Spannende Sprints - Chambers versus Obikwelu
Und wieder stellt sich die Frage nach dem schnellsten Mann Europas. Angeboten haben sich dafür schon Einige – und nicht nur die Etablierten. Mit dem Junioreneuropameister und Halbfinalist bei den Weltmeisterschaften des vergangenen Jahres tritt der 20jährige Marc Lewis-Francis (GBR; SB 10,04 s) wieder einmal ins Rampenlicht.
Ist Dwain Chambers zur EM wieder topfit? (Foto: Kiefner)
Schon bereits bei den Titelkämpfen in der Halle gehört der junge Sprinter zu den Mitfavoriten, wurde dort allerdings noch von Jason Gardener (GBR) geschlagen. Sein bisher stärkster Gegner, der vier Jahre ältere Dwain Chambers (GBR; SB 10,03 s) und Fünfter der WM in Edmonton, wird jedoch mit Sicherheit nicht leicht zu bezwingen sein. Immerhin hatte er schon die nötige Lockerheit, auch gegen einen Maurice Greene (USA) zu gewinnen und wird sich dieses Jahr mit Sicherheit nicht wieder mit der Silbermedaille zufrieden geben wollen.
Darren Campbell (GBR), der amtierende Europameister, hatte dieses Jahr Mühe, sich gegen seine beiden Landsmänner durchzusetzen. Jedoch auch ihm wäre durchaus zuzutrauen, für die Meisterschaften noch einmal eine Leistungsreserve auszupacken.
Überraschend kam da die Nachricht von den Commonwealth-Games, bei denen alle drei britischen Sprinter nur die Plätze sechs bis acht belegten, nachdem vor allem Lewis-Francis und Chambers als große Medaillenhoffnungen gehandelt wurden. Verletzungsbedingt mussten die beiden aufgeben, nur Jason Gardener, der allerdings nicht über die Einzelstrecken an der Start gehen wird, kam heil über die Ziellinie.
Für Marc Lewis-Francis sieht es daher momentan schlecht aus.
Die Erstdiagnose war ein Muskelfaseranriss, was bedeuten würde, dass er die Reise nach München nur als Zuschauer antreten kann. Chambers hatte da mehr Glück. Er "merkte einen Krampf" und beendete das Rennen frühzeitig. Sein Start ist nach Meinung der Ärzte jedoch nicht gefährdet.
Was kann der nigerianische Portugiese?
Doch die Briten haben einen ernstzunehmenden Konkurrenten bekommen – und der ist kein "echter" Europäer. Der gebürtige Nigerianer Francis Obikwelu (SB 10,09 s), der in diesem Jahr das Startrecht für Portugal erhalten hat, wird sich nicht leicht übersprinten lassen.
Sollte das frühzeitige EM-Aus für den Youngster Lewis-Francis bestätigt werden, wird die Entscheidung wohl zwischen Chambers und Obikwelu ausgetragen. Doch wie schwer ist die Verletzung des Briten einzuschätzen? Schon ohne diese Frage im Raum ist die Entscheidung mehr als offen.
Als einziger direkt qualifizierter deutscher Starter ist der Wattenscheider Marc Blume im Feld vertreten. Der Halleneuropameister von 1996 hat sich mit seinen 10,23 Sekunden von den Deutschen Meisterschaften für mehr als bei den letzten internationalen Titelkämpfen empfohlen, die für ihn bisher immer das Aus in den Vorrunden bedeutete. Seine 10,12 Sekunden vom Bayer Meeting am vergangenen Wochenende unterstreichen trotz des ungültigen Rückenwindes seine gute Form. Zu einer Prognose wollte er sich im Vorfeld trotz allem nicht hinreißen lassen – für ihn dürfte jedoch der Einzug ins Halbfinale möglich sein.
Der für das LAZ Salamander-Kornwestheim-Ludwigsburg startende Marc Kochan wurde bisher nur als Ersatzmann für die 4x100m-Staffel eingeplant. Bundestrainer Uwe Hakus sprach sich deshalb im Vorfeld dafür aus, ihn über die 100 Meter ins Rennen zu schicken. Mit seiner diesjährigen Bestleistung von 10,33 Sekunden sind jedoch die Aussichten auf weitere Runden limitiert.
200 METER
Konstadinos Kederis wieder in Höchstform?
Auch die 200 Meter werden momentan augenscheinlich von den Briten beherrscht. Die Polen konnten nach deren erfolgreicher Hallensaison noch keine Akzente in diesem Jahr setzten. Marcin Urbas (POL; SB 20,40 s), der Halleneuropameister von 2002, ist der einzige, der an die davoneilenden Briten Anschluss halten kann. Der Krakauer war 1999 der dritte Europäer überhaupt, der die magische 20-Sekunden-Grenze unterbot.
Ein klarer Goldkandidat lässt sich im Vorfeld jedoch nicht benennen.
Und wer anderes als der Olympiasieger und Weltmeister Konstadinos Kederis (GRE; SB 20,18 s) könnte den Briten ordentlich einheizen?
Obwohl sich der Grieche im bisherigen Saisonverlauf nicht oft gezeigt hat, ist zu erwarten, dass er in München wieder zu Bestform auflaufen wird – zumal er schon recht früh seine europäische Jahresbestleistung aufgestellt hat.
Genau wie über die 100 Meter drängt sich auch hier Francis Obikwelu (POR; SB 20,26 s) in der Entscheidung um die Medaillen auf. Immerhin ist er der zweitbeste Europäer in 2002.
