Tatjana Lebedeva – Die Springer-Queen von Budapest
2001 wurde Tatjana Lebedewa Weltmeisterin im Dreisprung, 2003 verteidigte die 27-Jährige ihren Titel und am vergangenen Wochenende bei der Hallen-Weltmeisterschaft in Budapest setzte sie dem Ganzen die Krone auf. Sie gewann den Dreisprung, stellte erst den Weltrekord ein, dann verbesserte das russische Sprungwunder die Marke noch zwei Mal, bis sie bei 15,36 Meter landete. Doch das war der jungen Dame nicht genug: sie holte sich auch noch den Titel im Weitsprung mit 6,98 Meter.

Tatjana Lebedeva holte in Budapest gleich zwei Titel (Foto: Chai)
Auch wenn sie selbst ihren Clou gar nicht richtig fassen konnte. "Ich war nach dem Dreisprung und dem Rekord völlig leer. Sowohl psychisch als auch physisch. Dass ich den Weitsprung auch noch gewonnen habe, empfinde ich als Wunder", sagte sie. Die Athletin aus der Provinzstadt von Sterlitamak in der Republik Bashkirija wusste, wenn sie auch im zweiten Wettbewerb eine Chance auf den Sieg haben wollte, musste sie diese in den ersten Versuchen nützen - und ließ Taten folgen. An ihre 6,98 Meter aus dem zweiten Versuch kam niemand heran und so avancierte sie zur Springer-Queen von Budapest. Tatjana Lebedewa legte ein rasantes Tempo vor in den vergangenen zweieinhalb Jahren. Zwischen den Titeln und Rekorden brachte die junge Frau 2002 noch Tochter Anastasia zur Welt - in Paris stand sie schon wieder auf der Matte und siegte. Ein halbes Jahr später, jetzt in Budapest, führte sie die Erfolgs-Litanei fort.
Die 1,71 Meter große und 60 Kilo schwere Springerin stammt aus einer Turner- und Akrobatik-Familie. Ihr Vater war Sportakrobat, der davon träumte, dass seine Tochter eine Top-Turnerin werden sollte.
Bloß nicht leicht gewinnen
Tatjana Lebedewa trainierte bei ihrer Mutter, doch als sie mit zehn Jahren in eine Sportschule kam, riet man der kleinen Tatjana zu einer anderen Sportart. Als sie einer Gruppe zusah, die rannte. Da dachte sich das Mädchen: "Das ist mein Sport". Zunächst sah es auch fast so aus, als würde aus ihr eine Mittelstreckenläuferin. Sie hatte weit und breit keine gleichwertigen Konkurrentinnen. Irgendwann wurde es ihr dann zu dumm. Ein Wettbewerb, der so leicht zu gewinnen war, war nicht ihr Ding. Sie wollte kämpfen, sich messen mit starken Gegnerinnen und entdeckte die Sprünge.
Erst wandte sich die Russin dem Weit- und Hochsprung zu, 1991 absolvierte sie ihren ersten Dreisprungwettkampf mit 12,91 Meter - damals war Tatjana Lebedewa 14 Jahre alt und bekam Starallüren, die ihr der Coach schnell wieder austrieb. Sie hat rasch begriffen, dass sie sich durch ihr Talent in der Leichtathletik ein besseres Leben schaffen konnte. Schöne Reisen und Geld verdienen mit dem Sport, das war eine große Motivation für die junge Russin. Denn sie träumte davon, die Welt zu sehen.
Als Teenager las sie am liebsten Abenteuerbücher. Geschichten von Jules Vernes, Jack London oder Herbert Wells hat sie geradezu verschlungen.
Umzug nach Wolgograd
Während ihrer Schulzeit hat sie sich entschieden, eine ernsthafte Karriere in Angriff zu nehmen und trainierte vor der Schule und nach der Schule. 1993 nahm sie erstmals an einem Trainingslager am Schwarzen Meer teil. Dort entschied sie, künftig nach Wolgograd zu ziehen und dort zu trainieren. 1998 wurde sie erstmals in die russische Nationalmannschaft berufen, ein Jahr später war Tatjana Lebedewa Vierte bei der WM in Sevilla. Bei den Olympischen Spielen in Sydney war sie Favoritin, wurde aber "nur" Zweite.
"Das war eine große Enttäuschung für mich", sagte sie im Nachhinein. Gleichzeitig schöpfte sie ihre Motivation daraus für Edmonton. Dort klappte es mit dem Sieg und Tatjana Lebedewa bot eine beeindruckende Vorstellung. In Paris bot die 27-Jährige wieder eine Topleistung und holte sich WM-Titel Nummer zwei im Dreisprung. Hinterher verriet die Russin, dass ihr Mann sich den Sieg zum Geburtstag gewünscht hatte.
Großes Preisgeld
Das Preisgeld, das sich die junge Mutter inzwischen zusammengesprungen hat, ermöglicht einen für Russland hohen Lebensstandard. Die Familie lebt in einem Vierzimmer-Appartement, das sich in Wolgograd kaum jemand leisten kann. Allein in Budapest verdiente Tatjana Lebedewa 130.000 US-Dollar für zwei Titel und einen Weltrekord.
Damit kann die junge Familie ausgezeichnet leben, könnte sich auch Russlands Metropole Moskau leisten. "Doch ich mag keine großen, lauten Städte. Ich bleibe in Wolgograd." Dort trainiert auch Stabhochsprung-Weltrekordlerin Yelana Isinbayewa, mit der sie befreundet ist. Die beiden steigerten fast zeitgleich am Samstag die Bestmarke in ihren Disziplinen.
Spleen mit den Haaren
Dabei pflegt Tatjana Lebedewa ihren Spleen für die unterschiedlichsten Frisuren schon seit Jahren. Ihr Faible für Haarfarben ist hinreichend bekannt. Während sie bei der WM in Edmonton mit weizenblondem Kopf zur Goldmedaille flog, bevorzugte sie in Paris dunkles Haar mit kurzgeschorenen roten Pony. In Budapest fehlte das rote Vorderteil - dort trat sie mit schwarzem Kopfschmuck an.
Ein bisschen Spielerei muss sein, denkt sich die Springerin, die gerne experimentiert. Ihre Träume von Titeln und Rekorden gingen bereits in Erfüllung, auch privat läuft alles nach Plan - fehlt nur noch eines: der Olympiasieg. Und damit Tatjana Lebedewa ihr rasantes Tempo beibehalten kann, warum nicht gleich in Athen? Wenn sie gesund bleibt, wird die Goldmedaille nur über die Russin gehen. Fragt sich nur: mit welcher Frisur sie diesmal antritt. Und mit welcher Farbe sie wieder nach Hause fährt?