Kenia macht mobil für die Cross-WM
Die Trials sind gelaufen. Auf der Rennbahn von Ngong, vor den Toren von Nairobi, rannten die Kenianer um die Tickets für die "31. World Cross Country Championschips, die vom 29. – 30. März in Lausanne-La Broye ausgetragen werden. Nach Abschluss der Veranstaltung warf Mike Kosgei einen Blick in die Zukunft. "In der Schweiz wollen wir wieder die Nationenwertung gewinnen", erklärte der Cheftrainer der kenianischen Auswahl, "und natürlich träume ich vom Titel auf der Langstrecke." Denn das ist die "Königsdisziplin", die sie in den letzten 17 Jahren gleich zwölfmal gewonnen haben.
Sammy Kipketer ist einer der kenianischen Trümpfe
John Ngugi, 1988 in Seoul Olympiasieger über 5000 Meter vor Dieter Baumann, war fünfmal erfolgreich, William Sigei zweimal. Paul Tergat sammelte fünf Goldmedaillen hintereinander. Doch dann kam Mohamed Mourhit, ein Marokkaner mit belgischem Startpass, der den Ostafrikanern in Vilamoura 2000 und in Ostende 2001 urplötzlich die Schau gestohlen hat. Mittlerweile ist er gesperrt: wegen Doping-Missbrauchs. Auf Mourhit folgte der kleine Äthiopier Kenenisa Bekele, 20 Jahre jung, der vor einem Jahr in Dublin gleich zwei Mal triumphierte: auf der Mittel- und auch auf der Langdistanz. Er hatte sie geradezu vorgeführt, dass selbst ein Richard Limo und ein Charles Kamathi, der eine Weltmeister über 5.000 m, der andere über 10.000 m, von diesem unerschrockenen Tempobolzer gedemütigt wurden.Die Kenianer sind jetzt gewarnt. "Auf Kenenisa Bekele", weiß der 50-jährige Kosgei, "müssen wir besonders aufpassen." Noch vor zwölf Monaten, bei der WM in Irland, huschten ungläubige Blicke durch den Zielbereich. In den Gesichtern der sieggewohnten Funktionäre Kenias spiegelte sich Ratlosigkeit wieder ob der Niederlage gegen den aufmüpfigen Äthiopier, der ihre Dominanz scheinbar mühelos durchbrochen hatte. Kosgei konnte es nicht fassen: "Dieser Junge", klagte er, "war für uns zu stark."
Mike Kosgei, der alte Fuchs
Mike Kosgei ist ein alter Fuchs. Er zählt zur Generation eines Henry Rono, der im Sommer 1978 vier Weltrekorde aufstellte und als "Mann, der nicht langsam laufen kann" berühmt wurde. Wie Rono studierte Kosgei an der Washington State University in Pullman, im Nordwesten der USA. Als Walter Abmayr, ein Weltenbummler aus Heidelberg, der in Nigeria, Ghana und dann auch in Kenia Entwicklungshilfe leistete, seinen Job als Cheftrainer der Leichtathleten, den er von 1980 bis 1984 ausübte, quittierte, trat Kosgei in dessen Fußstapfen und sorgte von 1985 bis 1994 als Nationalcoach für eine wahre Medaillenflut bei den internationalen Großereignissen, so dass die Läufer Kenias sehr schnell zum Exportschlager wurden.
Aber im Mai 1995, wenige Wochen nach der Cross-WM in Durham, wo seine Schützlinge in allen vier Mannschaftswertungen die Nase vorn hatten, wurde er gefeuert. Mike Kosgei hatte sich mit der "Kenyan Amateur Athletic Association" (KAAA) angelegt und tollkühn angeregt, dass man die Aktiven künftig in die Planung mit einbeziehen müsse. Isaiah Kiplagat, der KAAA-Präsident, befürchtete eine Revolte und schimpfte erbost, dass Kosgei "eine weitere Büchse mit Würmern" geöffnet habe. Mit einem zielsicheren Fußtritt beförderte er den "Revoluzzer" aus seinem Amt. In seinem Stolz verletzt, suchte Kosgei das Weite, arbeitete drei Jahre in Finnland, der Heimat von Paavo Nurmi, und musste tatenlos mit ansehen, wie seine Nachfolger sich redlich, aber vergeblich mühten, sein Erbe ähnlich erfolgreich fortzuführen.
Auf dem Chefsessel zurück
Nach Sydney, wo der Erzrivale Äthiopien vier Goldmedaillen eroberte und Kenia nur zwei, kehrte er auf seinen Chefsessel zurück. Rechzeitig zur WM in Edmonton, wo Kosgei, der alte Fuchs, tief in die Trickkiste griff, dass selbst ein Wunderläufer wie Haile Gebrselassie seine acht Jahre währende Herrschaft über 10.000 Meter abrupt beendet sah. Charles Kamathi, der Jäger, hatte Gebrselassie, den Löwen, erlegt. Weil Richard Limo obendrein die 5.000 Meter gewann und Reuben Kosgei die 3.000 Meter Hindernis, wurde Kosgei hinterher als Meistermacher gefeiert.
John Cheruiyot Korir, Paul Koech, Sammy Kipketer sind diesmal seine Trümpfe im taktischen Pokerspiel mit Kenenisa Bekele.
