Stollen statt Spikes: Leichtathleten im Fußball
Der Fußball hat sich den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Das Spiel ist schneller und intensiver geworden. Neben den technischen und taktischen Fähigkeiten ist die Athletik ein entscheidender Faktor. Das eröffnet Möglichkeiten, für diejenigen, die sich in diesem Bereich auskennen – Leichtathleten. Ruwen Faller, Tobias Unger (VfB Stuttgart), Carolin Hingst (USC Mainz) und Tim Lobinger profitieren von dieser Entwicklung.
Ex-400-Meter-Läufer Ruwen Faller trainiert auf Schalke die Fußball-Profis (Foto: FC Schalke 04)
Statt den Spikes, schnürt Ruwen Faller (ehemals SC Magdeburg) seit zweieinhalb Jahren die Fußballschuhe. Der ehemalige 400-Meter-Spezialist (Bestzeit: 45,74 sec), ist seit März 2011 Athletik-Trainer beim FC Schalke 04. Er plant, koordiniert und leitet das Athletik-Training in Absprache mit dem Trainerteam um Chefcoach Jens Keller. Damit hat er nach seiner aktiven Karriere seinen zweiten „Traumjob“ gefunden.Sein letztes Rennen bestritt Ruwen Faller bei den Weltmeisterschaften in Berlin 2009. Danach zwangen ihn chronische Achillessehnenbeschwerden zum Karriereende. Über einen Beraterkontakt, kam er beim Regionalligisten SG Sonnenhof Großaspach als Fitness-Trainer unter und lernte so den dem damaligen Chefcoach der TSG 1899 Hoffenheim, Ralf Rangnick kennen, der dort in der Nähe wohnt. „Wir haben festgestellt, dass wir die gleiche Trainingsphilosophie teilen und eine ähnliche Vision haben“, erzählt Ruwen Faller.
Als Ralf Rangnick zum FC Schalke 04 wechselte erinnerte er sich an Ruwen Faller. „Ich bekam einen Anruf. Er wollte mich als Athletik-Trainer in seinem Team haben. Da gab es für mich nichts zu überlegen. So eine Chance bekommt man nicht zweimal.“ Der Sprung von der Regionalliga in die Bundesliga war gewaltig. „Der Job bedeutet eine Sieben-Tage-Woche.“ Denn Ruwen Faller betreut die Spieler nicht nur beim Training in Gelsenkirchen sondern begleitet das Team auch zu den Spielen. „Vor der Partie bin ich für die Erwärmung verantwortlich, anschließend für die Regeneration.“
Übungen aus dem eigenen Training
Gerade in den Englischen Wochen ist letztere entscheidend. Während in der Leichtathletik die Trainingsintensität sehr hoch ist, lautet im Fußball das Zauberwort „Dosierung“. Die Periodisierung ist nahezu komplementär. Auf eine kurze Saisonvorbereitungsphase folgt eine lange Spielzeit mit hoher Wettkampfdichte. In der Leichtathletik dagegen, nimmt die Vorbereitung den großen Teil des Jahres ein und die Wettkampfphase ist relativ kurz.
Dennoch konnte Ruwen Faller, der neben einer B-Lizenz als Sprinttrainer gerade im koordinativen Bereich einige Übungsformen aus seinem eigenen Training einbringen. Auch sonst versucht Ruwen Faller, immer wieder neue Impulse zu setzten. „Die Entscheidung, ob Übungen in das Training aufgenommen werden diskutieren wir im Trainerteam gemeinsam. Das letzte Wort hat allerdings der derzeitige Schalke-Chefcoach, Jens Keller.“ Der schätzt die Arbeit von Ruwen Faller und lässt ihm deshalb gestalterische Freiräume.
Das kommt auch bei den Spielern an und so musste Ruwen Faller weniger Überzeugungsarbeit hinsichtlich des Athletik-Trainings leisten, als angenommen. „Klar, gibt es Spieler, die lieber mit dem Ball trainieren. Trotzdem wissen alle, wie wichtig die Athletik ist.“ Deshalb absolviert der ein oder andere auch freiwillig Sonderschichten. Den Ansporn dazu gibt Ruwen Faller selbst. „Wenn ich eine Übung vormache und den Jungs weglaufe, dann weckt das ihren Ehrgeiz. Das respektieren sie und legen sich ins Zeug, mich zu schlagen.“ Wenn auch nicht läuferisch, so muss sich Ruwen Faller doch fußballerisch geschlagen geben.
