| Interview

Thomas Röhler: „Der Weltrekord ist im Kopf wesentlich näher gerückt"

Zum ersten Mal ist mit Thomas Röhler ein Speerwerfer zum „Leichtathleten des Jahres“ gewählt worden. Der Athlet vom LC Jena hat sich schnell in seiner Rolle als Olympiasieger zurechtgefunden – und schon wieder neue Ziele im Visier.
Daniel Becker

Thomas Röhler, die Fans und Leser haben Sie zum "Leichtathleten des Jahres" gewählt. Ist das für Sie der krönende Abschluss eines perfekten Jahres 2016?

Thomas Röhler:

Auf alle Fälle. Nach all den positiven Dingen, die nach Rio passiert sind, ist das eine weitere tolle Geschichte. Die Leichtathletik steckt in einer tollen Entwicklung und es macht richtig Spaß, ein Teil davon zu sein.

Was hat sich für Sie seit dem Olympiasieg alles verändert?

Thomas Röhler:

Ich habe auf jeden Fall gespürt, dass Deutschland ein Land ist, das viele Medaillen gewohnt ist und demnach auch viele weitere Medaillen erwartet. Das sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. 2014 habe ich den Gesamtsieg bei der Diamond League geholt, was innerhalb der Leichtathletik eine große Sache ist. Das versteht in Deutschland aktuell leider niemand, auch, weil so etwas in den Medien nicht kommuniziert wird. Bei Olympischen Spielen ist das ganz anders: Da wird von einem Sieg extrem Notiz genommen und die Aufmerksamkeit ist auf einmal da – und zwar nicht nur für mich, sondern für die gesamte Sportart. Ich hatte schon vorher die Ahnung, dass das so ist, nach Rio ist mir das aber noch einmal viel klarer geworden.

2016 war für Sie voll gepackt mit sportlichen Höhepunkten. Neben dem Olympiasieg haben sich auch Ihre Würfe über 90 Meter in den Gedächtnissen festgesetzt. Wie oft denken Sie noch an die Highlights zurück?

Thomas Röhler:

Weite Würfe sind das, woran wir uns messen. Ich habe immer gesagt, dass ich Rekorde nie jagen werde, die Würfe über 90 Meter und damit die neuen persönlichen Bestleistungen kamen im vergangenen Jahr einfach dazu. Wir wollen unseren Weg weitergehen. Wir wollen Wettkämpfe gewinnen – natürlich nicht um jeden Preis – und natürlich will ich auch noch weiter werfen. Die Würfe aus dem vergangenen Jahr spielen da natürlich eine wichtige Rolle. Sie sind es, an denen ich mich messe. Aber seit den Leistungen in Finnland bewege ich mich in einem Bereich, der nach oben nicht so leicht zu verlassen ist. Das trotzdem zu schaffen, ist die Herausforderung, die mich antreibt.

Sie haben gesagt, der Weltrekord aus dem Jahr 1996 (98,48 m) sei nun nicht mehr so weit weg wie gedacht und wenn Sie clever weiter trainieren, wäre es sogar möglich, ihn zu knacken. Gibt es konkrete Ansätze, an denen Sie feilen wollen?

Thomas Röhler:

Im Hochleistungsbereich ist es eine Herausforderung Reize zu setzen. Wahrscheinlich sind es in diesem Bereich die unerwarteten, kreativen Ideen, die dann plötzlich ausschlaggebend sind. Diesen Weg beschreiten wir aktuell. Nicht alles, was wir ins Training einfließen lassen, wird mich voranbringen und zu mehr Weite führen. Aber natürlich ist das das erklärte Ziel. Und es stimmt: Der Weltrekord ist im Kopf wesentlich näher gerückt. Der Trainer und ich bemühen uns immer, die Grenzen im Kopf offen zu halten, um alles möglich zu machen. Es wäre falsch, wenn mein Kopf mir vorgeben würde: „Halt mal den Ball flach, so weit kann man gar nicht werfen.“

Was haben Sie aus dem Jahr 2016 sonst noch für die Zukunft mitgenommen – gerade aus der Phase nach der EM, in der Sie mit einer Verletzung kämpften?

Thomas Röhler:

Gerade in dieser Phase zwischen EM und den Olympischen Spielen habe ich sehr viel gelernt. Dass ich nach der Verletzung und dieser schweren Zeit doch noch Gold gewinnen konnte, ist eine wichtige Erfahrung für die Zukunft. Diese Zeit war sicherlich nicht nur positiv, aber das gehört zum Sport dazu. Es war eine neue Situation für mich. Das Wissen, damit gut umgegangen zu sein, gibt mir die Sicherheit, dass wir auch unter solchen Umständen sehr erfolgreich sein können.

Olympiasieger sind – trotz Kritik an den Olympischen Spielen – weiterhin für viele Menschen Vorbilder. Spüren Sie eine gesteigerte Verantwortung und macht sich diese in Ihrem Alltag bemerkbar?

Thomas Röhler:

Die Verantwortung spüre ich auf alle Fälle. Man muss sich dieser Sache auch bewusst sein. Es ist aber für mich eine wunderbare Herausforderung, meine Sportart jetzt auch nach außen hin mitgestalten zu können. Mein Wort hat an Gewicht gewonnen und da ich noch lange vorhabe, nachhaltig weit zu werfen und Sportler zu sein, gefällt mir die Situation aktuell sehr gut. Ich freue mich auch über die mediale Aufmerksamkeit, die der Leistung aber auch gebührt.

