| Wissenschaftliche Kooperation III

Sprint: Schrittlänge entscheidet über Final-Teilnahme

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) hat viele trainingswissenschaftliche Partner, die mit ihren Analysen einen Beitrag zum Erfolg der Top-Athleten leisten. In einer dreiteiligen Serie stellen wir die Arbeit einiger Trainingswissenschaftler genauer vor. Heute: Dr. Ralf Buckwitz. Der Biomechaniker vom Olympiastützpunkt (OSP) Berlin nimmt Starts, Technik und Staffel-Wechsel des deutschen Sprint-Teams unter die Lupe.
Pamela Lechner

Schon seit 1995 ist Dr. Ralf Buckwitz trainingswissenschaftlicher Begleiter der DLV-Sprinter. Seit 2000 betreut der Berliner OSP-Koordinator der Sportverbände auch die deutschen Sprint-Staffeln und hilft, mit seinen Analysen die Wechsel zu optimieren. Kommenden Montag fliegt der 56-Jährige ins Vorbereitungscamp nach Japan. Bei den bevorstehenden World Relays in Yokohama (Japan; 11./12. Mai) gehe es um extrem viel, sagt der Biomechaniker. Die DLV-Staffeln wollen sich für die WM in Doha (Katar) qualifizieren.

Ralf Buckwitz reist etwas später an als die Athleten. „Trainingswissenschaftler sind hart im Nehmen, die brauchen keine Zeitanpassung“, scherzt er. Seiner Arbeit mit dem deutschen Sprint-Team geht der Wissenschaftler mit Leidenschaft nach: „Das sind alles total nette Typen, sowohl die Trainer als auch die Athleten. Sie reflektieren, stellen Fragen und interessieren sich für die wissenschaftlichen Auswertungen. Wenn Erfolg dazu kommt, macht es noch mehr Spaß.“

Bremsstoß reduzieren, Technik-Vorbild Yohan Blake

In seinem Fokus steht die Analyse der Kinematik des Sprint-Schrittes bei maximaler Geschwindigkeit. „Eine grundlegende Herausforderung im Sprint ist das Minimieren von Brems-Widerständen beim Aufsetzen des Fußes“, erklärt der Berliner. Jeder Bodenkontakt versetzt dem Sprinter einen Bremsstoß, bei dem Energie verloren geht, die durch Beschleunigungsarbeit ausgeglichen werden muss. Je kleiner er den Bremseffekt halten kann, desto schneller kann der Athlet laufen.

Entscheidend bei diesem Vorgang ist der richtige Fußaufsatz. Der Fuß kann aber nur mit einer bestimmten Geschwindigkeit an einer gewünschten Stelle aufsetzen, wenn der Bewegungsablauf vorher optimal abgelaufen ist. Was die Sprint-Technik betrifft, so ist noch immer der Jamaikaner Yohan Blake ein Vorbild. Der 100-Meter-Weltmeister von 2011 weist von seiner Statur und seinen körperlichen Voraussetzungen Ähnlichkeiten mit den deutschen Sprintern auf.

Die angestrebte Technik nennt sich „frontside mechanics“: Ober- und Unterschenkel sollen vor dem Körper maximal beschleunigen, so dass die Hüftstreckung durch die ischiocrurale Muskulatur der Oberschenkelrückseite einen Antrieb nach vorne produziert. Und dabei gleichzeitig möglichst wenig Bremsstoß entsteht.

Reaktives Fußgelenk macht schnell

Doch wie in anderen Disziplinen auch, gibt es nicht die eine optimale Technik für alle. Die Sportler bringen verschiedene Kraftvoraussetzungen und Hebellängen von Ober- und Unterschenkeln mit. „Wer kräftiger ist und lange Beine hat, hat eine andere optimale Sprint-Technik als jemand, der kleiner ist und frequenter läuft“, weiß Ralf Buckwitz.

Grundsätzlich brauchen starke Sprinter ein schnelles, reaktives Fußgelenk. Der Bänder- und Sehnen-Apparat sollte so ausgeprägt sein, dass die Energie beim Bodenkontakt gespeichert und wieder abgegeben werden kann. Eine körperliche Mindestgröße braucht man zum Erreichen einer bestimmten Schrittlänge, speziell bei den Männern. Bewegungstalent und Grundschnelligkeit verstehen sich von selbst.