Unger lässt ohne Ball trainieren
„Ich versuche, mich beim Kicken zurückzuhalten.“ Dennoch kommt er nicht umhin, beim Individualtraining gelegentlich eine Passübung mitzumachen. „Wenn ich an meine Grenzen stoße und den Ball nicht richtig kontrollieren kann, haben die Spieler ihren Spaß. Das lockert die Atmosphäre und ich nehme es mit Humor.“
Ähnlich wie Ruwen Faller geht es auch Sprinter Tobias Unger. Auch er wählt seine fußballerischen Aktivitäten mit Bedacht. „Ich schlage schon mal ein paar Flanken. Ins Dribbling würde ich gegen die Jungs allerdings nicht gehen.“ Als Athletik-Trainer der Nachwuchsmannschaften des VfB Stuttgart liegt sein Hauptaugenmerk ohnehin auf den Einheiten ohne Ball.
Dort bereitet er sich neben seiner Trainertätigkeit auf die Europameisterschaften 2014 in Zürich (Schweiz; 12. bis 17. August) vor, mit denen er gerne seine Karriere ausklingen lassen würde. „Mit meiner Trainertätigkeit habe ich meine berufliche Zukunft gesichert und kann meine sportlichen Ziele nun ohne Druck angehen.“
Leistungssport ein Vorteil bei der Bewerbung
Dabei war der Plan zwischenzeitlich ein anderer gewesen. „Ich hatte eine Trainee-Stelle bei einer Bank angenommen und dort auch angefangen“, erzählt Tobias Unger, der damit auf seine abgeschlossene Banklehre aufbauen wollte. „Ich habe allerdings sehr schnell gemerkt, dass es mir ohne den Sport etwas fehlt.“ Deshalb entschied er sich zu Plan B und bewarb sich um eine Trainerstelle beim VfB Stuttgart. „Ich wollte das Wissen aus meinem Sportstudium anwenden und wusste, dass beim VfB eine hervorragende Jugendarbeit betrieben wird.“ Dass er statt Leichtathleten nun Fußballspieler trainiert, hängt auch damit zusammen, dass sich die Leistungszentren in der Leichtathletik und mit ihnen die Trainerstellen, in den Osten des Landes verschieben. „Da ich sehr heimatverbunden bin, wollte ich jedoch gerne in der Region bleiben.“
Sein leistungssportlicher Hintergrund, da ist sich Tobias Unger sicher, kam ihm bei der Bewerbung zugute - eine Meinung die auch Ruwen Faller teilt. „Wenn man selbst sportliche Erfolge vorzuweisen hat, dann respektieren die Spieler das.“ Dass es auch ohne eine fundierte sportwissenschaftliche Kenntnis ginge, bezweifelt er jedoch. „Das Wissen aus meinem Sportstudium und meine Praxiserfahrung brauche ich zu gleichen Teilen.“
Wie auch Ruwen Faller, musste Tobias Unger einige Anpassungen vornehmen um das Leichtathletik-Training Fußball-kompatibel zu machen. „Während ich in meinem eigenen Training hauptsächlich lineare Sprints absolviere, sind für die Fußballer Umkehrbewegungen, Richtungswechsel und Sprünge entscheidend.“ Hinzu kommt ein umfangreiches Stabilisationsprogramm.
