Steffen Brand - "Selbstkritische Analyse fehlt"
Heute betreibt Steffen Brand eine orthopädische Gemeinschaftspraxis in Lüneburg. Anfang der 1990er Jahre war der 45-Jährige einer der besten deutschen Hindernisläufer, wurde WM-Vierter, Fünfter bei Olympischen Spielen und schraubte 1995 seine Bestleistung auf 8:14,37 Minuten. Im Interview mit leichtathletik.de spricht der dreimalige Deutsche Hindernismeister über sein Training, die Doppelbelastung aus Sport und Medizinstudium und die fehlende selbstkritische Analyse der deutschen Läufer.

Das war mit acht Jahren. Zum Laufen kam ich dann mit 13 Jahren. Das war dann die Zeit, ab der ich gezielter trainiert habe.
Bei vielen Athleten ist der Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter schwierig. Bei Ihnen war dies nicht so. Wie sah die Entwicklung der Trainingshäufigkeit von der Jugend zu den Erwachsenen aus?
Steffen Brand:
Mit zwölf Jahren habe ich zweimal pro Woche trainiert. Dann hat sich die Trainingshäufigkeit sukzessive gesteigert. Als ich 17 war, kam ich auf sieben Trainingseinheiten pro Woche. 1990 war ich dann bei neun Trainingseinheiten, und als ich dann 1992 zum Hindernislauf gewechselt bin, habe ich schon zehn- bis zwölfmal in der Woche trainiert. Das habe ich dann zu meinen besten Zeiten bis 1996 auch so beibehalten. Im Trainingslager kamen dann schon auch mal 14 Einheiten zusammen, aber wirklich nur im Trainingslager.
Waren Sie eher ein Athlet, der hohe Kilometerumfänge gelaufen ist, oder haben Sie von Ihrer Schnelligkeit auf den kürzeren Distanzen profitiert?
Steffen Brand:
Schnelligkeit ist vielleicht ein zu starkes Wort – ich war ja kein Sprinter, aber ich war schon eher der Kraft-Ausdauer-Typ, der über die Unterdistanzen und die Schnelligkeit und nicht über hohe Umfänge gekommen ist.
Wie viele Kilometer sind Sie denn in der Woche gelaufen?
Steffen Brand:
Im Spitzenbereich waren es bis zu 180 Kilometer, aber im Jahresschnitt waren es deutlich weniger. Da kamen im Durchschnitt um die 110 Kilometer pro Woche zustande.
Woran liegt es, dass viele deutsche Nachwuchsläufer zwar in der Jugend gut mithalten können, aber dann bei den Erwachsenen zumeist chancenlos sind?
Steffen Brand:
Als Außenstehender ist dies natürlich schwer zu beurteilen, allerdings habe ich einen gewissen Einblick, weil ich an der Betreuung von Steffen Uliczka mitwirke. Mein Eindruck ist, dass häufig die selbstkritische Analyse fehlt, bei der knallhart Stärken und Schwächen gesucht werden. Im zweiten Schritt müssen die Athleten dann natürlich an ihren Schwächen arbeiten, ohne die Stärken zu verlieren.
Wie sollte so eine Analyse denn konkret aussehen?
Steffen Brand:
Man muss sich nach einer Saison hinsetzen und schauen, ob man seine Ziele erreicht hat oder nicht. Dann muss man einen Blick auf das Training werfen und schauen, was nicht funktioniert hat, was man verändern muss. Wenn ich meine Ziele nicht erreicht habe, kann ich jedenfalls nicht einfach weitermachen wie zuvor.
Beschreiben Sie doch einmal Ihr eigenes Training in den 90er-Jahren.
Steffen Brand:
Ich habe drei bis vier Tempo-Einheiten pro Woche gemacht. Viele davon im Gelände oder am Berg oder in Form von Tempodauerläufen. Das übrige Training bestand vor allem aus Dauerläufen. Auf der Bahn waren wir im Winter so gut wie gar nicht, im Sommer dann natürlich aber häufig.