Maximale Schrittlänge bei vernünftiger Technik

Um noch schneller zu werden, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erhöht die Schrittlänge oder die Schrittfrequenz, bei der es allerdings Grenzen gibt. Tendenziell liegen die Ambitionen im Männer-Sprint in der Optimierung der Schrittlänge. Ohne eine bestimmte Schrittlänge in Relation zur Körpergröße hat man keine Chance, in ein internationales Einzel-Finale einzuziehen.

Rein mechanisch betrachtet sind die Schritt-Frequenzen der DLV-Sprinter mit denen der weltbesten Athleten aus Jamaika und USA vergleichbar. Der entscheidende Unterschied liegt in der Schrittlänge – was wahrscheinlich vor allem daran liegt, dass die Weltklasse-Sprinter mehr Schnellkraft haben, von der wiederum die Schrittlänge abhängt.

Daher ist es oberstes Ziel, eine maximale Schrittlänge bei vernünftiger Sprint-Technik zu erreichen. „An diesen Grundsätzen arbeiten wir genauso gut wie die Jamaikaner und Amerikaner“, berichtet Ralf Buckwitz. Insgesamt sind die Fortschritte der letzten Jahre im deutschen Männersprint durch die bessere Schrittlänge erreicht worden, bei den DLV-Sprinterinnen individuell unterschiedlich sowohl durch eine verbesserte Schrittlänge als auch eine höhere Schrittfrequenz.

Gina Lückenkemper als Zugpferd

„Besonders bei den Frauen haben wir eine große Anzahl an Talenten und mehrere Athletinnen, die in der Lage sind 11,00 Sekunden oder schneller zu laufen“, sagt Ralf Buckwitz. Schon gelungen ist das der EM-Dritten über 100 Meter Gina Lückenkemper (SCC Berlin; 10,95 sec), die ein riesiges Bewegungstalent sei. „Gina beherrscht es kolossal gut, den Bremsstoß klein zu halten. Das ist ein wesentlicher Grund, warum sie so schnell ist.“

Und die zweifache EM-Medaillengewinnerin strahlt als Vorbild auf die anderen Sprinterinnen aus. „Wenn man so ein Technikmodell wie bei Gina hat, das so gut funktioniert, dann beeinflusst das auch andere Sprinterinnen.“ So nehmen viele junge Athletinnen eine positive Entwicklung. Aber auch bei den Männern gab es in den letzten Jahren Erfolge mit Zeiten von unter 10,10 Sekunden wie vom Deutschen Rekordler Julian Reus (LAC Erfurt TopTeam).

Arbeit am Tiefstart

Neben der Analyse des Sprint-Schrittes und der Staffel-Wechsel steht auch der Start im Fokus des Trainingswissenschaftlers. Bei Tief-Starts mit maximaler Geschwindigkeit werden Schrittlängen und Schrittfrequenzen gemessen sowie der Kniehub und der Abstand zwischen Fußaufsatz und Körperschwerpunkt. Mit hohem Kniehub kann man eine größere Schrittlänge erzielen.

Dies alles sind Routine-Messungen, um die Entwicklung der Sportler beobachten zu können. „Wir erfinden nichts Neues“, betont der Biomechaniker. „Der Trainer hat eine Idee davon, wie sein Athlet sprinten soll, und wir geben ihm Informationen darüber, ob die Zielstellung umgesetzt wurde.“ Zum Vergleich sind die Werte von Rekordläufen (zum Beispiel über 30 m fliegend) gespeichert.

Einen Wandel gab es in den letzten Jahren bei den Trainingsmethoden und der Einstellung zum Sprinten. Das Verhältnis von Umfang und Intensität hat sich im Training deutlich verändert. Das alte Motto „viel hilft viel“ ist im Kurzsprint überholt. Wichtig ist, dass sich die Athleten zur Optimierung der Technik in der Ziel-Geschwindigkeit bewegen. Und das geht nur, wenn sie ausgeruht sind. Spritzigkeit ist also nicht ausschließlich im Wettkampf gefragt.

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