Sonja Oberem wegen eines Ermüdungsbruches in der Leiste nicht trainieren können. So musste sie auf einen Start in Hamburg verzichten. Beim Marathon in Wien lief sie bei schlechten Witterungsbedingungen mit 2:30:58 Stunden knapp an der deutschen Norm (2:30:00 h) vorbei. Der DLV verlangte deshalb vier Wochen danach noch einen Leistungsnachweis im Halbmarathon. Die geforderte Zeit von 1:14 Stunden verfehlte sie auf einer "Cross-Strecke" in Leverkusen um 17 Sekunden. Aber trotzdem wurde Sonja Oberem vom DLV für Athen vorgeschlagen, ein Extra-Brief an das NOK geschrieben.
Die Antwort zog sich sechs Wochen lang hin, dann kam das Nein. "Ich musste das akzeptieren, doch das lange Zögern war unnötig. Aber, und so denke ich heute, vielleicht hat mir das NOK sogar einen Gefallen getan, weil es mich vor dem Hitzemarathon in Athen bewahrte."
Und gerade nach dem Berliner Lauf kann man ihr da durchaus zustimmen. Im Nachhinein schätzte sie, dass sie in Athen so im Bereich von Platz acht bis zehn gelandet wäre. Damit wäre sie vielleicht in die allgemeine Schelte gegen die deutschen Leichtathleten einbezogen worden.
In zwei Stunden umgepolt
Sonja Oberem bekam am 19. Juli die Absage vom NOK und zwei Stunden danach meldete sie sich beim Berliner Marathonchef Mark Milde und teilte ihm mit, dass sie in Berlin laufen wolle. Der Renndirektor griff freudig zu.
Die Leverkusenerin nutzte die Form aus der Vorbereitung auf Athen: "Bis zu 230 Kilometer habe ich pro Woche trainiert. Danach war es allerdings nicht einfach, die Form noch zu halten." Aber am Ende stand sie glücklich in Berlin auf dem Treppchen, strahlte wie selten und genoss den Beifall des Publikums. Wohl ein letztes Mal.
Zweifel an Paula Radcliffe
Ihre eigenen sportlichen Möglichkeiten hat sie wahrscheinlich nicht voll ausgeschöpft, und das nicht nur wegen ihres Studiums und ihrer Mitarbeit im elterlichen Geschäft. "Ich habe nie Höhentraining gemacht, nur in Mönchengladbach oder in Leverkusen, wo mein Trainer Paul Heinz Wellmann arbeitet, trainiert. Das Höchste der Gefühle waren Trainingslager auf Mallorca und im holländischen Texel. Aber was hätte es mir gebracht, wenn ich nun zum Abschluss auf eine Zeit von 2:23 zurückblicken würde und nicht auf meine Bestzeit von 2:26:13 Stunden?"
Und da schlägt sie gleich die Brücke zum bestehenden Weltrekord von 2:15:25 Stunden durch die Britin Paula Radcliffe: "Ich glaube nicht, dass es mit normalen Mitteln möglich ist, eine solche Zeit zu laufen. Ich weiß nur, was ich für meine 2:26 getan habe. Sicher wäre es mit Höhentraining noch einige Minuten schneller gegangen. Aber 2:15 ist außerhalb meiner Vorstellungen."
Klare Vorstellungen aber hat Sonja Oberem von ihrem künftigen Leben. "Familie und Geschäft werden mich voll ausfüllen. Aber dem Sport gehe ich natürlich nicht ganz verloren. In meinem Verein TSV Bayer 04 Leverkusen werde ich weiter mitarbeiten, und einige Läufe werde ich auch noch bestreiten. Aber keinen Marathon mehr auf solch hohem Niveau."
Das Fazit: Die deutsche Leichtathletik hat eine ihre beständigsten und erfolgreichsten Athletinnen verloren.