Hingst arbeitet mit Jugendlichen
Trotz der Größe der Trainingsgruppe legt Tobias Unger Wert auf eine möglichst individuelle Trainingsgestaltung. Dabei bekommt er Rückendeckung und Freiraum von den Verantwortlichen, die großen Wert auf die athletische Ausbildung ihrer Spieler legen. „Klar sprechen wir die Trainingsgestaltung ab, die Hauptverantwortlichkeit liegt dennoch bei mir.“ Auch von den Spielern wird Tobias Ungers Arbeit geschätzt. „Die Jungs sind unglaublich ehrgeizig. Sie wollen unbedingt Profi werden und wissen, dass die athletischen Grundlagen dazu notwendig sind.“ Den Ehrgeiz hat Tobias Unger mit seinen Spieler gemein. „Die Arbeit macht mir unglaublich viel Spaß, denn ich kann meine Leidenschaft für den Sport weitergeben.“
Dieses Motto verfolgt auch Stabhochspringerin Carolin Hingst. Im Gegensatz zu Tobias Unger und Ruwen Faller hat die ihre Berufung zur Trainertätigkeit bereits früh erkannt und hat deshalb im Frühjahr 2012 im Nachwuchsleistungszentrum des FSV Mainz 05 eine Hospitation absolviert. Seitdem arbeitet sie regelmäßig zweimal pro Woche mit den Jugendlichen an der richtigen Laufschule, maximalen Sprints und allgemeinen Kräftigungsübungen für die Füße, die Beine, den Oberkörper und den Rumpf.
„Ich habe mich bereits die letzten fünf Jahre selbst trainiert und konnte während dieser Zeit schon viele Erfahrungen sammeln. Außerdem habe ich mich immer weitergebildet und mich viel mit Trainern ausgetauscht.“ Noch drei Jahre möchte Carolin Hingst mit dem Stab auf Höhenjagd gehen, doch der Blick richtet sich schon weiter. „Nach meiner aktiven Laufbahn will ich gut vorbereitet sein.“ Aus diesem Grund ist es ihr wichtig, „breit aufgestellt“ zu sein.
Leichtathletik-Elemente als Grundlage aller Sportarten
„Hauptberuflich als Stabhochsprung-Trainerin zu arbeiten, wäre schön. Solche Stellen sind allerdings rar gesät. Stabhochsprung-Bundestrainerin, das würde mich reizen“, sagt Carolin Hingst und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: „Das kommt aber erst einmal nicht in Frage, da wir bereits einen sehr guten Bundestrainer haben.“ Die lizenzierte Fitness- und Personal-Trainerin arbeitet gegenwärtig an der A-Lizenz im Stabhochsprung.
Während sich für die Stabartisten vieles um die Perfektionierung der Bewegungsabläufe dreht, stehen bei den Nachwuchskickern athletische Grundlagen auf dem Plan. „Es ist natürlich sehr schwierig, mit einer großen Trainingsgruppe individuell zu trainieren. Oft geht es darum, den größten gemeinsamen Nenner zu finden.“ Für Carolin Hingst lautet die Devise: „Koordination, Stabilität, Beweglichkeit.“ Diese drei Elemente sind das Fundament fast aller Sportarten, egal ob Individual- oder Teamsport, mit oder ohne Ball.
„Deshalb arbeite ich mit den Jungs hauptsächlich daran, die Bewegungsabläufe ökonomischer zu gestalten. Das ist die Voraussetzung, um Verletzungen vorzubeugen.“ So steht einer langen und erfolgreichen Karriere nichts im Wege. Carolin Hingst muss es wissen, denn sie kann bereits jetzt auf 13 Profi-Jahre zurückblicken.
Langfristiger Trend noch nicht absehbar
Dass eine Laufbahn als Stabhochspringer nicht die schlechteste Voraussetzung für eine Trainertätigkeit im Fußball ist beweist auch Tim Lobinger. Seit der Spielzeit 2012/13 ist der Sechsmeter-Springer als Athletik-Trainer für die Fitness der Spieler des Drittligisten Rasenballsport Leipzig zuständig und unterstreicht damit eine Entwicklung: Leichtathleten im Fußball.
Ob es sich dabei tatsächlich um einen Trend handelt, muss die Zukunft zeigen. Ruwen Faller, Pionier in Sachen Athletik-Training, ist sich sicher: „So ein Job ist nicht planbar. Es gehört einfach auch das nötige Quäntchen Glück dazu.“ Die athletische Grundausbildung und trainingswissenschaftliche Kompetenz ist aber sicherlich ein Argument, das für die Leichtathleten spricht.