Steffi Nerius - „Athen war ein Goldwurf“
Steffi Nerius ist eine Bank in der deutschen Leichtathletik-Szene. Seit der Europameisterschaft 2002 verbucht die 35 Jahre alte Leverkusener Speerwerferin Jahr für Jahr bei den Saisonhöhepunkten ihre Medaille. Christian Fuchs hat mit der Europameisterin über diese Messlatte, den Olympischen Traum, Peking und Tibet sowie Gas geben und Spaß haben gesprochen.

Steffi Nerius rüstet sich für die Olympischen Spiele (Foto: Chai)
Steffi Nerius:
Ich habe die Messlatte selten auf Medaillenhöhe gelegt. Es ist immer mein Ziel, in einem Olympischen Finale Bestleistung zu werfen oder an meine Bestleistung heranzukommen, um für mich sagen zu können, dass ich das Beste aus dem Wettkampf herausgeholt habe. Natürlich ist das Ziel eine Medaille. Wenn ich seit sechs Jahren eine Medaille hole, wäre es blöd, wenn ich jetzt sage, ich will nur Vierte oder Fünfte werden. Sollte ich allerdings mit 67 Metern Vierte werden, dann hätte ich damit auch kein Problem.
Den Olympiasieg als solches in den Raum gestellt, wie sehr ist es für Sie ein Traum oder noch einmal ein Ziel?
Steffi Nerius:
Für jeden Leistungssportler ist es ein Traum. Für einige ist er realisierbar, für andere ist er utopisch. Ich glaube, ich war schon oft nah dran. Zum Beispiel 1996 in Atlanta, als der Sieg mit 67,94 Metern wegging und ich wenig später 68 und 69 Meter geworfen habe. Das war ärgerlich. Damals hätte ich meinen Traum schon erfüllen können. Sydney 2000 war für mich perfekt, damals habe ich im Finale Bestleistung geworfen und bin Vierte geworden. Damit war ich zufrieden. 2004 in Athen war es für mich rein emotional ein Goldwurf, das war für mich eigentlich meine Goldmedaille bei Olympischen Spielen, denn der erste Platz war utopisch. Damit hatte ich meinen Traum eigentlich auch schon fast erreicht. Dieses Jahr ist dieser Traum nicht unbedingt realistisch, wenn auch nicht utopisch. Aber damit befasse ich mich nicht. Realistisch gesehen wird es nämlich sehr, sehr schwer.
Stichwort Peking. Was geht Ihnen momentan schon durch den Kopf, wenn Sie daran denken?
Steffi Nerius:
Ich freu’ mich drauf. Daran, dass die Nominierung noch nicht hundertprozentig ist, verschwende ich nicht so große Gedanken. Es ist nicht wirklich das Thema, ob ich hinfahre. Ich hoffe, dass ich gesund bleibe und in Peking meine Leistung abrufen kann. Ich glaube, es wird von der Organisation top sein. Auch, was die Wettkampfstätten betrifft, wird es ein Highlight sein, das zu erleben, auch was architektonisch auf den Weg gebracht worden ist.
Wie erleben Sie die Problematik und laufende Diskussion um Tibet?
Steffi Nerius:
Man hatte schon im Vorfeld genug Möglichkeiten, sich dazu zu äußern. Das wird auch weiterhin so sein, weil diese Frage in jedem Interview vorkommt. Diese Chance werde ich auch nutzen, weil ich es nicht gutheißen kann, was dort passiert. Trotzdem will ich mich in Peking auf meinen Wettkampf konzentrieren.
Wie sehr fühlen Sie sich durch die IOC-Charta eingeschränkt?
Steffi Nerius:
Die Meinungsäußerung ist ja nun nicht wirklich eingeschränkt. Man kann sagen, was man möchte. Man darf nur keine politische Propaganda an Olympischen Stätten machen, zum Beispiel mit Arm- oder Stirnbändern, auf denen „Free Tibet“ steht. So etwas habe ich aber auch nicht vor. Es sind Richtlinien, die in der Olympischen Charta festgeschrieben sind. Ich finde es okay, dass man an den Wettkampfstätten den Olympischen Sport macht und nichts anderes.
Sie stecken inzwischen bereits mitten in der Olympiasaison. Ihre Planung sieht aber nur wenige Wettkämpfe vor. Noch einmal kurz erklärt: Was sind die Gründe dafür?
Steffi Nerius:
Ein Grund ist, dass ich nicht mehr die Jüngste und damit gesundheitlich ein bisschen mehr anfällig bin. Ich habe in den letzten Jahren gemerkt, dass mir einfach etwas weh tut, wenn ich zu viele Wettkämpfe innerhalb kurzer Zeit mache, dass ich nicht genug Zeit habe, um zu regenerieren und um zu trainieren. Ich wollte deshalb in diesem Jahr kein Risiko eingehen und so wenig Wettkämpfe wie möglich machen. Ich möchte auch dieses Gefühl nicht haben, dass ich bei einem Wettkampf bin und nicht hundertprozentig Gas geben kann oder nicht voll motiviert bin. Deshalb mache ich lieber weniger Wettkämpfe, freue mich darauf und bin dann auch voller Elan dabei.
Gas geben hat sehr viel mit Spaß haben zu tun. Wann kommt denn der nötige Spaß abhanden?
Steffi Nerius:
Im letzten Jahr war es so, dass bei mir der Spaß dann verloren gegangen ist, wenn ich von einem Meeting zum nächsten gegurkt bin und die Bedingungen nicht mehr so stimmten. Es kam mir auch manchmal so vor, als wären wir Gladiatoren, die in die Arena geführt werden, das Publikum sitzt da und kuckt sich das an und geht dann wieder. Das war ein bisschen wie Zirkus. Alle in den Flieger, wieder raus. Ins Stadion, wieder raus. Zurückfliegen. Aus diesem Trott musste ich raus. Deshalb fühle ich mich im Moment ganz wohl.
Das bedeutet, Ihre neue Ausrichtung ist „goldrichtig“, auch wenn es am Ende nicht zu Gold reichen muss?
Steffi Nerius:
Ich stehe total hinter dieser Saisonplanung. Ich habe das Gefühl, es ist alles perfekt, so wie wir es bis jetzt gemacht haben. Ich bin zuversichtlich, auch was die Olympischen Spiele in Peking betrifft.