Was haben Sie zwischen Ihren Trainingsprogrammen für eine schnellere und bessere Regeneration unternommen?
Steffen Brand:
Das hat ein bisschen variiert. Zu meiner Leverkusener Zeit lag der Schwerpunkt vor allem auf der passiven Regeneration in Form von Physiotherapie. Mir war aber immer auch wichtig, dass ich aktive Regeneration in Form von alternativem Training einbaue, also vor allem Aquajoggen und Schwimmen. Während meiner Zeit beim TV Wattenscheid habe ich auch regelmäßig das Entmüdungsbecken genutzt, und im Winter bin ich regelmäßig in die Sauna gegangen.
Wie oft waren Sie im im Jahr im Höhentrainingslager?
Steffen Brand:
Höhentrainingslager habe ich zweimal ausprobiert. 1988 war ich in St. Moritz in der Schweiz und 1994 in Flagstaff in den USA. Es hat aber beide Male bei mir nicht so richtig funktioniert.
Sie waren nicht nur im Hindernislauf erfolgreich, sondern konnten auch über 1.500 Meter (3:37,85 min) und 5.000 Meter (13:29,25 min) gute Zeiten vorweisen. Wie war Ihre Wettkampfgestaltung im Hinblick auf Über- und Unterdistanzen?
Steffen Brand:
Ich bin zumeist direkt nach dem Frühjahrs-Trainingslager mit einer Überdistanz in die Saison eingestiegen. Meist bin ich 5.000 Meter gelaufen. Im weiteren Verlauf der Saison habe ich versucht, durch Unterdistanz-Rennen über 1.500 Meter die nötige Schnelligkeit zu bekommen. Ich bin also meistens relativ viele Rennen abseits meiner Hauptstrecke gelaufen, um dann optimal vorbereitet in die wichtigen Rennen über 3.000 Meter Hindernis zu starten.
Zu Ihrer Zeit waren Crossläufe beliebter als heute. Welchen Stellenwert hatten für Sie im Winter der Crosslauf und die Hallensaison?
Steffen Brand:
Ich bin immer sehr gerne Cross gelaufen. Von 1992 bis 1996 habe ich zudem immer auch noch eine Hallensaison mit Rennen über 1.500 Meter und 3.000 Meter bestritten.
Ein Training auf hohem Leistungsniveau erfordert viel Zeit und viele Opfer. Was haben Sie neben dem Training gemacht und wie haben Sie das vereinbart?
Steffen Brand:
Ich habe Medizin studiert und habe das Studium 1993 abgeschlossen. Von 1994 bis 1996 habe ich neben dem Leistungssport bereits als Arzt gearbeitet. Während meiner Studienzeit fand ich die Doppelbelastung aus Sport und Studium eigentlich gar nicht so schwierig, weil man Trainingszeiten und Lernzeiten ganz gut abstimmen konnte. Vor wichtigen Examensprüfungen habe ich mir dann einfach auch mal ein Semester mehr genommen. Ansonsten hatte ich dank der Sporthilfe die Möglichkeit, während der Wettkampfsaison nur die halbe Zeit zu arbeiten. Im Winter hatte ich allerdings eine volle Stelle.
Was war für Sie der Reiz des Hochleistungssports im Erwachsenenalter? Sie hätten ja auch Studium und Beruf alleine in den Mittelpunkt rücken können, nachdem Sie der Jugendklasse entwachsen waren ...
Steffen Brand:
Der Sport und der Wettkampf an sich ist faszinierend. Auch die Freude am Laufen selbst war immer groß. Außerdem hatte ich eine tolle, erfolgreiche Trainingsgruppe, die mich immer motiviert hat und mit der das Training immer Spaß machte. Zudem war ich schon recht früh das erste Mal Deutscher Junioren-Meister und fortan ging es immer weiter bergauf, sodass es keinen Grund gab, aufzuhören. Letztendlich war es der Erfolg, der mich motiviert hat, immer weiterzumachen.
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