Superstar Liu Xiang auf Deutschland-Tour
Auf diesen Tag haben sie alle gespannt gewartet, die chinesischen Fans und Medienvertreter. Auf den 3. Februar, den Stuttgarter Start seiner Deutschland-Tournee, die den Hürdenweltrekordler Liu Xiang nun auch in die Leichtathletikhallen in Düsseldorf (6. Februar) und Karlsruhe (11. Februar) führt.
Liu Xiang fegt durch die Hallen in Stuttgart, Düsseldorf und Karlsruhe (Foto: Chai)
Der ganz große Ansturm chinesischer Anhänger aus Deutschland und den benachbarten Ländern – wie beim Weltfinale in Stuttgart im September letzten Jahres – blieb allerdings am Samstag aus. Die Fans können in dieser Hallensaison zwischen drei Terminen und Städten wählen, um den "Sportler des Jahres 2006" und beliebtesten Chinesen live zu erleben und das tun sie offensichtlich.Hyper, hyper
Min Gan, 29, und Jing Zhao, 26, beide Chemiestudenten in Stuttgart, schwenken eine große chinesische Flagge und sind zum ersten Mal überhaupt bei einer Leichtathletik-Veranstaltung dabei. "Bei uns, wie bei vielen unserer Landsleute, kam das Interesse an der Leichtathletik erst durch Xiang Liu", bestätigen die beiden.
Mit 18 von rund hundert stellen die chinesischen Journalisten in Stuttgart eine stattliche Fraktion, die zweitgrösste nach der deutschen. Mit Redakteur, Kameramann und Assistent ist das Team von ouline.com vertreten. Ouline ist ein Wortspiel auf online und heisst übersetzt "Europa schauen". Die Internetseite berichtet vor allem für Auslandschinesen über Wirtschaft, Sport, Politik und Kultur in Europa, aber auch die wichtigsten News aus der Heimat.
Online-Video
Über Liu Xiang werden sie ein Video online stellen. Den populären Hürdenläufer haben sie bereits bei der Pressekonferenz vor zwei Tagen und beim Training gefilmt. "Dort hat sich Liu Xiang viel Zeit für uns genommen und unsere Fragen ausführlich beantwortet – in China wäre so etwas unmöglich", schwärmt der in Stuttgart lebende Redakteur Jinglei Wan.
Aus Shanghai, der Heimatstadt des 23 Jahre alten Olympiasiegers, ist Coco Yan angereist. Sie ist zum ersten Mal in Deutschland und schreibt für die dreimal pro Woche erscheinende Sportzeitung "Titan Sports". Ihr Vater Zijian Yan, der für die Shanghaier Tageszeitung "Jie Fang Daily" Lius Deutschland-Tournee begleitet, hat die Leidenschaft für den Journalismus und den Sport an seine Tochter vererbt.
Unser und Euer
Vor dem Vorlauf über 60 Meter Hürden begrüsst Haitao Xiu, Herausgeber der chinesischen Handelszeitung, Liu Xiang im Auftrag von Innenraummoderator Markus Othmer lautstark auf Chinesisch: "Herzlich Willkommen in Stuttgart". Auch das Mini-Interview im Anschluss an den zweiten Vorlauf, den der Weltrekordler in 7,59 Sekunden gewinnt, übersetzt er. "Ich fühle sich sehr wohl in Stuttgart, die Stadt ist ein Glücksbringer für mich."
Fan Yuan Fang, 20 Jahre alt und seit vier Monaten wegen eines Deutschkurses für ihr Geodäsiestudium in Stuttgart, freut sich darüber, dass ihr Schwarm das Transparent ("Unser Xiang Liu – der Xiang Liu der ganzen Welt") gesehen und ihr zugewinkt hat. "Ich finde ihn sehr attraktiv!"
Verlierer im Duell
Nun haben sich die chinesischen Fans mit ihren Flaggen hinter dem Ziel postiert. Dramatische Musik kündigt das Finale an, dann herrscht angespannte und konzentrierte Stille. Auf Bahn drei hat Liu Xiang die beste Reaktionszeit… aber vom Start weg liegt der Kubaner Dayron Robles vorne. Er verbessert seine Vorlaufzeit von 7,53 Sekunden und gewinnt mit 7,38 Sekunden das Duell in Meetingrekord und Weltjahresbestzeit.
Und der 1,89 Meter große Chinese? Der wird Zweiter in 7,45 Sekunden und ist damit nur zwei Hundertstelsekunden langsamer als bei seinem Asienrekord 2004. Gut gelaunt geht er mit seinem viertplatzierten Landsmann Dongpeng Shi und dem Kubaner auf die Ehrenrunde.
60 Meter sind zu kurz
Bei der anschließenden Spontan-Pressekonferenz mit Liu Xiang in der Aufwärmhalle sind die chinesischen Journalisten sehr aufgeregt und haben enormen Respekt vor ihrem Star. Wieder übersetzt Haitao Xiu, zur Erleichterung der deutschen Kollegen.
Liu Xiang beantwortet alle Fragen mit einer für Chinesen üblichen Höflichkeit gegenüber dem Gastgeber: "Ich habe mich in der Schleyerhalle sehr gut gefühlt. Die Zuschauer sind sehr höflich zu mir, und mit meiner Leistung bin ich sehr zufrieden. Ich freue mich immer wieder, nach Stuttgart zu kommen." Auf den ersten fünf Hürden tut er sich stets sehr schwer und seine Stärke – die letzten fünf Hürden – kann er in der Halle nicht ausspielen. "Die 60 Meter sind zu kurz für mich."
Dass er gegen Dayron Robles verloren hat, überraschte Liu Xiang nicht, braucht dieser doch lediglich sieben Schritte bis zur ersten Hürde, wo alle anderen acht benötigen – der Kubaner ist vom Start weg unglaublich schnell. "7,45 Sekunden sind okay für mich, denn ich habe mich noch nicht ausreichend auf die Hallenläufe vorbereitet und bin noch müde wegen der Zeitverschiebung", ordnet er sein Rennen ein. Auf die nächsten Auftritte des Hürdenkünstlers in Düsseldorf und Karlsruhe darf man also neugierig sein.
Chinesische Ecke
Beim Abschluss-Bankett im "Bistro" des Hauptsponsors sitzen alle Chinesen, Athleten, Trainer und die Journalisten, in ihrer eigenen kleinen Ecke und essen in Ruhe. Wenn deutsche Autogramm- und Photojäger Liu Xiang mit dem neben ihm sitzenden Dongpeng Shi verwechseln, klärt niemand den Irrtum auf – wohl aus falsch verstandener Höflichkeit. Doch die Kids sind auch so glücklich.
Sehr glücklich sieht auch die junge Journalistin Coco Yan aus, die Liu Xiang gegenüber sitzt und ihr Eis genießt, denn in Gegenwart des Superstars aus ihrer Heimatstadt schmeckt alles besser. So etwas wird ihr in Shanghai bestimmt nicht passieren.