Wie gehen Sie mit der gleichzeitig gestiegenen Belastung um?

Thomas Röhler:

Während der Saisonplanung sind wir ins Trainingslager gefahren und ich habe erst einmal mein Handy ausgeschaltet. Jetzt, nachdem Struktur und Planung stehen und wir wissen, wie es laufen soll, kann man sich zwischendurch auch wieder anderen Dingen widmen. Das macht auch sehr viel Spaß. Die ersten vier Wochen nach dem Olympiasieg waren sicherlich eine Ausnahmesituation. Da war glücklicherweise die Saison aber auch vorüber und ich konnte mir Zeit für all die positiven Dinge, wie die vielen Ehrungen, nehmen. Auch wenn es nicht immer leicht war, alles zu koordinieren – ich weiß, dass es die Leute alle gut mit mir gemeint haben und habe das gerne gemacht. Mittlerweile ist alles wieder im Lot. Ich liebe die aktuelle Situation wirklich.

Sie und Ihr Trainer Harro Schwuchow gelten als sehr innovatives Trainingsteam. Ihre Methoden stoßen international auf großes Interesse, und wie zuletzt auf dem Speerwurfkongress in Kuortane (Finnland) teilen Sie Ihr Wissen mit anderen. Die ganz besonderen Geheimnisse behalten Sie aber doch sicher für sich, oder?

Thomas Röhler:

Der Speerwurf ist eine extrem individuelle technische Disziplin. Auch wir haben das Rad nicht neu erfunden. Wir geben die Denkanstöße wirklich gerne und aktiv weiter – aus dem einfachen Grund, da wir nur wenige Talente in der Leichtathletik haben und es uns wichtig ist, dass diese international fair und nachhaltig trainiert werden. Ich habe auf meinem Weg verschiedene Trainingsmethoden kennengelernt, viele Dinge, die mir geholfen haben und auch welche, die mir weniger geholfen haben. Wir wollen das Denken fördern, einen ganz individuellen Ansatz zu verfolgen und dabei vielleicht auch über den Tellerrand der Leichtathletik hinauszublicken, um schließlich in der Leichtathletik besser zu werden. Das ist alles, was wir geben, ansonsten steht vieles in ganz vielen Büchern. Mein Trainer sagt immer: Das ist alles nicht neu erfunden, man muss es nur richtig kombinieren.

Höhepunkt der kommenden Saison sind die Weltmeisterschaften in London. Als Olympiasieger kann das Ziel doch nur lauten, Weltmeister zu werden, oder?

Thomas Röhler:

Sportler machen Wettkämpfe immer, um zu gewinnen. Genau so sieht das auch bei der WM aus. Ich mache mir keinen extremen Druck, weil ich mir darüber bewusst bin, der Gejagte zu sein. National habe ich das in den letzten sechs Jahren schon kennengelernt, nun bin ich international in derselben Situation. Ich hoffe, dass ich ähnlich gut damit umgehen und aus dieser Position heraus aufs Neue angreifen werde. Im Speerwurf geht es jedes Mal aber auch um die Tagesform, den Umgang mit den unterschiedlichen Bedingungen. Qualifikationen müssen immer wieder überstanden werden. Es heißt jedes Mal: neues Spiel, neues Glück. Die Voraussetzungen sind aber natürlich sehr gut.

London ist ja, nicht zuletzt seit den Olympischen Spielen 2012, bekannt dafür, prächtige Stimmung bei Leichtathletik-Veranstaltungen zu bieten. Blicken Sie daher mit besonderer Vorfreude der WM entgegen – gerade weil es in Rio nicht immer so stimmungsvoll zuging?

Thomas Röhler:

Ich freue mich sehr darauf, was aber mit Rio nichts zu tun hat. Ich kenne die Stimmung in London schon von einigen Meetings und es ist dort immer etwas Besonderes. Auch die Veranstalter sind super. Auf die Atmosphäre in London freue ich mich aber ganz besonders.

Was erwarten Sie sonst noch von der Saison 2017?

Thomas Röhler:

Die Wettkampf-Termine sind ja erst in den letzten Wochen eingetroffen, von daher steht noch kein konkreter Plan. Aber wir sind ja bekannt dafür, viele Wettkämpfe als Training für einen bestimmten Wettkampf zu sehen – auch, wenn das nicht immer so aussieht, weil die Ergebnisse auch da gut sind. Die üblichen Verdächtigen stehen aber natürlich wieder auf meiner Liste. Die Meetings in Finnland sind mir sehr wichtig. Kurz vorher haben wir in Jena unser 2. Internationales Speerwurf-Meeting, wo sich auch schon sehr starke Felder andeuten. Im Fokus liegt auch die DM in Erfurt, die ich als Heimspiel betrachte, weil viele aus der Region im Stadion sein werden. Ich hoffe aber, dass dort an der Bahn noch etwas gemacht wird. Das muss unbedingt passieren. Wir Speerwurf-Jungs haben Lust, auch in Deutschland 90-Meter-Würfe zu zeigen und ich hoffe, dass wir bei der DM die Bedingungen dafür haben. Auch wenn wir keine Olympischen Spiele haben, glaube ich, dass das Jahr nicht minder spannend wird.

Mehr:

<link news:52855>Gesa Krause und Thomas Röhler sind Deutschlands "Leichtathleten des Jahres" 2016

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