Thomas Kurschilgen - "Krönender Abschluss" (I)
Bei den Deutschen Marathon-Meisterschaften wurden am 14. Oktober die letzten deutschen Meistertitel des Jahres 2012 vergeben. Thomas Kurschilgen, Sportdirektor im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), zieht in einem zweiteiligen Interview eine Bilanz des „Superjahrs“ und erklärt, warum er optimistisch in die Zukunft blickt.
Herr Kurschilgen, das Jahr 2012 wurde als „Superjahr“ betitelt, in dem erstmals sowohl eine EM als auch Olympische Spiele ausgetragen wurden. War es, was die Leistungen betrifft, auch für die deutsche Leichtathletik ein Superjahr?Thomas Kurschilgen:
Das Jahr 2012 war für die deutsche Leichtathletik der krönende Abschluss des erfolgreichsten Olympiazyklus' des zurückliegenden Jahrzehnts. In London hat die deutsche Nationalmannschaft mit acht Medaillen so viel Edelmetall wie bei den Olympischen Spielen in Sydney, Athen und Peking zuvor gewonnen. Mehr Medaillen gab es nur bei den Spielen 1992 in Barcelona. 25 Platzierungen unter den Top Ten und ein fünfter Platz in der Nationenwertung verdeutlichen die Leistungsstärke des gesamten Teams und den Aufschwung im olympischen Weltmaßstab.
Der DLV gehört neben Russland zu den führenden Nationen in Europa, das verdeutlicht auch der erste Platz in der Nationen- und Medaillenwertung bei der EM in Helsinki. Nicht zu vergessen ist der Nachwuchs, der sich bei der U20-WM in Barcelona hervorragend präsentiert hat. Man kann ohne Übertreibung von einer brillanten Leistung und einem Superjahr 2012 sprechen.
Wie erklären Sie sich nach der Pleite von 2008 in Peking diesen Leistungssprung?
Thomas Kurschilgen:
Hier sind mehrere Faktoren relevant: Die größere Leistungsdichte einer Vielzahl von DLV-Athleten in den Weltbestenlisten 2010 bis 2012, die günstige Altersstruktur des Teams und eine hervorragende mentale Einstellung im gesamten Olympiazyklus stellen eine deutlich verbesserte Ausgangssituation dar. Hinzu kommen unsere teambildendenden Maßnahmen, die ein synergetisches Nationalmannschaftsteam entstehen lassen, sowie ein gemeinsam auf die Besonderheiten der Saison 2012 abgestimmtes Periodisierungsmodell im Bundestrainerteam. Daraus leitete sich eine optimale Steuerung des Trainings im Jahresverlauf ab, mit einer intensiven Interaktion zwischen persönlichen Trainern und Kompetenzteamträgern.
Ein hoher Prozentsatz der nominierten Athleten – und insbesondere die Leistungsträger – konnte sich gemessen an ihren Platzierungen in der Weltbestenliste zum Nominierungszeitpunkt mit einer ausgezeichneten Leistungsperformance in London präsentieren. Dies spricht für eine hohe Fachkompetenz der Trainerteams.
Wie äußert sich der Erfolg der teambildenden Maßnahmen?
Thomas Kurschilgen:
Ich finde es bemerkenswert, wenn Athleten wie Ralf Bartels, Nadine Kleinert und Robert Harting in der Mannschaftssitzung hochemotional zum Ausdruck bringen, dass sie stolz sind, diese Nationalmannschaft als Kapitäne zu den internationalen Meisterschaften führen zu dürfen. Es ist im DLV nicht immer so gewesen, dass sich leistungsstarke und erfolgreiche Athleten so bedingungslos in den Dienst der Mannschaft stellen – und auch hier könnte ich weitere zahlreiche Namen bei den Leistungsträgern des Teams nennen.
Dies spricht für den Charakter der Mannschaft, unsere Teambildung und die Geschlossenheit aller Trainer in ihrem Wirken für die Nationalmannschaft. Es hat mir große Freude bereitet dieses Team führen zu dürfen.
Der zweijährige EM-Rhythmus soll beibehalten werden. Hat sich aus Ihrer Sicht das Konzept mit zwei internationalen Höhepunkten bewährt?
Thomas Kurschilgen:
Die Olympische Leichtathletik im DLV hat dieser Idee stets positiv gegenüber gestanden. Für die deutsche aber auch die gesamte europäische Leichtathletik ist eine regelmäßige Präsenz auf europäischer Ebene zwingend notwendig. Die Wahrnehmung und Identifikation einer breiten Öffentlichkeit mit der Spitzenleichtathletik vollzieht sich nahezu ausschließlich über nationale und internationale Meisterschaften. Das sind die sportlichen Plattformen, die wir nutzen sollten und bei denen die Nationalmannschaft als Aushängeschild des DLV ein Millionenpublikum an sich binden kann.
Die internationale Doppelbelastung haben die DLV-Athleten und ihre Trainer hervorragend gelöst. So waren beispielsweise sechs der acht Medaillengewinner aus London auch in Helsinki erfolgreich, und von den weiteren 13 Endkampfplatzierten standen zehn Athleten im Finale von Helsinki.
Entscheidend für dieses Ergebnis war, dass wir frühzeitig in den Trainerteams im Bundesleistungszentrum in Kienbaum miteinander beschlossen haben, die EM mit der leistungsstärksten Nationalmannschaft zu beschicken und unsere Planungsvorgänge sehr zielgerichtet und konzentriert auf die Saison 2012 ausgerichtet haben.
Für die EM in Helsinki wurden 94 DLV-Athleten nominiert. Viele junge Sportler haben die Chance erhalten, sich international zu bewähren. Wie zufrieden waren Sie mit dem Abschneiden der „Stars von morgen“?
Thomas Kurschilgen:
Bereits zu Beginn meiner Amtszeit haben wir gemeinsam mit den Cheftrainern deutlich gemacht, dass sich die Entwicklung der Nationalmannschaft und der Leistungen eines jeden einzelnen Athleten über verschiedene internationale Meisterschaftsetappen vollzieht.
Eine Vielzahl der Aktiven, die im Vorjahr bei der U23-EM in Ostrava erfolgreich waren, hat sich in Helsinki bereits unter den Top Ten platzieren können. Ich denke da an Tatjana Pinto, Diana Sujew, Corinna Harrer, Leena Günther, Gesa Felicitas Krause, Sosthene Moguenara, Anna Rüh, Julia Fischer, Cindy Roleder oder Tobias Giehl. David Storl und Raphael Holzdeppe ragen hier bei den Männern mit EM- und Olympiamedaillen besonders heraus.
Thomas Kurschilgen - "Wege fortführen" (II)