Auf dem Kurs von Avenches in Lausanne-La Broye wollen die Seinen den Titelverteidiger stürzen. Sammy Kipketer und Richard Limo, in Dublin noch klar geschlagen, sinnen auf Revanche. Mike Kosgei ist zufrieden, dass die beiden die Qualifikationshürde locker übersprungen haben. "Ich kann besser mit einem Läufer über die Renntaktik sprechen, der schon gegen Kenenisa Bekele gelaufen ist, als mit einem Newcomer, der noch nie gegen ihn angetreten ist", sagte er in einem interview mit dem "East African Standard", "ich freue mich auch für Paul Koech, der seine Achillessehnenprobleme endlich überwunden hat." Dafür sind Charles Kamathi und Wilberforche Talel, 2002 in Dublin noch Dritter auf der Langstrecke, durchs Rost gefallen.
36 aus 44 Athleten
Nach den Cross-Trials in Ngong hat Kosgei insgesamt 44 Athleten im "Kigari Teachers College" um sich geschart, aus denen er schließlich 36, sechs pro WM-Wettbewerb, aussieben muss. In Embu wird er ihnen knapp vier Wochen lang ein wahnwitzig anmutendes Programm aufbürden. Mit drei Einheiten täglich, sonntags müssen sie nur einmal ran! Morgens um Sechs, in aller Herrgottsfrühe, stehen Dauerläufe auf dem Plan. Danach wird beim Frühstück reichlich aufgetischt. Dann folgt eine kurze Schaffenspause, sozusagen die Ruhe vor dem Sturm. Denn um zehn Uhr bittet Kosgei zum Härtetest: Fahrtspiel, Intervalle, Hügelläufe. All das, was muntere Läufer müde macht! Nachmittags ab 16 Uhr folgt ein "Long Jog", ein langer Lauf, wobei das Tempo zum Schluss stetig gesteigert wird. Summa summarum kommen pro Tag stramme 35 Kilometer zusammen.
Die jungen, mittellosen Burschen klagen nicht. Das tun sie nie. In Mike Kosgei sehen sie einen Freund, ihren Verbündeten, der ihnen hilft. Ohne zu murren, rennen sie wie die Büffel. Voller Aggressivität. Weil sie insgeheim davon träumen, so zu werden wie ihre Vorbilder. So schnell und so erfolgreich wie Paul Koech, der Ex-Weltmeister im Halbmarathon, Sammy Kipketer oder die beiden Limos, Richard und Benjamin, die zu den bekanntesten Namen im vorläufigen WM-Aufgebot zählen. Sie wollen die Welt erobern, wollen raus aus Kenia, einem der Armenhäuser Ostafrikas, in dem 30 Millionen Menschen bei einer Arbeitslosenquote von 60 Prozent ein trauriges Dasein fristen.
Ulrich Hörnemann
Ergebnisse
Nairobi (22.02.03), Cross-Trials
Männer, 12 km:
1. John Cheruiyot Korir 35:45
2. Paul Koech 36:02
3. Abraham Cherono 36:10
4. Sammy Kipketer 36:14
5. Patrick Ivuti 36:22
6. Richard Limo 36:15
7. John Korir 36:30
8. Tom Nyariki 36:41
9. Willy Chelal 36:45
10. Eric Rotich 37:00
Männer, 4 km:
1. John Kibowen 11:06
2. Thomas Kiplitan 11:08
3. David Kilel 11:14
4. Benjamin Limo 11:15
5. Mike Kipyego 11:17
6. Evans Kipchumba 11:17
7. Benjamin Maiyo 11:18
8. Elkana Angwenyi 11:19
9. Barnabas Kipkoech 11:20
10. Abraham Chebii 11:21
Juniorinen, 8 km:
1. Eliud Kipchoge 23:28
2. Moses Kimosop 23:29
3. Solomon Busiendich 23:34
4. Kipkorir Chepkwony 23:36
5. Augustine Choge 23:37
6. Barnabas Kosgei 23:42
7. Linus Chumba 23:58
8. Elias Kurgat 24:02
9. Moses Masai 24:20
10. Valentine Orare 24:24
Frauen, 8 km:
1. Alice Timbilil 26:56
2. Pamela Chepchumba 27:01
3. Jepkorir Aiyabei 27:12
4. Elizabeth Rumokal 27:16
5. Magdalene Chemjor 27:28
6. Caroline Cheptanui 27:35
7. Rose Chepyego 27:42
8. Monica Wangari 27:46
9. Rahab Ndungu 27:54
10. Catherine Ndereba 27:58
Frauen, 4 km:
1. Isabella Ochichi 13:00
2. Edith Masai 13:07
3. ivian Cheruiyot 13:10
4. Prisca Chepleting 13:14
5. Jane Gakunyi 13:15
6. Viola Kibiwot 13:17
7. Edna Kiplagat 13:20
8. Anne Wambui 13:22
9. Salome Chepchumba 13:24
10. Naomi Mugo 13:25
Juniorinnen, 5 km:
1. Jepchumba Koech 22:16
2. Emily Chebet 22:18
3. Penina Chepchumba 22:20
4. Chemutai Rionotukei 22:20
5. Gladys Chemweno 22:21
6. Sharon Kipsang 22:27
7. Mercy Kwambai 22:37
8. Terecia Wangui 22:43
9. Pauline Kakarwai 22:45
10. Mwende Katuvya 22:49