Das Vereinigte Königreich wartet dabei mit Darren Campbell (SB 20,52 s), Christian Malcom (SB 20,53 s) und dem Sieger des Europacups Marlon Devonish (SB 20,27 s) auf. Malcom und Campbell sind dabei allerdings nicht die schnellsten Insulaner in diesem Jahr. Chambers (GBR; SB 20,27 s) wird sich auf die 100 Meter konzentrieren und Chris Lambert ist nach seinen 20,37 Sekunden aus dem Juni nicht mehr aufgetaucht und wurde auch nicht vom britischen Verband nominiert.
Ein britischer Dreifachsieg wie bei den Europameisterschaften von 1998 ist dieses Jahr wohl eher nicht zu erwarten.
Die Schlacht um die Medaillen sollte also zwischen Devonish, Kederis, Obikwelu und Urbas entschieden werden.
Alles Otto, oder was?
Der Deutsche Meister Marc Blume wird die Deutschen Farben über 200 Meter nicht vertreten. Blume wurde nur noch für die 4x100 Meter nominiert. Im Sinne einer möglichst erfolgreichen Staffel wäre eine Dreifachbelastung im Rahmen einer EM nicht tragbar. Diese Entscheidung ist durchaus nachvollziehbar, denn Blume befindet sich mit seiner Zeit der DM (SB 20,87 s) nicht innerhalb der Top 30 in Europa. Die Ausgangssituation ist für ihn daher nicht so aussichtsreich wie über die 100 Meter.
Auf keinen Fall verzichten möchte jedoch der deutsche Europacup-Starter – der Erfurter Steffen Otto. Nach kurzer Formschwäche in Annecy zeigte er bei der DM jedoch wieder alte Stärke und empfahl sich dort im direkten Vergleich für die EM.
Zielsetzung für ihn ist nach eigener Aussage, seine Nominierung zu rechtfertigen und dabei an seine persönliche Bestleistung von 20,81 Sekunden heranzulaufen. Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen heißt also die Devise – denn die geforderte EM-Norm war 20,80 Sekunden. Wie weit er mit persönlicher Bestleistung kommen würde, wird sich zeigen. Grundsätzlich ist der Einzug in die nächste Runde, die gleich das Habfinale bedeutet für ihn eine lösbare Aufgabe. Seine 21,31 Sekunden von Leverkusen sollten dabei nicht überbewertet werden. Otto befand sich erst kürzlich noch im Vorbereitungstrainingslager im Ostseebad Zinnowitz und scheint von dort noch etwas Müdigkeit mitgenommen zu haben.
4x100 METER
Endlich Edelmetall für Deutschland?!
Die deutsche 4x100-Meter-Staffel, die in den vergangenen Jahren eher als Sorgenkind in der deutschen Leichathletiklandschaft gewertet wurde, hat dieses Jahr nun endlich die Möglichkeit, allen Kritikern das Gegenteil zu beweisen. Bereits bei den letztjährigen Weltmeisterschaften war diese Möglichkeit vorhanden. Dort wurden jedoch die Hoffnungen durch einen Wechselfehler im Vorlauf zu Nichte gemacht. Die guten Einzelleistungen der aktuellen Staffelläufer reichen also noch nicht aus, um gut dabei zu sein, auch die Wechsel müssen funktionieren.
Der DLV, sprich Bundestrainer Uwe Hakus, hat die Staffel in der Besetzung des Europacups aufgestellt. In der Reihenfolge Ronny Ostwald, Marc Blume, Alexander Kosenkow (alle TV Wattenscheid 01) und Thomas Müller (ABC Ludwigshafen) erhofft man sich eine Medaille im Finale am 11. August.
Diese Hoffnungen sind durchaus berechtigt und die entsprechende Leistung wurde bereits beim Europacup gezeigt. In 38,88 Sekunden stürmte dort das deutsche Quartett als Zweite über die Ziellinie und schob sich dabei gleichzeitig auf Platz zwei der Europäischen Bestenliste. Da nicht viele Nationen bei der Europameisterschaft hinzustoßen werden, könnten sich nun im eigenen Land die Medaillenhoffnungen erfüllen.
Briten mit Goldabo
Das Gold-Abo halten jedoch die Briten in der Hand. Erwartet stark zeigten sie sich bereits beim Europacup. An deren Vormachtstellung dürfte nicht zu rütteln sein. Doch für die beiden verbleibenden Podestplätze sollte ein heißer Kampf anstehen.
Wer wird diesen für sich entscheiden? Ein erstarktes deutsches Team gehört mit auf die Rechnung, aber nur, wenn sie die Nerven behalten.
Die Griechen zaubern immer gerne einen Sprinter aus dem Ärmel und in Kombination mit 200m-Olympiasieger Kederis und dem 10,20-Sprinter Aristotelis Gavelas ergibt sich schon ein weiterer ernstzunehmender Gegner – wenn man die Einzelzeiten der Sprinter miteinander vergleicht.
Die Italiener (38,89 s) folgen der deutschen Mannschaft in der europäischen Bestenliste nur im Abstand einer Hundertstel-Sekunde.
Ein spannendes Finale ist also zu erwarten. Aber die Staffelläufe wären nicht die Staffelläufe, wenn es nicht pro Mannschaft mindestens drei Möglichkeiten geben würde, den Stab zu verlieren oder die Wechselräume zu überlaufen. Wir dürfen gespannt sein.